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Raunheimer Stadtverordnete wollen Verdacht der Günstlingswirtschaft nachgehen

Ein Stapel Akten liegt auf einem Tisch. (dpa)

"Nasenprämien" und fragwürdige Gehaltssprünge: Verdienen Mitarbeitende der Stadt Raunheim mit Nähe zur SPD und zum verstorbenen Bürgermeister Thomas Jühe mehr als andere? Dieser Frage wollen die Stadtverordneten jetzt in einem Ausschuss auf den Grund gehen.

Die Raunheimer Stadtverwaltung bekommt auf dem Bewertungsportal Kununu überwiegend schlechte Noten. Als Gründe geben Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen anonym Parteien- und Günstlingswirtschaft an: "Nur wer wie eine Schnecke auf der Schleimspur kriecht, wird finanziell hochgestuft, bzw. eine Mitgliedschaft in der richtigen Partei ist ebenso hilfreich", steht da aktuell.

Oder: "Leistungsentgelt wird nur den Mitarbeitern gewährt, die ein entsprechendes Parteibuch vorweisen können, auch wenn sie nicht dafür arbeiten müssen, sondern die Arbeit im Schlaf erledigen können."

Provisionszahlung: Staatsanwaltschaft ermittelt wegen Untreue

Seit dem Tod des langjährigen Raunheimer Bürgermeisters Thomas Jühe (SPD) Ende letzten Jahres gärt es in der Stadtverwaltung der 17.000-Einwohnerstadt im Kreis Groß-Gerau. Durch den hr und andere Medien wurde bekannt, dass ein leitender Angestellter der Stadt für den Verkauf städtischer Grundstücke mehrere hunderttausend Euro Provision bekommen haben soll.

Inzwischen ermittelt die Staatsanwaltschaft Darmstadt gegen den Angestellten und Mitglieder des früheren Magistrats wegen des Verdachts der Untreue. Die Stadtverordnetenversammlung beschloss am Donnerstagabend die Bildung eines Akteneinsichtsausschusses.

Personalpolitik soll überprüft werden

In ihm wollen die Abgeordneten Einblick nehmen in die gesamte Personalpolitik der letzten fünf Jahre. Im Fokus stehen dabei mehr als ein halbes Dutzend Mitarbeiter. Sie sollen wegen ihrer damaligen Nähe zu Jühe befördert worden sein. In anderen Fällen geht es um monatliche Gehaltszulagen zwischen 500 und 1.000 Euro, die einzelnen Mitarbeitern gewährt wurden, weil sie sonst in die Wirtschaft abgewandert wären.

Für besondere Empörung sorgt in Raunheim der Fall eines Hausmeisters, der als enger Vertrauter Jühes galt und im Vorstand der örtlichen SPD ist. Er stieg aus der unteren Gehaltsgruppe für "technische Mitarbeiter" in eine um rund 1.000 Euro brutto besser bezahlte Gruppe für Verwaltungsfachkräfte auf, ohne die dafür notwendigen Qualifikationen nachweisen zu können. Jühe soll seine Beförderung gegen erheblichen Widerstand des früheren Personalrats durchgeboxt haben.

Mitarbeiter sollen beim Ausbau des Ferienhauses geholfen haben

Dokumente, die dem hr vorliegen, legen nahe, dass der Hausmeister während seines Dienstes am privaten Ferienhaus Jühes in Österreich arbeitete. Auch weitere Mitarbeiter, die in den Genuss von Beförderungen oder Zulagen gekommen sind, sollen beim Ausbau des Hauses geholfen haben. Die Arbeitseinsätze sollen verwaltungsintern als "Teambuilding-Maßnahmen" abgerechnet worden sein.

Doch bei Beförderungen dürften Parteinähe und Gefälligkeiten eigentlich keine Rolle spielen. "Die Eingruppierung hat sich ausschließlich am dem zu orientieren, was in dem Arbeitsverhältnis für die Kommune geleistet wird", betont Heini Schmitt, der Vorsitzende des Deutschen Beamtenbundes Hessen. Sogenannte "Nasenprämien" sehe das Tarifrecht nicht vor.

Raunheim ist hoch verschuldet

Angesichts einer Verschuldung von 149 Millionen Euro hat Raunheim eigentlich kein Geld zu verschenken. "Bei Raunheim haben wir es mit einer sehr hoch verschuldeten Kommune zu tun", so Walter Wallmann, Präsident des Hessischen Rechnungshofes. Mit 9.300 Euro habe Raunheim die "dritthöchste Verschuldungsquote pro Kopf in Hessen" und müsse bei den Ausgaben eigentlich sehr sparsam sein.

Der leitende Angestellte, dessen Provision den Wirbel in Raunheim ausgelöst hat, bekommt nach hr-Recherchen nicht nur die Provision, sondern auch eine monatliche Zulage von 1.000 Euro brutto und eine Leistungsprämie von 1.466 Euro im Jahr. Als Begründung dafür wurde in der Vorlage für den Magistratsbeschluss 2020 angegeben, er und andere Zulagenempfänger würden sonst in die Wirtschaft abwandern.

Experte: Anderes Gehaltsgefüge als in der Wirtschaft

Ein vorgeschobenes Argument, meint Human-Ressource-Experte Marcus Reif. Der Flörsheimer berät öffentliche und private Unternehmen in Personalfragen. In einzelnen Bereichen gebe es Engpassvakanzen, bei denen tatsächlich die Gefahr bestünde, dass hochqualifizierte Stellen nicht besetzt werden können. Das gelte etwa für Veterinäramtsleiter oder Brandschutzexperten. Aber bei Amtsleitern können davon keine Rede sein.

Das Gehaltsgefüge im öffentlichen Dienst basiere auf einer anderen Grundlage als in der Wirtschaft. "In der Verwaltung arbeiten Menschen, die ein großes Interesse dafür haben und eine große Leidenschaft dafür entwickeln, in einem geordneten, stabilen Arbeitsverhältnis zu sein und in der Daseinsvorsorge für Bürgerinnen und Bürger zuständig zu sein", so Reif.

Mitarbeiter hätten einen ganz anderen ideologischen Antrieb und würden dafür auch Einbußen bei ihrem Einkommen in Kauf nehmen. Im Gegenzug kämen sie in den Genuss eines sicheren Arbeitsplatzes vor Ort in ihrer Kommune.

Vetternwirtschaft führt zu Frust bei den Bürgern

Herrsche in einer Gemeinde Günstlings- und Vetternwirtschaft führe dies zu Frust in der Verwaltung, der bei den Bürgerinnen und Bürgern ankomme. "Wenn Menschen feststellen, dass Unfairness und Ungleichheit agieren, dann werden sie sich im Löwenanteil ihrer Energie genau damit auseinandersetzen", so Reif. Verwaltungen sollten sich aber mit den Anliegen des Bürgers auseinandersetzen und nicht mit Fehlentscheidungen, die jemand in einer Verwaltung trifft.

Anfragen des hr zu den umstrittenen Personalentscheidungen ließ der derzeitige Raunheimer Bürgermeister David Rendel (SPD) bislang unbeantwortet - aus Gründen des Datenschutzes, wie er schreibt.

Die beim Kreis Groß-Gerau angesiedelte Kommunalaufsicht hält es bislang nicht für notwendig, sich die Gehaltszahlungen in Raunheim genauer anzuschauen. In erster Linie sei hier die kommunale Selbstverwaltung gefordert, so die Pressestelle auf hr-Anfrage mit Verweis auf den Akteneinsichtsausschuss. "Die Aufsichtsbehörde wird dieses Verfahren aufmerksam verfolgen."

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