Marlene Förster bei der Arbeit im nordirakischen Lalesh

Eine Aktivistin und freischaffende Journalistin aus Darmstadt ist im Irak festgenommen worden. Ihr wird Terrorunterstützung vorgeworfen - offenbar weil sie zur jesidischen Minderheit recherchiert hatte. Ihre Familie macht sich große Sorgen.

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Im Irak inhaftiert – Unterstützung für Darmstädter Journalistin

hessenschau vom 12.05.2022
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Vor über einer Woche wurde die freiberufliche Journalistin und Aktivistin Marlene Förster aus Darmstadt im Irak festgenommen und ins Hauptquartier des Geheimdienstes in Bagdad gebracht. Gegen die 29-Jährige wird offenbar der Vorwurf der Terrorunterstützung erhoben, wie das Kurdische Zentrum für Öffentlichkeitsarbeit Civaka Azad am Freitag mitteilte. Das Zentrum steht nach eigenen Angaben in Kontakt mit dem Anwalt der Familie Förster.  

Marlene Förster wollte nach Angaben ihrer Familie zusammen mit einem slowenischen Kollegen die Situation der jesidischen Minderheit im Nordirak acht Jahre nach dem Genozid durch den IS dokumentieren. Sie engagiert sich schon seit längerem für das Selbstbestimmungsrecht der Kurden und Jesiden im Grenzgebiet des Iraks, Syriens, der Türkei und des Irans. Der slowenische Kollege Mateja K. wurde ebenfalls festgenommen, von ihm fehlt bislang weiterhin jede Spur.

Recherchen über die jesidische Gesellschaft und ihre Bestrebungen nach Selbstbestimmung würden nach Einschätzung von Civaka Azad von der irakischen Regierung oft als Terrorunterstützung ausgelegt. Die Jesiden betrachten sich teilweise als ethnische Kurden, teilweise als eigenständige Ethnie. Die Vereinten Nationen erkennen sie als eigenständige Ethnie an.

Auch der Slowene Mateja K. wurde festgenommen.

Mehrere Tage im Hungerstreik

Acht Tage lang war Marlene Förster nach ihrer Festnahme wie vom Erdboden verschluckt. Es gab keinen Kontakt zu Freunden oder Familie, niemand wusste, wo sie hingebracht wurde. Erst nachdem sie mehrere Tage in den Hungerstreik getreten war, durften Vertreter der Deutschen Botschaft die Darmstädterin in ihrer Einzelzelle besuchen, wie Lydia Förster, die Mutter der Inhaftierten, im Gespräch mit dem hr sagt.

"Meiner Tochter geht es den Umständen entsprechend gut", schildert die Mutter, "sie ist eine starke Person". Im Gefängnis werde sie immer wieder verhört, körperlich sei Marlene aber nicht misshandelt worden, habe die Botschaft ihr versichert. Nach acht Tagen in Angst und Sorge sei ihr nach dem ersten Lebenszeichen "ein Stein vom Herzen gefallen".

"Was machen die da wohl mit ihr?"

Die Erleichterung werde allerdings überschattet von der großen Sorge darüber, was nun mit ihrer Tochter passiert. Am Anfang habe sie noch gehofft, es handele sich lediglich um ein abgelaufenes Visum. Diese Hoffnung habe sich nach den neuesten Erkenntnissen der Botschaft aber zerschlagen. "Man liest ja immer wieder von Menschenrechtsverletzungen im Irak und das macht natürlich Angst", so die Mutter. "Ich frage mich die ganze Zeit, was die dort wohl mit ihr machen werden."

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Darmstädterin tagelang in Hungerstreik

Marlene Förster (li.) mit ihrer Mutter Lydia
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Über das Rote Kreuz, das Gefangene besuchen darf, will Lydia Förster ihrer Tochter nun zumindest Kleidung und Medikamente zukommen lassen. Marlene sei Asthmatikerin und brauche entsprechendes Spray. Vorerst sei sie damit aber versorgt.

Freunde und Familie setzen sich ein

Seit der Festnahme setzen sich Freunde und Familie vehement dafür ein, dass der Fall öffentlich bekannt wird. Die Eltern haben unter anderem einen offenen Brief an Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) verfasst, in dem sie die Politikerin bitten, sich im Sinne der "Pressefreiheit" für die Freilassung ihrer Tochter einzusetzen. Am Freitagvormittag hatten sich Unterstützerinnen und Unterstützer vor dem Auswärtigen Amt in Berlin eingefunden, um weiter auf den Fall aufmerksam zu machen.

Auch die Landtagsfraktion der Linken hatte vor wenigen Tagen die Landesregierung aufgerufen, sich für die Freilassung einzusetzen. Als Partei stehe man solidarisch an der Seite der Jesidinnen und Jesiden, für das Selbstbestimmungsrecht der Völker und die Freiheit der Presse, darüber zu berichten, sagte der Fraktionsvorsitzende Jan Schalauske.

Ob und wann Marlene Förster offiziell angeklagt wird, ist derzeit noch völlig unklar. Von offizieller Seite gibt es zu dem Fall keine Auskunft - weder auf Bundes- noch auf Landesebene.   

Kritische Lage im Nordirak

Marlene Förster hielt sich offenbar bereits seit mehreren Monaten im Irak auf. Die Lage im Nordirak ist aktuell besonders brisant. Mitte April, wenige Tage vor der Festnahme, hat die Türkei dort eine neue Offensive gegen kurdische Kämpfer gestartet. Dabei wurden Kampfjets und Drohnen eingesetzt, mehrere Kurden seien getötet worden.

Nach Angaben des Kurdischen Zentrum für Öffentlichkeitsarbeit wurden Marlene Förster und ihr slowenischer Kollege an einem irakischen Checkpoint festgenommen. Ihre Telefone und Taschen seien beschlagnahmt worden, anschließend habe man sie mehrere Stunden verhört und einer Leibesvisitation unterzogen.

In Darmstadt aufgewachsen

Marlene Förster wuchs in Darmstadt auf und besuchte dort das Ludwig-Georg-Gymnasium. 2011 wurde sie Stadtschulsprecherin. In ihrer Zeit an der Technischen Universität gehörte sie dem Studierendenauschuss AStA an.

Zurzeit ist sie an der Uni Marburg eingeschrieben und studiert dort Geschichte sowie Friedens- und Konfliktforschung. Als freie Journalistin und Aktivistin hat sie unter anderem für verschiedene Nachrichtenmedien über kurdisches Leben berichtet.

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