Die Bildkombination zeigt zwei Fotos nebeneinander: Links der Ort Bracht, in die Landschaft eingebettet, aus der Ferne fotografiert. Und rechts ein Foto von Flachkollektoren zur solaren Wärmegewinnung, die schräg und hintereinander aufgestellt ein Feld bestücken.

Bracht will Hessens erstes Solardorf werden. Das ambitionierte Projekt zeigt: Bis zur Energiewende ist viel zu tun. Das ist auch ein großes Thema im Bundestagswahlkampf.

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Bracht will Hessens erstes Solardorf werden

Fünf Menschen in einer Reihe auf einem Feld
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Wer das Projekt Energiewende in der Praxis erleben will, muss dafür zunächst ein paar Schlaglöcher hinter sich bringen. Das Dörfchen Bracht in der Gemeinde Rauschenberg (Marburg-Biedenkopf) liegt idyllisch am Rand des Burgwalds. Hier hat eine Initiative ambitionierte Ziele: Bracht soll Hessens erstes "Solardorf" werden, das seine Wärmeversorgung weitgehend mit Solarthermie erzeugt.

Noch ist Bracht ein ganz normales, gewachsenes mittelhessisches Dörfchen: viele Fachwerkhäuser und Architektur der 1950er bis 80er Jahre, an den Rändern ein paar Neubauten. Die meisten der rund 900 Einwohnerinnen und Einwohner heizen derzeit mit Öl - wie nach Angaben der Deutschen Energie Agentur rund ein Viertel aller Haushalte in Deutschland. Bei der Erhebung im Jahr 2015 war der Anteil in Hessen mit 39 Prozent sogar besonders hoch.

Wasserspeicher so groß wie sechs Schwimmbäder

Doch das könnte sich bald ändern. Anwohner Helgo Schütze ist Mitglied eines Arbeitskreises, der das Solarprojekt vorantreibt. Er steht auf einer Wiese am Ortsrand und breitet die Arme aus: Hier soll ein riesiges Solarfeld entstehen. Schütze sagt, dass die CO2-Emissionen im Dorf so auf einen Schlag um etwa 80 Prozent gesenkt werden können. Mit Sanierung der einzelnen Häuser würde das 20 Jahre dauern. "Aber diese Zeit haben wir nicht", so Schütze.

Mann steht vor einem Einfamilienhaus mit Solarkollektoren und Photovoltaikanlage

Die Idee: Solarkollektoren auf einem Feld sollen Wasser in einem angrenzenden unterirdischen Grubenspeicher erwärmen. Der Speicher soll rund 16.600 Kubikmeter Wasser enthalten, etwas mehr als sechs große 50-Meter-Schwimmbecken. Weil er in einer speziellen Form in die Erde gebaut und oben gut isoliert wird, soll er mit recht geringem Wärmeverlust selbst in der kalten Jahreszeit genug warmes Wasser für das Dorf speichern. Das heiße Wasser soll dann über ein neues zehn Kilometer langes Leitungsnetz in die Häuser fließen.

"Wir machen hier jeden Tag for Future"

Arbeitskreismitglied Ralf Vogt erklärt: Die Idee eines Nahwärmenetzes über Solarthermie sei in Deutschland noch recht neu. In Südeuropa seien Solarpaneele zur Warmwassergewinnung auf Hausdächern dagegen schon lange üblich. "Und Beispiele aus Skandinavien zeigen, dass das über ein Nahwärmenetz sogar noch effektiver möglich ist und gut funktioniert."

Der Anwohner ist fest davon überzeugt: Das System wird funktionieren. Außerdem werde es langfristig günstiger für die einzelnen Haushalte und über viele Jahrzehnte halten. "Wir machen hier nicht nur Fridays for Future – wir machen jeden Tag for Future", so Vogt.

Das wollen die Parteien im Bundestagswahlkampf

Der Druck, eine ganz persönliche Energiewende zu vollziehen, steigt auch durch die Politik. Ab 2026 dürfen neue Ölheizungen nur noch dann eingebaut werden, wenn sie erneuerbare Energien mit einbinden. Die meisten Parteien wollen in Zukunft Klimaneutralität und erneuerbare Energien noch stärker fördern, auch für Wohnhäuser könnte sich in den kommenden Jahren viel ändern. Unterschiede gibt es jedoch in der Frage, wie schnell und mit welchen Mitteln das vorangetrieben werden soll.

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Das steht in den Wahlprogrammen zur Energiewende

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Nur die AfD lehnt die Förderung von erneuerbaren Energien kategorisch ab. Die AfD bezweifelt etwa, dass die globale Erwärmung nur Nachteile bringt und der Verzicht auf Kohle, Öl und Gas sinnvoll ist. Besonders den Bau von Windrädern lehnt sie ab.

Die Grünen setzen sich dagegen für einen schnellen Kohleausstieg bis 2030 ein und wollen verschiedene Technologien voranbringen. Bei Heizungsaustausch - auch bei Gas - sollen erneuerbare Energien möglichst verbindlich zum Einsatz kommen. Die Grünen wollen ein Wärmepumpen-Investitionsprogramm auflegen.

Auch CDU und SPD wollen den Gebäudebestand CO2-neutral umbauen. Jedoch hält die CDU weiterhin an einem Kohleausstieg bis 2038 und an Gas als "Brückentechnologie" fest. Sie will die Energiewende vorantreiben und dabei besonders auf neue Technologien wie Wasserstoff setzen.

Die SPD will erreichen, dass alle öffentlichen Gebäude und gewerblichen Neubauten Solaranlagen auf dem Dach haben. Die SPD betont in ihrem Wahlprogramm zudem, dass der Umstieg auf erneuerbare Energien sozialverträglich sein soll. Mit dem CO2-Preis will man Vermieter "zur Modernisierung motivieren".

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Wahlprogramme im Check

Vor der Bundestagswahl am 26. September vergleicht hessenschau.de die Wahlprogramme der sechs bereits im Bundestag vertretenen Parteien - zu den Themen Energie, Pflege, Verkehr, Digitalisierung und Wohnen. Diese Beschränkung erfolgt aus Gründen der Übersichtlichkeit.

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Die FDP will ebenfalls erneuerbare Energien ausbauen, jedoch finden sich im Wahlprogramm weniger vorgegebene Technologien. Die Partei setzt auf die freie Marktwirtschaft und will durch Emissionshandel finanzielle Anreize für den Klimaschutz schaffen.

Im Kontrast dazu schwebt der Linken ein staatlicher "Transformationsfonds" für den ökologischen Umbau vor. Die Linke will außerdem, dass die Energieversorgung in Strom- und Wärmenetzen organisiert wird, die dem Gemeinwohl dienen, etwa durch Genossenschaften.

Bürgermeister stellt auch Skepsis fest

Auch in Bracht wurde inzwischen eine Genossenschaft gegründet. Doch von der Idee müssen Menschen vor Ort durchaus noch überzeugt werden: Der Anschluss an das geplante Wärmenetz ist freiwillig, sie müssen dafür rund 6.000 Euro für einen Genossenschaftsanteil zahlen.

Nicht jeder will automatisch mitmachen, erzählt Bürgermeister Michael Emmerich (CDU). Er stellt noch eine gewisse Skepsis in der Bevölkerung fest. "Man gibt seine eigene Heizung auf und schließt sich einer großen Gemeinschaft an." Doch Emmerich ist überzeugt von dem Konzept. Er hat in seiner Gemeinde bereits drei Nahwärmeprojekte mit Biogasanlagen vorangetrieben.

"Für mich ist das ein ganz wichtiges Zukunftsprojekt", sagt er. Ihm sei wichtig, die Menschen zu überzeugen, dass fossile Energiequellen der Vergangenheit angehören. Außerdem könne so ein Projekt auch das Gemeinschaftsgefühl und die Lebensqualität im Ort deutlich verbessern.

Kritik am "Förderdschungel"

Das größte Problem bei Energiewendeprojekten wie diesem sieht der Bürgermeister derzeit im "Förderdschungel", wie er ihn nennt. "Das ist ein Universum für sich", sagt Emmerich. Die Töpfe seien zwar gut gefüllt, aber die Frage sei, wie man Fördergelder mit einem "vernünftigen Aufwand" abrufen könne.

Seiner Erfahrung nach seien die Regularien oft zu kompliziert und schwer zu verstehen, die Anträge zu lang und detailliert. Die Rahmenbedingungen für eine Förderung seien manchmal so streng, dass Hausbesitzer selbst vor einfachen energetischen Sanierungsmaßnahmen zurückschrecken würden.

Nach über fünf Jahren Planungszeit und unzähligen Seiten Anträgen hat die Solardorf-Initiative es immerhin inzwischen geschafft: Das Land Hessen und die Landesenergieagentur fördern das Projekt, die Uni Kassel begleitet es fachlich. Nächstes Jahr soll es an die Umsetzung gehen.

Die Solardorf-Initiative will Bracht zu einem innovativen Leuchtturmprojekt der Energiewende machen. Doch der Weg dahin ist offenbar noch voller Schlaglöcher.

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