Notaufnahme in einem Krankenhaus

Überstunden, 24-Stunden-Dienste, Sparzwänge im Krankenhaus: Wie krank unser Gesundheitssystem ist, zeigt eine hr-Doku in der ARD-Mediathek. Eine Ärztin aus Frankfurt gibt auf und steigt aus.

Videobeitrag

Video

My doctor’s life – Tagebuch einer Ärztin, die aussteigt

Protagonistin vorne rechts, im Hintergrund OP-Tisch und -Besteck.
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"Manchmal feiert man die kleinen Momente, dass man endlich mal auf die Toilette gehen oder ein Glas Wasser trinken kann", sagt Stefanie Minkley während einer 24-Stunden-Schicht. Die 33-Jährige wohnt in Frankfurt und war bis vor kurzem Ärztin in einer Klinik. Nach nur sechs Jahren hat sie ihren Job gekündigt und will nicht weiter in dem Beruf arbeiten.

Minkley ist kinderlos, mag Marvel-Filme und kommt aus keiner Akademikerfamilie. Mit 13 Jahren habe sie den Traum gehabt, Chirurgin zu werden. TV-Sendungen über den Krankenhausalltag seien der Auslöser gewesen; sie wollte mit Menschen arbeiten, sie wollte Action. Die Arbeitsbedingungen in den Kliniken führten jedoch letztendlich dazu, dass dieser Traum zum Alptraum wurde.

Umfrage: 25 Prozent der Klinikärzte erwägen aufzuhören

Die Belastung für das Personal in den Kliniken ist allgemein hoch: Umfragen der Gewerkschaft "Marburger Bund" unter Ärztinnen und Ärzten ergaben, dass die tatsächliche Arbeitszeit bei 57 Prozent der Befragten über 49 Stunden pro Woche betrage – 18 Prozent arbeiteten sogar bis zu 79 Stunden wöchentlich. Und: Ein Viertel aller befragten Klinikärzte erwägen der Umfrage zufolge aufzuhören. 18 Prozent wissen nicht, ob sie den Beruf weiter ausüben möchten.

Der Stress und die dünne Personaldecke in Krankenhäusern sind häufig angegebene Gründe: In der Umfrage des Marburger Bundes bewerteten 66 Prozent die Personaldecke als schlecht oder eher schlecht. Das bekam Stefanie Minkley bereits bei ihrer Einarbeitung nach dem Studium zu spüren.

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Doku: "My doctor's life - Tagebuch einer Ärztin, die aussteigt"

Stefanie Minkley sitzt mit Arztkittel in einem Büro ihrer Klinik.

Begleiten Sie Stefanie Minkley während ihrer letzten Tagen als Ärztin – in der TV-Dokumentation "My doctor's life - Tagebuch einer Ärztin, die aussteigt", die am 10. November um 21.45 Uhr im hr-fernsehen läuft und schon jetzt in der ARD-Mediathek abrufbar ist. Es ist ein besonderer Einblick in eine eher verschlossene Welt: Kein angefragtes Krankenhaus wollte unserem Kamerateam eine Drehgenehmigung erteilen. Die Doku besteht daher aus Selfie-Clips, die Minkley während ihres Arbeitsalltags gedreht hat.

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Kündigung nach Probezeit

Schon ihren Start in den Beruf beschreibt sie als holprig: Nach dem Studium an der Goethe-Universität habe sie sich in einem Krankenhaus beworben. Einen Tag lang bekam sie eine Einweisung: Wo sich etwas befindet, wie die Computersysteme funktionieren. Am nächsten Arbeitstag saß sie bereits alleine in der Notaufnahme. Mit voller Verantwortung.

Diese schlechte Einarbeitung fiel ihr später auf die Füße: Nach einem halben Jahr in der Klinik, zum Ende ihrer Probezeit, bekam sie ihre Kündigung. Man halte sie nicht für fit genug für den Chirurgen-Job, hieß es zur Begründung. Für Minkley brach damit früh eine Welt zusammen.

Stefanie Minkley im OP-Saal - eine Kollegin hilft beim Ankleiden.

Später erfuhr sie, dass einer anderen Ärztin im selben Krankenhaus das Gleiche widerfahren war. Unter der Hand sagte eine Kollegin zu ihr: "Das ist einfach so, das wird sich auch nicht ändern." In einer anderen Klinik hat Minkley danach schnell wieder eine Anstellung gefunden.

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Studium, Fachausbildung, Facharztprüfung

Nach dem Abitur folgte bei Stefanie Minkley ein 13 Semester langes Medizinstudium, dann die Arbeit im Krankenhaus. In dieser Zeit machen angehende Ärzte ihre Fachausbildung. Die kann unterschiedlich lange dauern - in der Allgemeinchirurgie, wie bei Minkley, dauerte sie sechs Jahre. Am Ende dieser Ausbildung muss die Facharztprüfung abgelegt werden. Minkley steht genau an diesem Punkt, will noch ihre Prüfung schreiben, aber danach nicht weiter als Ärztin arbeiten.

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Was die Kliniken interessiert: Geld und Zahlen

Ein Schlüsselerlebnis, das Minkley zum Kündigen bewogen hat, habe es nicht gegeben, sagt sie. Mit der Erfahrung sei ihr Selbstbewusstsein gestiegen; sie habe sich immer mehr getraut, auch etwas gegen Missstände zu sagen. Geholfen habe es nicht.

Stefanie Minkley in OP-Montur: Maske, Handschuhe, Haube

Minkley zufolge gehe es um zwei Dinge in einer Klinik: Geld und Zahlen. Darum drehe sich intern alles. Patienten hätten Eingriffe erhalten, einfach nur weil sie gut abgerechnet werden konnten. Dokumentieren müsste man Sachen, die gar nicht oder nur viel kleiner gemacht wurden, weil sie dem Krankenhaus Geld bringen. Kliniken nutzten viele Grauzonen zu ihrem Vorteil.

Als sie ihren Oberarzt in einem Fall fragte, warum denn der Patient operiert werden müsste, sei die Antwort gewesen: "Weil es Geld bringt."

Kündigung trotz Verdienst von 10.000 Euro im Monat

"Es wird immer erwartet, dass man froh und dankbar sein muss, in so einer Klinik zu sein", sagt Minkley. Als Frau sei sie in der Minderheit in diesem Beruf – unter den Assistenzärzten war sie zeitweise die einzige. Wenig Schlaf gehöre auch dazu: siebenmal im Monat einen 24-Stunden-Dienst zu übernehmen, sei normal. "Wenn ich dann nach einem langen Tag die Augen schließe, träume ich davon, wie es wäre, wenn ich weniger arbeiten müsste und endlich mehr Freizeit hätte", sagt sie in der hr-Doku.

Dabei sei der Verdienst im Job sehr gut. Im sechsten Ausbildungsjahr, mit allen Diensten und Notarzteinsätzen, die sie noch zusätzlich gemacht hatte, kam Minkley nach eigenen Angaben auf rund 10.000 Euro im Monat. Davon gehe zwar die Hälfte für Steuern und Abgaben ab, der Verdienst sei aber dennoch hoch. Und sie stand erst am Anfang ihrer Karriere.

Minkley sieht Schuld im Gesundheitssystem

Ihre letzten Wochen als Ärztin seien besonders kräftezehrend gewesen. Sechs Jahre habe sie Vollgas gegeben in ihrem Beruf. "Da kommt man irgendwann an sein Limit", so Minkley. Die Schuld an den Arbeitsbedingungen sieht sie nicht bei den Oberärzten, nicht einmal bei den Kliniken. Es fehle an Geld, um sich allein auf das Wohl der Patientinnen und Patienten zu konzentrieren. Die Schuld sieht sie im Gesundheitssystem.

Für ein besseres Gesundheitssystem kämpft Minkley inzwischen auf Demonstrationen. Politisch engagiert sie sich seit 15 Jahren bei den Sozialdemokraten - und will als Frankfurter SPD-Kandidatin bei der Landtagswahl 2023 antreten. Minkley sagt: "Ich glaube, dass sich die Gesellschaft mehr dafür einsetzen muss. Denn es geht letztendlich um die Patientinnen und Patienten. Und das kann irgendwann jeder sein."

Kolleginnen verabschieden sich: "Wieder eine Gute, die geht"

Am letzten Arbeitstag blickt Minkley wehmütig auf ihre alte Wirkungsstätte, so als ob sie kaum glauben könnte, dass der Traum nun ausgeträumt sei. Sie schaut sich noch einmal um, in den Pausenräumen oder dort, wo die medizinischen Utensilien gelagert werden. Kolleginnen sind da, um sich von ihr zu verabschieden. "Wieder eine Gute, die geht", sagt eine zu Minkley bei der Umarmung.

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