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Somalier wartet auf Minister-Entscheidung

Ein schwarzer Mann Anfang 20, stitzt vor einem Haus auf einer Treppe

Der Somalier Riffat Shakir Adnan ist im hessischen Hinterland bestens integriert. Seit Jahren lebt er jedoch in ständiger Unsicherheit: Er weiß nicht, ob er in Deutschland bleiben darf. Das entscheidet der Innenminister. Wann, ist völlig offen.

Wenn Riffat Shakir Adnan erzählen soll, wie es ihm geht, muss er eine Weile überlegen. "Nicht gut, aber auch nicht schlecht", sagt er dann, "denn im Gegensatz zu meinem Bruder bin ich noch hier und habe Freunde und Familie, die sich um mich kümmern." Und doch hängt er in der Luft: Seit rund einem Jahr wartet er darauf, dass Innenminister Peter Beuth (CDU) entscheidet, ob er in Hessen, in Deutschland bleiben darf oder abgeschoben wird.

Riffat kam in Somalia zur Welt. Seit 2014 lebt er im hessischen Hinterland westlich von Marburg, zusammen mit seiner Mutter, seiner kleinen Schwester - und bis zum August 2021 mit seinem jüngeren Bruder Daud. Die Familie war aus dem Bürgerkriegsland Somalia geflohen, über Italien, mit gefälschten Papieren.

Letzte Entscheidung beim Innenminister

Deswegen hoben die Behörden die Duldung der bestens integrierten und in der Kirche und Fußballvereinen engagierten Brüder auf, nachdem sie volljährig geworden waren. "Unklare Identität" hieß die Begründung. Daud wurde in einer Nacht-und-Nebel-Aktion nach Tansania abgeschoben, wo er seitdem bei der Familie eines Bekannten aus Gladenbach lebt.

Riffat floh ins Kirchenasyl, während Gundula Preisig, die Mutter seines besten Freundes Louis, mit Unterstützung der Gemeinden Gladenbach und Bad Endbach dafür kämpfte, dass Riffat bleiben darf. Im Frühjahr 2022 sprach sich die Härtefallkommission des Landes dafür aus - die letzte Entscheidung darüber liegt aber bei Innenminister Beuth.

"Versuche, die Situation zu verdrängen"

Warum ein solcher Prozess mehr als ein Jahr dauert, ist nicht im Detail zu erfahren. Das Innenministerium schreibt auf hr-Anfrage, es sei noch keine Entscheidung ergangen. Und formuliert weiter: "Die in diesem Zusammenhang vorzunehmenden Prüfungen hinsichtlich der von dem Härtefallbewerber zu erfüllenden Voraussetzungen dauern auch im Hinblick auf die in jüngerer Zeit erfolgten und entsprechend zu berücksichtigenden Rechtsänderungen gegenwärtig noch an."

Gemeint ist das Chancen-Aufenthaltsrecht, das im 31. Dezember 2022 in Kraft getreten ist und das unter anderem dann eine Aufenthaltserlaubnis für 18 Monate vorsieht, wenn der Betroffene seit mindestens fünf Jahren in Deutschland lebt. Das sei nun noch vom Landkreis Marburg-Biedenkopf zu prüfen, schreibt das Ministerium weiter.

Der Landkreis teilt auf hr-Anfrage mit, die Prüfung sei abgeschlossen - und verweist beim Ergebnis aber auf den Datenschutz, ebenso wie das ebenfalls beteiligte Regierungspräsidium Gießen. Warten bleibt also angesagt, die Dauer weiter unklar.

Das kommt nach Angaben des hessischen Flüchtlingsrats immer wieder vor - auch weil die Kommunikationswege zwischen den beteiligten Behörden mitunter lang seien. Häufiger Knackpunkt sei die Sicherung des Lebensunterhalts. So fordere das Innenministerium mitunter, dass der Lebensunterhalt gesichert sein müsse, gleichzeitig verbiete das aber eine lokale Behörde. "Wenn ein Geflüchteter im Härtefall-Verfahren ist, sollte er automatisch eine Arbeitserlaubnis bekommen", fordert deshalb Timmo Scherenberg, Vorsitzender des Rats.

"Bin 23 Jahre und habe nichts"

Seinen Lebensunterhalt hatte Riffat gesichert - eigentlich. Im August 2020 hatte er eine Ausbildung zum Sport- und Fitnesskaufmann im Gesundheitszentrum Marburg angefangen, die er auf Geheiß der Behörden aber abbrechen musste. Seitdem darf er sie nicht wieder aufnehmen oder anderweitig arbeiten.

"Ich versuche die Situation zu verdrängen", sagt Riffat. "Aber es ist schwer. Unter der Woche haben meine Freunde keine Zeit, weil sie entweder studieren oder arbeiten. Andere haben Schule. Und ich sitze zu Hause." Einzige Ablenkung seien sein Fußballverein und das Fitnessstudio.

"Die Situation ist nicht gut für meine Zukunft", analysiert er. "Ich arbeite nicht, alle, mit denen ich meine Ausbildung angefangen habe, haben ihre Zwischenprüfung geschrieben oder sind fertig. Ich werde im Sommer 23 und habe noch nichts." Und selbst wenn er bald eine Ausbildung anfangen könne: "Erst mit 27 fertig zu sein, war nicht das, was ich mir vorgestellt habe."

"Ich kontrolliere alle Türen"

Seine unklare Situation nage an seiner Psyche, sagt Riffat. Seit jener Nacht, als die Polizei seinen Bruder Daud abholte, meidet er den Nachhauseweg, über den damals die Beamten kamen. "Ich bin schreckhaft, ich kann nicht mehr bei offenen Jalousien schlafen und kontrolliere immer die Türen, dass sie auch verschlossen sind." Eine psychologische Behandlung anfangen kann er nicht - wegen seiner unklaren Aufenthaltssituation.

Zwei weiße Jungs, in der Mitte ein Schwarzer.

"Meistens bekommt Louis alles ab, wenn es mir schlecht geht", erzählt er über den Austausch mit seinem besten Freund. "Dann rufe ich ihn an, steige ich in den Bus zu ihm nach Marburg und heule mich aus." Andererseits versuche er, nicht dauernd zu zeigen, wie sehr in die Situation belaste. "Die anderen haben in den letzten zwei Jahren viel wegen mir durchmachen müssen, ich will nicht, dass sie kaputt gehen."

Ähnlich gehe es seiner Mutter, sie versuche vor allem, die kleine Schwester zu schützen. "Sie kommt immer wieder mit roten Augen aus der Dusche und sagt dann, es sei die Seife gewesen", erzählt Riffat. Die Angst wachse, dass sich Daud in Tansania etwas antue. "Erst gestern hat er hat mir geschrieben, dass er es nicht mehr lange aushält, allein zu sein."

Jeden Tag hoffen auf den Brief

Riffats bester Freund Louis übt sich in Fatalismus. "Es ist zwei Jahre her. Irgendwie gehört es inzwischen zum Leben dazu", sagt er. "Jeden Tag Angst zu haben bringt ja nichts, wir versuchen, das Beste draus zu machen." Ähnlich sieht es seine Mutter Gundula Preisig: "Wir haben getan, was in unserer Macht stand." Und doch: "Beim Gang zum Briefkasten denke ich schon oft: Ist er jetzt endlich dabei, der Brief?" Riffats größter Wunsch ist wenig überraschend: "Dass endlich eine Entscheidung getroffen wird."

"Natürlich positiv", ergänzt Preisig.

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Hintergründe und Informationen zu den verschiedenen Aufenthaltstiteln in Deutschland finden sich unter anderem beim Bundesministerium des Inneren oder beim Informationsverbund Asyl und Migration, einem Zusammenschluss verschiedener Wohlfahrtsverbände.

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