Ehemalige Mitschüler demonstrieren Frankfurter Familie ohne Vorankündigung in fremdes Land abgeschoben
In den Osterferien ist eine aus Afghanistan stammende Familie nach Indien abgeschoben worden. Die früheren Mitschüler der beiden Söhne sind geschockt - und gingen in Frankfurt auf die Straße.
Es hätte eigentlich ein Routinetermin sein sollen. Am 16. April sollten Pinky Kaur Kapoor und ihr Mann Pal Singh wieder einmal bei der Frankfurter Ausländerbehörde vorstellig werden.
Seit ihrer Ankunft in Deutschland 2018 musste die Familie in regelmäßigen Abständen ihre Duldung verlängern lassen. Außergewöhnlich war nur, dass diesmal auch die beiden Söhne Angad (16 Jahre) und Gunit (zwölf Jahre) dabei sein sollten.
Was dann geschah, traf die Familie vollkommen unvorbereitet. "Plötzlich waren da sieben oder acht Polizisten. Und die sagten nur: Wir schicken Euch heute nach Indien", erinnert sich Pinky Kaur Kapoor. "Ich habe noch gefragt: Wieso schicken Sie uns nach Indien? Wir sind doch keine Inder!“
Der Protest bleibt erfolglos. Bundespolizisten begleiten die Familie zu ihrer Wohnung. 20 Minuten bleiben den Kapoors zum Packen. Kurz darauf sitzen sie im Flieger. Zielflughafen: Neu-Delhi. Zukunft: ungewiss.
Mitschüler: "Dachte, die machen einen Witz"
Der Schock über die plötzliche Abschiebung sitzt tief. Nicht nur bei den Kapoors. Als am Dienstag nach Ostern der Unterricht an der Johanna-Tesch-Schule in Frankfurt-Bockenheim wieder beginnt, bleiben zwei Stühle leer - die von Angad und Gunit. Seit fünf beziehungsweise zwei Jahren besuchen beide die Integrierte Gesamtschule.
Dass bei seinem Kumpel Angad etwas im Argen liegt, hatte Erfan Mirzada da schon geahnt. "Mitten in den Osterferien hat er uns bei Social Media plötzlich überall entfernt." Erfan und seine Klassenkameraden vermuten einen Schicksalsschlag, vielleicht einen Trauerfall.
Als schließlich ein Mitschüler Angad doch noch erreicht, erfahren sie, dass die gesamte Familie abgeschoben wurde und am Flughafen von Neu-Delhi gestrandet ist. "Ich konnte es gar nicht glauben. Ich dachte zuerst, die machen einen Witz."
Abschiebung kurz vor dem Hauptschulabschluss
Dass es sich um alles andere als einen Witz handelt, wird Erfan und die übrigen Schülerinnen und Schüler an der Johanna-Tesch-Schule in den ersten Unterrichtsstunden nach den Ferien bestätigt. "Das war die schwierigste Stunde in meinem ganzen Leben", sagt Lehrerin Eda Höhne. Allerlei Gerüchte seien da schon auf dem Schulhof kursiert.
Letztlich sei es an ihr und ihren Kolleginnen hängen geblieben, Angads und Gunits Mitschüler zu informieren. "Ich musste meiner Klasse also mitteilen, dass ein Schüler abgeschoben worden ist und auch nicht mehr wiederkommen wird."
Dabei stand Angad nur wenige Wochen vor seinem Hauptschulabschluss. "Und er hätte mit Sicherheit auch seinen Realschulabschluss gemeistert", ist sich Höhne sicher.
Anzahl der Abschiebungen aus Hessen steigt
Das Schicksal der Familie Kapoor ist kein Einzelfall. Die Zahl der Abschiebungen aus Hessen steigt kontinuierlich. Allein in den ersten drei Monaten 2025 wurden nach Angaben des hessischen Innenministeriums 566 Personen abgeschoben - 45 Prozent mehr als im gleichen Zeitraum des Vorjahres.
Geflüchteten-Initiativen wie der Hessische Flüchtlingsrat oder Pro Asyl beklagen, dass von der sogenannten Abschiebeoffensive zunehmend vulnerable Gruppen und Familien betroffen sind.
"Für uns ist das ein fremdes Land"
Doch der Fall Kapoor weist einige Besonderheiten auf. Nach eigenen Angaben stammt die Familie aus Afghanistan und gehörte dort der seit Jahrzehnten diskriminierten und verfolgten religiösen Minderheit der Sikhs an.
2018 habe sich die Familie entschieden, das Land mit Hilfe eines "Agenten" zu verlassen, berichtet Pinky Kaur Kapoor. Über Zwischenstationen in Pakistan und anderen Ländern seien sie schließlich in Deutschland gelandet.
Die Mehrheit der weltweit rund 25 Millionen Sikhs lebt nach wie vor in Indien. Dies dürfte einer der Gründe sein, weshalb die Kapoors ausgerechnet nach Neu-Delhi abgeschoben wurden. "Für uns aber ist das ein fremdes Land. Wir kennen Indien nicht", sagt Pinky Kaur Kapoor im Gespräch mit dem hr.
Mehrere Tage am Flughafen verbracht
Genauere Auskunft über die Gründe für die unangekündigte Abschiebung könnte das zuständige Regierungspräsidium Darmstadt geben. Ein Sprecher sagte auf hr-Anfrage, dass die Behörde "zu konkreten Einzelfällen aus Gründen der Persönlichkeitsrechte der betroffenen Personen" keine Stellung nehme. Allerdings sei die Familie laut Entscheidung des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (BAMF) bereits seit Ende 2018 vollziehbar ausreisepflichtig.
Für die Kapoors, insbesondere die beiden Söhne, bedeutet die Entscheidung, dass ihr bisheriges Leben von einem auf den anderen Moment auf den Kopf gestellt wurde. Mehrere Tage habe die Familie im Flughafen der indischen Hauptstadt zugebracht. Danach seien sie in einem Sikh-Tempel im Stadtzentrum untergekommen, berichtet Pinky Kaur Kapoor.
Inzwischen hätten sie auch diesen verlassen müssen. Eine hilfsbereite Besucherin des Tempels habe die Familie nun für einige Tage bei sich aufgenommen. Wie es danach weitergeht, wisse sie nicht.
Ex-Mitschüler wollen am Freitag demonstrieren
"Ich will vor allem Hilfe für meine Kinder", betont Pinky Kaur Kapoor. In Indien habe sie keine Möglichkeit, beiden eine gute Ausbildung zu ermöglichen. "In Deutschland hätten sie eine Zukunft gehabt, in Indien nicht."
Ähnlich fällt das Resümee von Angads Klassenlehrerin Eda Höhne aus: "Letztendlich ist den Kindern der Boden unter den Füßen weggerissen worden. Sie haben keine Perspektiven mehr."
Die Mitschülerinnen und Mitschüler von Angad und Gunit haben deshalb ihren Unmut auf die Straße getragen. Am Freitagnachmittag trafen sie sich in Frankfurt zu einer Demonstration, etwa 200 Beteiligte zogen von der Bockenheimer Warte zur Alten Oper. Das Motto: "Ihr habt uns unsere Freunde genommen."