Auch Online-Shops in Hessen So einfach kommt man an medizinisches Cannabis

Mit ein paar Klicks legal zum Gras: Seit der Teillegalisierung melden Online-Anbieter für medizinisches Cannabis immer höhere Umsätze. Wie einfach ist es, online Drogen zu bestellen - und welche Risiken sind damit verbunden? Unsere Reporterin macht den Selbstversuch.

Collage aus verschiedenen Elementen: eine Frau in pinkem Pullover hält ein braunes Schraubglas in der Hand, ein Händepaar im Comicstil, wobei eine Hand einen Daumen nach oben zeigt und die andere einen Onlineshop-Einkaufswagen hält, an dem ein Apothekenzeichen klebt und oben drei türkisgefärbte Joints reinfallen. Im Hintergrund leicht transparent eine Frau, die gerade auf einem Tablet tippt. Der Hintergrund ist lila-bläulich mit Verlauf.
Wie einfach ist es, online medizinisches Cannabis zu bestellen? hr-Reporterin Sarina Haase hat es ausprobiert. Bild © hr, Adobe Stock (peopleimages), Adobe Stock (S.Price), Adobe Stock (PureSolution), Collage: hessenschau.de

Das Geschäft mit medizinischem Cannabis boomt seit der teilweisen Legalisierung der Droge im April vergangenen Jahres. Ein Grund: Über eine Vielzahl von Online-Plattformen können Interessierte sich sehr leicht E-Rezepte ausstellen lassen – ohne dafür direkt mit einem Arzt oder einer Ärztin zu sprechen.

Auch den Weg zur Apotheke kann man sich sparen und das Cannabis bequem nach Hause liefern lassen. Wie einfach ist das wirklich? Wir probieren es bei einigen Anbietern beispielhaft aus.

Videobeitrag

Geschäft mit medizinischem Cannabis boomt

hs_23.05.2025
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Der Selbstversuch

Wir starten mit GreenMedical aus dem mittelhessischen Dillenburg. Der erste Eindruck der Website: Ein cleaner Look in Weiß und Grün. Es sind nur wenige Schritte notwendig zur Bestellung, heißt es. Zuerst sollen wir uns ein Produkt aussuchen. Wie in herkömmlichen Online-Shops steht uns eine große Auswahl zur Verfügung, durch die wir uns scrollen können. Statt Sneakers shoppen wir Cannabis.

Die verschiedenen Cannabis-Sorten werden dort beschrieben: Sie hätten etwa "eine ausgewogene Wirkung", seien "beruhigend" oder könnten Energie geben. Auch weitere Informationen, etwa über die Hersteller, Herkunft und Genetik werden aufgelistet. Diese Informationen mögen vor allem Kennerinnen und Kennern etwas sagen – dazu gehören wir nicht.

Hanfpflanzen stehen in einem Gewächshaus
Cannabis-Anbau in einem Gewächshaus (Archivfoto) Bild © picture-alliance/dpa

Fragebogen statt Arztgespräch

Für unseren Versuch nennen wir Schlafstörungen als Grund für ein Rezept. Welches Produkt ist dafür das richtige, "Blueberry Headband" oder doch eher "Royal Gorilla"? Wir füllen einen Fragebogen aus, um das festzustellen.

Darin wird unter anderem abgefragt, welche Beschwerden wir haben. Wir klicken "ja" bei Ein- oder Durchschlafstörungen und Tagesmüdigkeit an. Fragen zu Vorerkrankungen, Alkoholabhängigkeit, anderen psychischen Erkrankungen und Panikstörungen, beantworten wir wahrheitsgemäß mit "nein". Auch nach einer möglichen Schwangerschaft oder Allergie gegen Cannabis werden wir gefragt.

Vom Warenkorb in den Briefkasten

Weil es unsere erste Bestellung ist, müssen wir zusätzlich zum Kaufpreis knapp zehn Euro für diese "Erstberatung" in Form des Fragebogens zahlen. Dieses Geld geht an den Anbieter - für das Cannabis selbst zahlen wir später in der Apotheke.

Nach dem Ausfüllen wird eine Auswahl an geeigneten Produkten vorgeschlagen. Eine der Sorten soll helfen können, um "nach einem langen Tag abzuschalten". Das klingt gut - und so wandern fünf Gramm in den Warenkorb.

Den Aufklärungsbogen mit Sicherheitshinweisen zur Verwendung von Cannabis zu Schlafstörungen klicken wir ungelesen weg. Die Option, dem behandelnden Arzt etwas per Nachricht mitzuteilen, schlagen wir aus – ohne negative Konsequenzen.

Zu Risiken und Nebenwirkungen fragen Sie... wen eigentlich?

Man kann sich ein Rezept per Post zuschicken oder es digital weiterübermitteln lassen. Wir wollen so wenig Aufwand wie möglich: Einige Stunden später kommt eine Mail vom Anbieter, unser E-Rezept sei online von einem Arzt ausgestellt und bereits an eine Apotheke in Frankfurt übermittelt worden.

Unser Eindruck: Es fehlt jegliche Kontrolle, ob wir wirklich diejenigen sind, für die wir uns online ausgeben, um an dieses Rezept zu kommen.

Und dabei bleibt es, denn die Bestellung müssen wir nicht einmal persönlich abholen, sondern können sie uns zuschicken lassen. Fünf Gramm Cannabisblüten kosten rund 65 Euro. Der ganze Ablauf ist überraschend unkompliziert. Nach der Überweisung kommt von der Apotheke eine Mail, die bestellten Cannabisblüten seien auf dem Weg. Einige Tage später kommen sie per Paketdienst an.

Verschiedene Firmen, ähnliche Abläufe

Wir probieren auch andere Anbieter aus – hier läuft es ähnlich ab. Im Fall der Frankfurter Firma Bloomwell wird zusätzlich der Personalausweis unserer Reporterin geprüft. Außerdem müssen wir Warnungen über mögliche Nebenwirkungen unterschreiben. Unser Antrag geht an einen Arzt in Kroatien und wird nach knapp 40 Minuten bestätigt.

Bei einem dritten Anbieter, Dr. Ansay, wird im Fragebogen gefragt, ob wir alle anderen geeigneten Therapiemöglichkeiten erfolglos ausprobiert haben. Wenn man auf "nein" klickt, erscheint rot unterlegt die Nachricht, man könne "kein Cannabis-Patient werden".

Für die Verschreibung von medizinischem Cannabis gelten auch nach der Teillegalisierung Vorschriften für Ärzte und Apotheken. So soll Cannabis "als Therapie bei schwerwiegend Erkrankten dann verschrieben werden können, wenn keine Therapiealternative besteht", wie es auf der Website des Bundesgesundheitsministerium heißt.

Grundsätzlich gelten dieselben Regelungen wie bei anderen verschreibepflichtigen Arzneimitteln. Der Arzt müsse sorgfältig prüfen, dass die Behandlungsmethode für den Patienten geeignet ist. Auch bei einer telemedizinischen Verschreibung müsse die ärztliche Sorgfaltspflicht beachtet werden, betont das Ministerium.

Wir klicken auf "ja" und es geht weiter. Es gibt zudem eine Warnung, dass zehn Prozent der Cannabiskonsumenten süchtig würden. Auch hier wird der Personalausweis kontrolliert. Ansonsten ähnelt der Fragebogen den vorher getesteten Anbietern.

Anbieter sehen Apotheken in der Verantwortung

Die Kontrolle des Personalausweises macht in unserer Wahrnehmung den größten Unterschied zwischen den Bestellvorgängen aus. Wir fragen GreenMedical aus Dillenburg, wie das Unternehmen sichergeht, dass keine Minderjährigen bei ihm einkaufen.

Die Firma teilt uns mit, sie sehe die Verantwortung bei den Apotheken. Denn die seien "gesetzlich verpflichtet, das Alter und die Entgegennahme-Berechtigung der Empfänger:innen zu kontrollieren – genau wie an der Ladentheke vor Ort".

Suchtmediziner kritisiert das Geschäftsmodell

Um an das Cannabis zu kommen, mussten wir mit keiner Ärztin, keinem Arzt oder Apotheker sprechen. Diesen einfachen Zugang kritisiert Dr. Mathias Luderer, Leiter der Abteilung Suchtmedizin an der Uniklinik Frankfurt. Er erklärt, Cannabisabhängigkeit betreffe oft Jugendliche. Die Droge könne die Gehirnentwicklung beeinträchtigen, etwa beim Umgang mit Emotionen und Beziehungen. Es sei für Betroffene oft schwer, diese Entwicklung im späteren Leben nachzuholen.

Mit einem erhöhten Cannabiskonsum sei auch ein erhöhtes Risiko für Depressionen, Psychosen und Herzinfarkte verbunden. Auch bei erwachsenen Menschen gebe es diese Gefahren.

Luderer fehlen wissenschaftliche Beweise für die medizinische Wirksamkeit von Cannabis. Durch die Legalisierung sei zudem das Bewusstsein für mögliche Gefahren gesunken, kritisiert der Arzt. Immer wieder höre er von Patientinnen und Patienten: "Cannabis ist doch jetzt legal".

Ein Mann mit Brille, weißem Hemd und schwarzem Sakko steht vor einem Bücherregal.
Mathias Luderer leitet die Abteilung Suchtmedizin der Frankfurter Uniklinik. Bild © hr

Wirkstoffgehalt höher als empfohlen

Unser bestelltes Gras hat noch eine weitere Besonderheit: Es ist sehr potent. Mit 29 Prozent THC-Gehalt übersteigt es laut Luderer den von der deutschen Gesellschaft für Psychiatrie empfohlenen Höchstwert. Der liegt bei unter zehn Prozent.

"Alles andere erhöht das Abhängigkeitsrisiko deutlich", erklärt Luderer. Auch das Risiko für Folgeerkrankungen wie Psychosen sei höher. Unbedarften Konsumentinnen wie uns rät er vom Konsum dieser Cannabisblüte ab.

Gras-Anbieter: Cannabis ist "sehr sicheres Präparat"

GreenMedical erklärt auf Anfrage, dass die Ärzte, die die E-Rezepte ausstellen, sich "nach anerkannten medizinischen Leitlinien" richten und "etablierte Dosierungsschemata" nutzen. Jede Verordnung enthalte einen konkreten Dosier- und Einnahmeplan. Zudem könnten "Patient:innen jederzeit den behandelnden Arzt oder die zugehörige Apotheke direkt über GreenMedical kontaktieren", um gemeinsam THC-Gehalt, Produktwahl oder Dosierung individuell anzupassen.

Außerdem würden nicht alle Anträge für E-Rezepte angenommen. Die "Ärztinnen und Ärzte lehnen monatlich mehrere hundert Anfragen ab – das betrifft nur einen kleinen Teil der Gesamtanträge", heißt es per Mail.

Auch von Bloomwell heißt es, der Großteil der Anträge bei ihnen qualifiziere sich für eine Cannabis-Behandlung. Hier ist man überzeugt: "Medizinisches Cannabis ist ein sehr sicheres Präparat. Es funktioniert häufig effizienter als andere Medikamente mit weniger Nebenwirkungen." Als Plattform dürfe man keine medizinische Hilfestellung anbieten, dafür seien die kooperierenden Ärztinnen und Ärzte da.

Eine Frau hält einen qualmenden Joint.
Aus medizinischer Sicht ist der Konsum von Cannabis riskant. Bild © picture-alliance/dpa

So viel Umsatz wie nie zuvor

Die Nachfrage nach E-Rezepten und medizinischem Cannabis ist nach Angaben der Anbieter seit der Teillegalisierung stark gestiegen - wobei GreenMedical aus Dillenburg erst danach gegründet wurde. Es gebe viel mehr Bestellungen und höheren Umsatz.

Bei Bloomwell etwa sei die Zahl der eingegangenen Rezepte um etwa 1.000 Prozent gestiegen, sagt man uns. Inzwischen erhielten mehrere zehntausend Patient:innen durch diesen Anbieter monatlich Zugang zur medizinischen Cannabis-Therapie.

Fazit: Leichte Bestellung, wenig Aufklärung über Risiken

Unser Fazit nach dem Selbstversuch: Es fehlt an Aufklärung. Für Menschen, die sich einen medizinischen Nutzen erhoffen und selbst nicht einschätzen können, wie stark das ausgewählte Cannabis-Produkt ist, bleiben bei diesem schnellen Bestellvorgang die Risiken im Dunkeln.

Gleichzeitig ist Cannabis nicht das einzige Produkt, das man in einer Apotheke kaufen und - ob bewusst oder nicht - missbräuchlich verwenden kann. Eine missbräuchliche Verwendung scheint uns durch diese Form der E-Rezepte und kontaktlose Zusendung allerdings besonders leicht.

Redaktion: Marcel Sommer

Sendung: hr-fernsehen, hessenschau,

Quelle: hessenschau.de