Können Fußfesseln gegen Femizide helfen? Vieles spricht dafür, Gewalttäter digital zu überwachen, um Frauen zu schützen und am Ende Leben zu retten. Spanien gilt als Vorbild, dem auch die hessische Landesregierung gerne folgen würde. Aber es gibt Widerstand.

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Helfen Fußfesseln gegen Femizide?

Grafik: Ein Herrenschuh (gezeichnet), an welchem ein kleines elektronisches Gerät (freigestelltes Foto mit weißer Umrandung) angebracht ist. Darüber ein Stück Hose (blaue Fläche). Das alles auf einem hellblauen Hintergrund mit Streifen. Um die Fußfessel herum konzentrische orangfarbene lineare Kreise.
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Im Januar wurde eine Kassiererin in einem Supermarkt in Mörfelden-Walldorf (Groß-Gerau) mit drei Schüssen mutmaßlich von ihrem Ex-Partner regelrecht hingerichtet. Die Frau hatte sich gewehrt gegen den Mann, kurz vor der Tat erwirkte sie eine Verfügung: Dem Mann war verboten, sich ihr zu nähern. Es half nichts.

Hätte die Tat verhindert werden können? In solchen Fällen könnte eine Fußfessel nützlich sein. Eine Forderung, die etwa der Weiße Ring unterstützt, der sich für Gewaltopfer einsetzt. Auch Ministerpräsident Boris Rhein (CDU) forderte im vergangenen Jahr die "Fußfesseln für Frauenschläger". Es könnte eine vielversprechende Methode sein, die grassierende Gewalt gegen Frauen und Tötungen konsequent zu verhindern. Nur: Bisher wird sie kaum genutzt.

Näherungsverbot hält Täter oft nicht ab

Das Problem für Betroffene ist, dass viele vor Gericht ein Näherungsverbot erwirken könnten, aber die Täter ignorierten die Anordnung, sagt Svenja Beck. Sie hat selbst zwei Femizidversuche überlebt und betreibt mehrere Online-Selbsthilfegruppen mit vielen tausend Betroffenen. Beck kennt die Strategien der Täter, mit denen diese Näherungsverbote umgehen.

"Es beginnt so, dass sie über Social Media Fake-Accounts einrichten, um alles über die Person rauszubekommen. Sie wechseln die Autos, sodass sie den Betroffenen hinterherfahren können", sagt Beck, "sie verstecken sich in Ecken, wo sie dann ihre Opfer beobachten."

Sie wollen die Kontrolle nicht verlieren, lautet die Erfahrung von Beck und den Betroffenen in den Selbsthilfegruppen, und davon halte die Täter auch kein Näherungsverbot ab. Neben Stalking kommt es dann auch zu Gewalt: Die Täter kennen Wohnorte, Arbeitswege und Hobbies ihrer Opfer oder Kinder.

Hessen will die Fußfessel

Bisher wird bei Angriffen oft nur auf den Schutz der Opfer gesetzt. Frauenhäuser sind meist der letzte Ausweg, aber die sind überfüllt. Die Fußfessel, so die Argumentation der Befürworter, dreht das Prinzip um. Der Täter ist verantwortlich, er wird kontrolliert und im Zweifel spürt er Konsequenzen.

Das wäre ein wichtiger Schritt, sagt Svenja Beck, weil es sonst die Frauen seien, die ihre Freiheiten verlören: "Der Täter kann sein Leben so weiterleben wie zuvor, während die Frauen, mit ihren Kindern, immer enger eingeschränkt werden".

Nach dem Landespolizeigesetz kann in Hessen seit vergangenem Jahr unter bestimmten Voraussetzungen eine Fußfessel bei Gewalt gegen Frauen eingesetzt werden - jedoch nur für kurze Zeit, maximal zwei Wochen. Laut Justizministerium gibt es in Hessen derzeit aber nur einen Fall.

Die Möglichkeit, gerichtliche Kontakt- oder Näherungsverbote mit einer Fußfessel zu kontrollieren, müsste ins Gewaltschutzgesetz aufgenommen werden - und das wäre Sache des Bundes. Eine Initiative von Hessen bei der Justizministerkonferenz dazu scheiterte, Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) lehnte das Vorhaben ab.

Justizminister: "Grundlegende Verweigerungshaltung"

Das kritisiert der hessische Justizminister Christian Heinz (CDU): "Die Freien Demokraten gewichten sehr häufig den Datenschutz höher als den Opferschutz", sagt er, obwohl bei den Ländern über Parteigrenzen hinweg Einigkeit herrsche. Beim Bundesjustizminister sehe er deswegen "eher eine grundlegende Verweigerungshaltung".

Heinz plant nun, mit seinem Ministerium eine Bundesratsinitiative vorzubereiten, um die Fußfessel im Gewaltschutzgesetz zu verankern. Nur: Das kann dauern. Er hoffe, dass es in der aktuellen Legislaturperiode klappe, sagt Heinz dem hr. Die hat allerdings gerade erst begonnen.

Der Bundesvorsitzende des Weißen Rings, Patrick Liesching, setzt sich für eine Fußfessel ein. Nicht pauschal, aber in besonders gefährlichen Fällen, wenn der Täter schon durch Gewalttaten auffällig wurde und etwa Todesdrohungen ausgesprochen hat. "Wir versprechen uns davon auch eine präventive Wirkung", sagt Liesching. Wer wisse, dass eine Fußfessel drohe, werde womöglich schon frühzeitig überlegen, wie er handelt.

Konsequenzen bei Todesdrohungen

Außerdem zeigt sich laut Liesching immer wieder, dass kaum Konsequenzen folgen, wenn jemand gegen ein Näherungsverbot verstößt - oder erst Wochen später: "Wenn jemand Todesdrohungen ausstößt, muss der Staat dafür sorgen, dass der Täter Restriktionen bekommt und die Gefahr auf diese Weise beseitigen."

Der Weiße Ring verweist auf Spanien als Vorbild. "Wir wissen, dass die Erfolgsquote, bei denen die Fußfessel eingesetzt wurde, 100 Prozent beträgt. Keine der Frauen, die in diesem Programm waren, ist dann getötet worden", sagt Liesching. Auch für Justizminister Heinz ist Spanien ein Musterbeispiel.

170 Fußfesselträger in Deutschland

Wie Fußfesseln funktionieren, kann man in der JVA Weiterstadt (Darmstadt-Dieburg) beobachten. Hier laufen alle Daten von Fußfesselträgern aus ganz Deutschland zusammen. Die Gemeinsame elektronische Überwachungsstelle der Länder (GÜL) beobachtet aktuell rund 170 Personen. Wenn eine Person sich in einem Areal bewegt, in dem sie nicht sein dürfte, wird ein Alarm ausgelöst.

Dann prüfe die GÜL, welche Handlungsanweisungen es für diese Person gebe und rufe erst mal an, sagt die Leiterin der GÜL, Alma Friedrichs. Wenn jemand nicht bereit ist, die Verbotszone zu verlassen, wird die Polizei alarmiert. Dann sei sehr schnell jemand bei dieser Person, sagt Friedrichs, "das sind wirklich schlimmstenfalls Minuten".

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Er hat gesagt, er würde mich umbringen

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Mehr Überwachung - mehr Kapazitäten

Wenn die Fußfessel in Fällen von häuslicher Gewalt eingesetzt wird, können bestimmte Verbotszonen definiert werden wie der Arbeitsplatz des Opfers, der Wohnort, die Schule der Kinder. Es gibt auch technische Möglichkeiten, dass eine Frau eine Zone mit sich trägt - diese Technik sei allerdings noch nicht im Einsatz, erklärt Friedrichs, das sei eine politische Entscheidung.

Justizminister Heinz ist für solche Ideen offen, sagt er. Wenn die Fußfessel bundesweit in solchen Fällen eingesetzt würde, könnte die Zahl der überwachten Personen rasant steigen. Die Kapazitäten der zentralen Überwachungsstelle in Weiterstadt müssten ausgebaut werden. Daran werde es aber nicht scheitern, verspricht Justizminister Heinz. Die GÜL sei in der Lage, mehr Fußfesselträger zu überwachen, "das ist gar kein Problem".

Weitere Informationen

Hilfe für Betroffene

Der von Svenja Beck mitgegründete Verein T.o.B.e (Toxische Beziehungen überwinden) bietet auf seiner Internetseite Informationen und eine Liste mit Anlaufstellen für Betroffene von Gewalt. Dort findet sich auch eine Liste der Selbsthilfegruppen des Vereins.

Wenn Sie als Frau von häuslicher Gewalt betroffen sind, können Sie rund um die Uhr kostenfrei das Hilfetelefon anrufen unter der Nummer 08000/116016 oder hier Beratung und Hilfe finden. Der Weiße Ring hilft Opfern von Gewalt. Auch Männer, die ein Aggressions- und Gewaltproblem haben, können (frühzeitig) Hilfe und Beratung bekommen. In der "Wegweiser"-Broschüre der Landeskoordinierungsstelle gegen häusliche Gewalt werden Anlaufstellen in Hessen aufgelistet.

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