Bis zu zehn Tage Arbeit am Stück. Hohe emotionale Belastung. Trotzdem liebt Intensivpflegerin Melissa Dworschak ihren Job. Was sie sich zum Tag der Pflege aber wünscht, ist mehr gesellschaftliche Anerkennung.

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Intensivpflege nach zwei Jahren Corona

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Der Patient ist noch etwas benommen. Zunächst sah es so aus, als sei seine Bypass-Operation nach Plan gelaufen. Doch am frühen Morgen, gegen 4 Uhr, hatte Jürgen Lange* Blutungen und musste noch einmal operiert werden. Mit Erfolg.

Am Morgen danach erholt er sich auf der ITS-1, der Post-OP-Intensivstation der Kerckhoff-Klinik in Bad Nauheim (Wetterau). Ein EKG überwacht seinen Herzschlag, ein gutes Dutzend Schläuche versorgt ihn mit Medikamenten oder Sauerstoff. Pflegerin Melissa Dworschak ist zur Blutabnahme gekommen. "Geht es Ihnen gut, haben Sie Schmerzen?", fragt sie ihren Patienten. Die leise Antwort: "Nein, alles gut."

"Intensivpflege ist besonders anspruchsvoll"

Seit 2017 arbeitet die 30-Jährige auf der OP-Intensivstation. Zum Pflegeberuf kam Dworschak über ein Praktikum in der Altenpflege. 2011 ließ sie sich zunächst zur Alten-, dann zur Krankenpflegerin ausbilden. Am Job habe sie schlicht die Nähe zu den Menschen gereizt, erzählt sie.

Foto: Counter einer Pflegestation mit vielen Monitoren und arbeitssamen Pflegepersonal.

Schnell kam sie zur Intensivstation: "Hier liegt eine andere Klientel", erklärt sie. "Das macht die Arbeit besonders anspruchsvoll." Die Patienten müssen konzentriert überwacht werden, vor allem, wenn sie im Koma liegen. Außerdem könne sie selbst diagnostisch und therapeutisch tätig werden, berichtet Dworschak.

Alle drei, vier Stunden Blutwertanalyse

Bei Herrn Lange kontrolliert sie zunächst die drei Überwachungsmonitore neben seinem Bett, dann zapft sie ihm eine kleine Menge Blut ab und trägt das Plastikröhrchen ein Zimmer weiter. Hier schiebt sie das Röhrchen in eine Art kleinen Computer, der ihr blitzschnell die Werte ausspuckt.

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"Auch einen 160-Kilo-Mensch musst du auf den Bauch drehen"

Foto: Ein Mann liegt schwerkrank in einem Bett. Daneben viele technische Geräte und eine Pflegerin mit Maske und Arbeitskleidung.
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"Die sogenannte Blutwertanalyse machen wir alle drei bis vier Stunden, um zum Beispiel zu sehen, ob die Sauerstoffsättigung okay ist oder ob wir welchen zuführen müssen", erklärt sie. Bei ihrem Patienten sei alles im grünen Bereich. Bald steht bei ihm eine erste sanfte Krankengymnastik an.

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Pflegekräfte in Deutschland

Nach Angaben des Statistischen Bundesamts waren bis Ende 2020 in Deutschland rund 486.000 Beschäftigte in Krankenhäusern in der Pflege tätig. In hessischen Krankenhäusern waren es 36.250 Personen. In Pflegeheimen und der ambulanten Pflege waren es 2019 deutschlandweit rund 954.000 Personen, aktuelle Zahlen weist das Amt nicht aus.

Die Kerckhoff-Klinik ist spezialisiert auf Herz-, Lungen-, Gefäß- und Rheumaerkrankungen. In der Klinik arbeiten insgesamt 450 Pflegekräfte, davon 60 auf der Post-OP-Intensivstation. Am 9. Juli ist dort ein "Karrieretag" für Pflegende geplant.

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"Es kann extrem anstrengend werden"

Herr Lange ist einer von zwei Patienten, die Dworschak in ihrer Schicht betreut. Seit 4.15 Uhr ist sie an diesem Morgen auf den Beinen, Dienstbeginn war 6.15 Uhr. Davor fuhr sie rund 60 Kilometer nach Bad Nauheim. Ein Arbeitsplatz näher an ihrem Heimatort kommt nicht infrage: "Ich fühle mich extrem wohl hier", sagt sie. "Wir sind ein junges Team, viele von uns sind auch privat befreundet."

Routinetage sind sehr entspannt, erzählt sie: Sie bestehen aus Check-ups der frisch Operierten, Lunge und Bauch abhören, die Patienten waschen, die Betten beziehen, Blutwerte bestimmen, Gespräche mit den Patienten, ihnen Angst und Schmerzen nehmen, Neuaufnahmen.

Liegen mehrere Patienten in kritischem Zustand auf der Station, "kann es allerdings extrem anstrengend werden", sagt Dworschak. "Dann kommt permanent etwas anderes: Ein Patient blutet, der Kreislauf bricht ein, du musst reanimieren, jemanden von jetzt auf gleich auf den Bauch drehen." Körperlich belastend sei auch der Schichtbetrieb mit dem Wechsel von Früh- und Spätschichten.

Foto: Ein Pflegerin mit Maske und Arbeitskleidung bedient ein technisches Gerät in einem Arbeitsraum.

Auszeit im Sanitätshaus

So kam es, dass Melissa Dworschak von Anfang 2020 bis Anfang 2021 ein Jahr Pause von der Pflege machte und in einem Sanitätshaus anfing. "Fast jede Pflegekraft kommt einmal an den Punkt, an dem sie etwas anderes ausprobieren möchte", erklärt sie. Doch die neue Arbeitsstelle machte sie auf Dauer nicht glücklich: "Mir fehlte der Bezug zum Menschen. Und ich war überhaupt nicht gefordert."

Mitten in der dritten Corona-Welle kehrte sie zurück auf die Intensivstation, die damals zur Corona-Station umfunktioniert war. "Es war eine ungemein belastende Zeit", sagt Dworschak. "Es sind so viele Patienten verstorben, egal was man gemacht hat. Herzzerreißend waren die Telefonate, die die Erkrankten mit den Angehörigen geführt haben, kurz bevor sie ins Koma gelegt wurden." Viele wachten nicht mehr auf.

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"Tag der Pflege"

Der 12. Mai als Aktionstag erinnert jährlich an den Geburtstag der britischen Krankenschwester Florence Nightingale, eine der Begründerinnen der modernen westlichen Krankenpflege und einflussreiche Reformerin im Gesundheitswesen.

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"Kurz geklatscht, das war es dann"

Während der Corona-Pandemie wurde viel darüber geredet, den Pflegeberuf aufzuwerten. Ein Jahr später sei politisch so gut wie nichts passiert, sagt Dworschak: "Es wurde kurz mal für uns geklatscht, das war es dann." Knapp 40 Prozent des Pflegepersonals erwägen denn auch einen Berufswechsel, wie eine im Januar 2022 veröffentlichte Studie ergab.

Das bekommt auch Marco Dohle, der Leiter der Intensivstation, zu spüren. 60 Pflegende arbeiten auf seiner Station, zehn und mehr könnte er zur Zeit einstellen, wie er berichtet. Zusammen mit der Klinikleitung versucht er, die mangelnde politische Wertschätzung im Rahmen des Möglichen aufzufangen. "Meine Pflegekräfte müssen keine Tabletten bestellen oder Schränke auffüllen", erzählt Dohle. Deswegen beschäftige er so viele Hilfskräfte wie möglich. "Die Pflegenden sollen sich auf die Patienten konzentrieren. Man kann den Beruf durchaus sehr gut und mit Spaß machen."

Foto: Ein Pfleger mit Maske und Arbeitskleidung sitzt auf einem Stuhl und schaut in die Kamera.

Größter Wunsch: Wertschätzung

Zudem arbeitet Dohle nach eigener Auskunft daran, eine Fünf-Tage-Woche einzuführen oder besser: die aktuell geltende 5,5-Tage-Woche auch durchzusetzen. Aktuell kommt es vor, dass Pflegende bis zu zehn Tage am Stück arbeiten, etwa wegen Schichtwechseln oder Krankheitsfällen. Auch eine Änderung der Schichtzeiten ist im Gespräch: Ein Dienstbeginn der Frühschicht um 7.15 Uhr könnte den Beruf attraktiver für Mütter machen, sagt Dohle.

Melissa Dworschak wünscht sich vor allem eines für ihren Beruf: Wertschätzung. In Form von Geld, aber auch von gesellschaftlicher Anerkennung. Auf der Intensivstation will sie bleiben, sie beginnt demnächst eine Weiterbildung. Ob sie ihren Beruf bis zur Rente durchhält? "Der Rücken, das schwere Heben: Wie lange ich die körperliche Belastung schaffe, weiß ich nicht", sagt sie.

*Name von der Redaktion geändert

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