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Osthessen hat die längsten Wege zu Kliniken für Schwangerschaftsabbrüche

Ein Schwangerschaftstest zeigt zwei Streifen an und ist damit positiv.

Wer eine Schwangerschaft abbrechen möchte, muss häufig viele Hürden überwinden. Eine davon ist, überhaupt bis zu einer Klinik zu kommen, die Abtreibungen durchführt. Am schlimmsten ist die Lage laut einer Studie in Osthessen.

Seit dreieinhalb Jahren forschen über 30 Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen von sechs Unis und Hochschulen nun am sogenannten ELSA-Projekt. ELSA steht für "Erfahrungen und Lebenslagen ungewollt Schwangerer – Angebote der Beratung und Versorgung". Ziel des Projekts ist es also, Daten darüber zu erheben, wie die Versorgungslage von Frauen ist, die ungewollt schwanger geworden sind.

Die Hochschule Fulda leitet das Projekt ELSA. Im Herbst soll die Studie abgeschlossen werden; ein Gesamtbericht einschließlich Handlungsempfehlungen soll dann vorliegen. Aufgrund der hohen Relevanz haben die Verantwortlichen bereits jetzt erste Ergebnisse zur Verfügung gestellt.

Versorgung in Osthessen teilweise nicht ausreichend

Ein Teil der erhobenen Daten bezieht sich auf die Erreichbarkeit von Einrichtungen, die Schwangerschaftsabbrüche durchführen. Heißt: Wie lange müssen Menschen mit dem Auto fahren, bis sie bei der nächsten Klinik oder Praxis sind, die Schwangerschaftsabbrüche anbietet? Brauchen in einem Landkreis mehr als 5 Prozent der Menschen länger als 40 Minuten bis zur nächsten Einrichtung, gilt das als unzureichend.

Rona Torenz ist an dem Projekt beteiligt und hat die Daten auch für Hessen ausgewertet. Sie sagt, in Hessen erfüllen drei Landkreise nicht die Kriterien für eine angemessene Erreichbarkeit: "In Fulda benötigen 61,8 Prozent, im Vogelsbergkreis 39,3 Prozent und im Werra-Meißner-Kreis 19,0 Prozent der Bevölkerung länger als 40 Pkw-Minuten zum nächsten Angebot für einen Schwangerschaftsabbruch." In allen anderen Kreisen liege der Wert unter den angesetzten 5 Prozent, so die Wissenschaftlerin der Hochschule Fulda.

Aber nicht nur die Entfernung zu einer Einrichtung kann ein Hindernis für eine ungewollt Schwangere sein, sondern auch die Anzahl der Einrichtungen. Ein kurzer Weg nützt nichts, wenn die wenigen Kliniken überlastet sind. Im gesamten Wetteraukreis und dem Landkreis Marburg-Biedenkopf gibt es laut Studie jeweils nur eine Einrichtung, die Abbrüche durchführt.

Bundesweit liegt Bayern ganz hinten

Von 400 Landkreisen in ganz Deutschland erfüllen 85 nicht die vom ELSA-Projekt angesetzten Kriterien zur Erreichbarkeit. Allein 43 davon liegen in Bayern. Fast ein Fünftel der Frauen in Bayern haben demnach keinen angemessenen Zugang zu Kliniken und Praxen, in denen Schwangerschaftsabbrüche möglich sind. In Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg gibt es jeweils acht Landkreise, die die 5-Prozent-Hürde nicht schaffen.

Insgesamt liegen vor allem im Süden und Westen Deutschlands die meisten Gebiete, in denen die nächste Einrichtung für einen Schwangerschaftsabbruch nicht innerhalb von 40 Auto-Minuten erreichbar ist. Laut Studie haben in Hessen ungefähr 240.000 Menschen einen längeren Anfahrtsweg. Damit liegt Hessen auf Platz 11 im Ranking.

Schwangerschaftsabbrüche sind offiziell verboten

Dabei gehören Schwangerschaftsabbrüche zu den häufigsten gynäkologischen Eingriffen. Dem Statistischen Bundesamt zufolge fanden 2022 in Hessen durchschnittlich etwa 23 Abbrüche pro Tag statt. Fast die Hälfte wird von Frauen zwischen 25 und 35 Jahren vorgenommen und mit 40 Prozent ist ein großer Teil der Frauen verheiratet. Aus juristischer Sicht sind Schwangerschaftsabbrüche nach § 218 Strafgesetzbuch widerrechtlich. Wenn gewisse Kriterien erfüllt sind, wird ein Abbruch allerdings straffrei. Eines dieser Kriterien ist ein verpflichtendes Beratungsgespräch und drei Tage Bedenkzeit.

Solche Gespräche kann man zum Beispiel in den Beratungsstellen von Pro Familia führen. Als Leiterin der Zweigstellen in Alsfeld im Vogelsberg und dem benachbarten Bad Hersfeld führt Maren Colton selbst häufig solche Gespräche. Dass den Betroffenen solche Steine in den Weg gelegt werden, ärgert sie. "Ein Schwangerschaftsabbruch ist nach wie vor ein tabuisiertes Thema in Deutschland." Der schlechte Versorgungsgrad spiele in die Stigmatisierung mit rein. "Aber hauptsächlich, glaube ich, ist, dass es eben nach wie vor im Strafgesetz veranktert ist", so Colton.

Gründe für schlechten Versorgungsgrad sind vielfältig

So sieht das auch Anne Heidel von Pro Familia Fulda, eine von zwei Beratungsstellen in der Stadt. Über 160 Schwangerschaftskonfliktberatungen wurden hier vergangenes Jahr geführt. Ungewollt Schwangeren gibt Heidel eine Liste mit Einrichtungen in ganz Hessen. In Fulda gibt es keine Möglichkeit, einen Abbruch durchzuführen. Das stellt die Betroffenen vor große Hürden. Teilweise müssten sie mit dem Zug raus aus der Stadt fahren und Strecken von bis zu 100 Kilometer auf sich nehmen. So seien sie oft zweieinhalb bis drei Stunden unterwegs, erzählt sie.

Die Gründe für den besonders schlechten Versorgungsgrad von Fulda seien vielfältig. Es könne eine Rolle spielen, dass Fulda ein Bistum und dadurch katholisch geprägt sei. Außerdem gebe es keine politische Vorgabe, dass Kliniken oder Praxen Abbrüche durchführen müssten. Die Entscheidung liege bei den Ärzten und Klinikleitungen. Teilweise sei die Ausrüstung finanziell aufwändig.

Ärzten sind oft die Hände gebunden

Stigmatisierung erleben nicht nur die Betroffenen, sondern auch die Ärztinnen und Ärzte, die Schwangerschaftsabbrüche durchführen. 65 Prozent von ihnen beklagen laut ELSA-Studie, dass sie im privaten, beruflichen oder öffentlichen Umfeld dafür angefeindet wurden. Dazu gehören auch tätliche Angriffe, Gehsteigbelästigung oder Anzeigen. In Regionen mit geringem Versorgungsgrad ist die Stigmatisierung besonders hoch.

Viele Ärzte und Ärztinnen können auch schlichtweg keine Abbrüche vornehmen, weil die Einrichtungen, in denen sie tätig sind, entweder grundsätzlich keine Abbrüche durchführen oder aber das benötigte Equipment fehlt. Fast die Hälfte der Befragten sagte, sie könnten sich vorstellen, Schwangerschaftsabbrüche durchzuführen, wenn eine der äußeren Barrieren wegfallen würden.

Straffreiheit könnte eine Lösung sein

Maren Colton wünscht sich, dass zumindest kommunale Krankenhäuser Schwangerschaftsabbrüche als Standardleistung anbieten. "Wenn es ein kommunal finanziertes Krankenhaus ist, sollte das zum örtlichen Standard dazugehören." Sie hofft außerdem, dass Beratungsgespräche ein Angebot auf freiwilliger Basis werden können, anstatt wie bisher verpflichtend für alle ungewollt Schwangeren zu sein. Abbrüche sollen grundsätzlich bis zur zwölften Woche straffrei werden, fordert sie.

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