Defektes Fernwärmenetz in Wetzlar 70 Anwohner und eine Kita seit Wochen ohne warmes Wasser

In den Straßen dampft es heiß aus den Gullis, aber in den Häusern bleibt es kalt. Auch eine Kita ist betroffen. Wegen eines defekten Fernwärmenetzes in Wetzlar steht ein Energiedienstleister in der Kritik. Nicht zum ersten Mal.

Dampfender Gulli im Wohngebiet
Heißer Dampf, aber kalte Häuser im Wetzlarer Westend Bild © Rebekka Dieckmann
  • Link kopiert!
Videobeitrag

Fernwärme-Ausfall in Teil von Wetzlar

hessenshau vom 06.10.2022
Bild © hessenschau.de
Ende des Videobeitrags

Schön warm hier. Ali Karaaslan hält die Hand über den heißen Wasserdampf, der aus einem Gulli auf der Straße aufsteigt. Kalt dagegen ist sein Haus, das nur wenige Meter entfernt liegt. Karaaslan hat kein warmes Wasser mehr - seit dem 18. Juli. Wenn er duschen will, muss er ins Schwimmbad gehen. Worin die Störung liegt, das wisse er nicht. "Da ist etwas im Boden undicht", sagt er.

Tagesmutter: "Wir sitzen hier im Kalten"

Wie Karaaslan geht es auch anderen Anwohnern. 26 Häuser der Siedlung im Wetzlarer Westend sind betroffen, über 70 Menschen; auch ein Nachbarschaftszentrum mit Kita. Angesichts kälter werdender Tage haben sich inzwischen einige Bewohner Heizlüfter angeschafft - so wie Stella Melkonian, die zu Hause als Tagesmutter fünf Kinder unter drei Jahren betreut. "Wir sitzen hier im Kalten, es ist einfach schlimm", sagt sie. Um die Kinder zu waschen, müsse sie derzeit ständig Wasser aufkochen und mische das dann mit kaltem Wasser.

Frau vor Haus
Stella Melkonian arbeitet als Tagesmutter Bild © Rebekka Dieckmann

Die betroffenen Häuser sind alle an das Fernwärmenetz eines privaten Energieversorgers angeschlossen, der neben der Siedlung ein Kraftwerk betreibt, den Schornstein im Wald kann man von den Häusern aus sehen.

Das Wohngebiet am Wetzlarer Stadtrand wurde vor 16 Jahren erschlossen, direkt im Umfeld einer ehemaligen Kaserne. Das Fernwärmekraftwerk gehörte vorher der Bundeswehr. Als die in den 1990er Jahren ihren Standort aufgab, kaufte ein privates Unternehmen die Anlage: die Energieanlagen Betriebsgesellschaft mbH (EAB), die einem Ehepaar aus Baden-Württemberg gehört.

Unternehmen seit Jahren in der Kritik

Besonders ärgerlich: Für die Anwohner ist das Unternehmen derzeit kaum erreichbar. Inzwischen ist auch die Internetseite, die vorher noch einen 24 Stunden-Service versprach, "unter Bearbeitung", wie es heißt. Geschäftsführerin Birgit Dreyer räumt am Telefon zumindest gegenüber dem hr ein: Es gebe derzeit eine Leckage, nach der man suche. Man tue alles, was möglich sei, um das Problem zu lösen. Mehrfach sei ein Unternehmen vor Ort gewesen, um den Schaden zu suchen. Wie lange es noch dauert, bis das Netz wieder komplett läuft, könne man aber nicht sagen.

Das Unternehmen steht in Wetzlar schon seit Jahren in der Kritik, berichtet Stadtrat und Energiedezernent Norbert Kortlüke (Grüne). Immer wieder sei es zu Ausfällen und fehlerhaften Abrechnungen gekommen. "Teilweise haben Leute seit mehreren Jahren überhaupt keine Energieabrechnung bekommen", sagt er.

Audiobeitrag
Bild © Rebekka Dieckmann| zur Audio-Einzelseite
Ende des Audiobeitrags

Die Stadt versuche schon seit 2015, das Netz von der EAB zu übernehmen oder das Unternehmen zumindest bei der Abrechnung zu unterstützen – allerdings seien die Verhandlungen erfolglos verlaufen. Zu einem derartigen Komplettausfall sei es aber noch nie gekommen, meint Kortlüke. "Etwas Vergleichbares habe ich auch noch von nigendwo anders gehört."

Stadt ist selbst betroffen

In ihrer Verzweiflung haben sich die Anwohner nun an die Stadt gewandt - verständlicherweise, meint Kortlüke. "Das Problem ist aber, dass wir als Stadt keine Handhabe haben." Zuständig für die Rohre und das Kraftwerk sei die EAB, die Stadt sei als Eigentümerin des Nachbarschaftszentrums und der Kita sogar selbst Kundin des Privatunternehmens. "Und auch wir erreichen die EAB derzeit kaum noch", sagt Kortlüke.

Mann zeigt auf Schornstein im Wald
Den Schornstein des Kraftwerks können Anwohner von ihren Häusern aus sehen Bild © Rebekka Dieckmann

Derzeit bleibe der Stadt und den anderen Kunden nur die Möglichkeit, mit Anwälten zivilrechtlich gegen das Unternehmen vorzugehen, was derzeit auch schon geschehe, so der Stadtrat. Unklar sei derzeit auch noch die Frage, wer überhaupt die Aufsicht über solche Fernwärmeanbieter hat. "Das ist offenbar eine sehr komplizierte Frage." Man sei schon im Gespräch mit dem Hessischen Wirtschaftsministerium.

Verbraucherschützer kritisieren fehlende Regulierung

Obwohl rund sechs Millionen Haushalte in Deutschland Fernwärme beziehen - also keine eigene Heizungsanlage im Haus haben - ist dieser Energiemarkt tatsächlich gesetzlich nicht reguliert. Während die Bundesnetzagentur etwa bei Problemen mit Strom- und Gasversorgern als Schlichtungsstelle auftreten und sogar Zwangsgelder verhängen kann, heißt es dort: "Fernwärme gehört nicht zum gesetzlichen Aufgabenbereich der Bundesnetzagentur." Lediglich für den Wettbewerbsschutz sei das Bundeskartellamt zuständig.

Kritik an der mangelnden Regulierung und der gleichzeitigen Monopolstellung vieler Fernwärmeanbieter äußern Verbraucherschützer schon seit Jahren. Der Verbraucherzentrale Bundesverband, der Deutsche Mieterbund und der Bundesverband Neue Energiewirtschaft sprechen in einer gemeinsamen Stellungnahme etwa von "gefangenen Kunden eines Monopolmarkts". Oft hätten die Kunden gar keine Alternative, als den Fernwärmeanbieter zu wählen. Der Markt sei intransparent und müsse reformiert und reguliert werden.

Stadt will Wärmeinseln schaffen

Um den Anwohnern ein bisschen zu helfen, will die Stadt Wetzlar jetzt zumindest "Wärmeinseln" schaffen: Im Nachbarschaftszentrum werden Ölradiatoren aufgestellt, außerdem will die Stadt mobile Dusch-Container mit Durchlauferhitzern mieten. Der Betrieb soll etwa 2.000 Euro die Woche kosten. Außerdem plane man derzeit, zwei oder drei noch leerstehende Neubau-Wohnungen in der Umgebung anzumieten, in denen Betroffene sich ebenfalls aufwärmen und warm duschen könnten.

Weitere Informationen

Sendung: hr-fernsehen, hessenschau, 6.10.22, 19.30 Uhr

Ende der weiteren Informationen

Quelle: Franco Foraci, hessenschau.de