Die Bauarbeiten im Dorf Bracht sind in vollem Gange.

Der Rauschenberger Ortsteil Bracht will schon bald Hessens erstes Solardorf sein. Mit einem besonderen Wärmespeicherprojekt meistern die Einwohner die Energiewende in Eigenregie - und hängen andere Städte und Gemeinden in Sachen Klimaschutz ab.

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Leuchtturmprojekt in Bracht: Ein Dorf treibt die Energiewende voran

Solardorf Bracht: Wie ein Dorf die Energiewende in Eigenregie schaffen will.
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Die Bagger rollen und tragen auf einer Wiese am Rand des 800-Seelendorfes Bracht, einem Ortsteil von Rauschenberg (Marburg-Biedenkopf), Erdhaufen ab. Zur Freude vieler Einwohnerinnen und Einwohner, denn Bracht will bis 2025 als erstes Solardorf in Hessen klimaneutral werden. Bis dahin ist es aber noch ein weiter Weg.

Um zügig voranzukommen, helfen viele Ehrenamtliche mit. Auch Hermann Koch von der Arbeitsgemeinschaft Solarwärme Bracht engagiert sich für die Energiewende in Eigenregie. Er ist Mitglied in der eigens für die Wärmeversorgung gegründeten Genossenschaft. Der Genossenschaftsanteil liegt bei rund 6.000 Euro.

Er mache das für seine Enkel, sagt Koch. "Ich selbst habe nichts mehr davon, ich muss es höchstens bezahlen. Aber wenn wenn wir es nicht machen, wer dann?"

Die meisten heizen mit Öl

Koch spricht von einem in Deutschland einmaligen Wärmespeicherprojekt: Schon in zwei Jahren will der Ort das erreichen, was im Klimaschutzgesetz bis 2045 verankert ist: Klimaneutralität. Dabei spielt auch für die Menschen in Bracht nicht nur der Klimaschutz eine Rolle, auch steigende Heizkosten und die Inflation erhöhen den Druck nach Alternativen zum herkömmlichen Heizen.

Die meisten Haushalte im Dorf heizen derzeit mit Öl. Ab voraussichtlich dem Jahr 2026 dürfen aber keine neuen Ölheizungen mehr eingebaut werden - nach derzeitigen Plänen der Ampel-Regierung sogar schon ab 2024. Mögliche Alternativen zum Öl wären zum Beispiel Wärmepumpen oder Pelletheizungen. Die müsste sich jeder Haushalt dann aber selbstständig einbauen und bezahlen.

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Solarfeld heizt Grubenspeicher auf

Konkret sieht das Vorhaben in Bracht so aus: Das Dorf verabschiedet sich nach und nach von den Ölheizungen. Ein großes Solarfeld soll nach Angaben der Arbeitsgemeinschaft Solarwärme Bracht die Haushalte stattdessen in naher Zukunft beheizen. Die Solarkollektoren, die auf dem Feld stehen, werden in den sonnenreichen Monaten Wasser in einem unterirdischen Grubenspeicher erhitzen. Der Speicher fasst rund 16.600 Kubikmeter Wasser, etwas mehr als sechs große 50-Meter-Schwimmbecken.

Selbst in der kalten Jahreszeit soll der gut gedämmte Erdspeicher genügend warmes Wasser für das Dorf bereitstellen. Dieses soll dann über ein neues, zehn Kilometer langes Leitungsnetz in die Häuser fließen.

Künftig sollen in Bracht rund 200 Haushalte mit Wärme aus Solarenergie versorgt werden. 98 Prozent der CO2-Emissionen im Wärmebereich könnten so eingespart werden. Bislang beteiligen sich rund 180 Haushalte an dem Genossenschaftsmodell. Das vom Land geförderte Großprojekt in Bracht kostet 16,5 Millionen Euro.

Auf dem Weg zum Solardorf: Anwohner in Bracht beobachten die Bauarbeiten.

Uni Kassel: Häuser dämmen dauert zu lange

Die Idee eines Nahwärmenetzes über Solarthermie in Deutschland ist noch recht jung. Professor Klaus Vajen, der an der Universität Kassel das Fachgebiet Solartechnik leitet, ist von dem Projekt aber überzeugt. "Das ist ein Modernisierungsschub für Bracht um 20 Jahre nach vorne, also 20 Jahre der Zeit voraus", sagt Vajen. "Hier wuppen Ehrenamtler ein Leuchtturmprojekt." Es gebe bereits weitere Kommunen, die sich für das Projekt interessierten.

Die Uni Kassel begleitet das Wärmespeicherprojekt, das auch vom Land Hessen unterstützt wird. Zu Beginn der Planungen seien allerdings Zweifel aufgekommen, ob man die Klimaziele nicht viel günstiger erreichen könne, zum Beispiel indem man alle Häuser dämmt. Berechnungen ergaben der Uni zufolge aber, dass die Kosten zwar identisch sind. Der Unterschied liege aber darin, dass es Jahrzehnte dauern würde, jedes Haus einzeln zu sanieren. "Die Solaranlage schafft dagegen die minus 98 Prozent CO2 innerhalb von zwei Jahren", so Vajen.

Regionale Wertschöpfung, die vor Ort bleibt

Der zu erwartende Energiepreis, wenn die Anlage in Betrieb ist, wird nach jetzigem Stand bei 16,5 Cent je Kilowattstunde liegen, damit liegt er etwas über dem von Gas- und Ölheizungen. Klaus Pfalz von der Arbeitsgemeinschaft Solarwärme ist trotzdem dabei: "Ich habe eine erneuerbare Energiequelle, ich muss nicht mehr von fossilen Brennstoffen abhängig sein und mit dem Geld, dass vorher in die weite Welt gegangen ist, wurde ja auch viel Blödsinn gemacht." In Bracht handele es sich um eine regionale Wertschöpfung, die vor Ort bleibe. "Da ist nicht der letzte Cent Wärmepreis entscheidend", so Pfalz.

Verloren im Behörden- und Förderdschungel

Die Solar-Pioniere aus Mittelhessen müssen sich auch erstmal im Behörden- und Förderdschungel zurechtfinden. "Hier hängt es an vielen Dingen, an denen man manchmal verzweifeln kann: Warum geht das jetzt nicht vorwärts, wann gibt es eine Baugenehmigung, wann gibt es diese oder jene Entscheidung?", kritisiert Pfalz. Er würde sich wünschen, dass sich vieles beschleunigen würde.

Auch Rauschenbergs Bürgermeister Michael Emmerich (CDU) hatte schon den Förderdschungel beklagt. "Das ist ein Universum für sich", sagte er. Doch schon bald soll in diesem ein Leuchtturm des Klimaschutzes stehen.

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