"Hatte extrem Angst" K.o.-Tropfen: Alarmierende Fallzahlen in Hessen
Die Zahl der Straftaten mit K.o.-Tropfen hat in Hessen zugenommen. Es sind perfide Taten, denn die Substanzen bleiben nur kurz im Körper. Die Opfer wissen oft gar nicht genau, was passiert ist. Eine Frankfurter Initiative hat den Tätern den Kampf angesagt.
Ein Freitagabend im Frankfurter Club Tanzhaus West. Buntes Licht teilt den Nebel auf der Tanzfläche, zu schnellem Techno bewegen sich hunderte Beine. In den schwitzenden Händen der Tanzenden: Gläser und Flaschen. Eine unübersichtliche Situation, in der ein Täter theoretisch unbemerkt K.o.-Tropfen oder andere Substanzen heimlich in ein Getränk schütten könnte.
Aber im Tanzhaus West ist an diesem Abend etwas anders als in vielen anderen Clubs und Bars. Im Eingangsbereich gibt es einen Stand, darüber ein großes Banner mit dem Schriftzug "SafePartyPeople". Drei junge Frauen verteilen hier Gummiüberzüge für Gläser, wiederverwendbare Kronkorken und suchen das Gespräch mit den feiernden Menschen.
Aufklärung im Club-Setting
"Es ist wichtig, dass wir hier sind, weil viele Fälle in diesem Setting passieren", sagt Tanja Krumbholz. Die 27-Jährige erzählt, was sie und ihre Kolleginnen der SafePartyPeople den Leuten mit auf den Weg geben: "Mit Leuten rausgehen, denen man vertraut. Auf das eigene Getränk achten. Keine Getränke von fremden Menschen annehmen." Prävention gegen Spiking, wie sie es nennen.
Fakt ist: Egal wie gut die Feiernden aufpassen - nicht immer kann man sich vor K.o.-Tropfen schützen. Auch auf diesen Fall bereitet Tanja die Menschen vor, die zu ihr an den Stand kommen. Beim leisesten Verdacht solle man sich möglichst vielen Personen mitteilen, im Idealfall nicht nur einer: "Sonst erzählt man es am Ende nur dem Täter oder der Täterin - die kommen nämlich oft aus dem Bekanntenkreis."
Alarmierende Zahlen, hohe Dunkelziffer
Der Blick auf die hessischen Fallzahlen ist besorgniserregend. 94 Fälle von Straftaten mit K.o.-Tropfen landeten 2024 in der Polizeilichen Kriminalstatistik. Es ist der höchste Wert der letzten 10 Jahre. Das Landeskriminalamt geht von einer hohen Dunkelziffer aus. Die Opfer von K.o.-Tropfen erstatten aus Scham oder Unsicherheit keine Anzeige.
"K.o.-Tropfen führen dazu, dass man die Erlebnisse nicht ins Langzeitgedächtnis speichern kann. Man kann nicht mehr rekonstruieren, was passiert ist", sagt Stefan Tönnes. Er ist Leiter der forensischen Toxikologie an der Goethe-Universität Frankfurt.
"Ich hatte extrem Angst"
Eine Betroffene ist Louise von Wilmowski. Sie feiert an diesem Abend im Tanzhaus West. Die 19-Jährige erzählt von ihrem ersten Besuch in einem Club. Erst sei es ihr immer schlechter gegangen, Kopfweh mischte sich mit Schwindel: "Auf dem Heimweg habe ich nichts mehr gesehen und hatte extrem Angst. Mich hat das echt beunruhigt, wie ich mich fühle."
Louise hatte Glück im Unglück: Sie war mit einem Kumpel unterwegs, der sie sicher nach Hause brachte. Wer ihr etwas antun wollte, ist bis heute nicht klar.
Niedrige Aufklärungsrate
Nur selten werden die Täter oder Täterinnen überführt. 2024 wurden nicht einmal ein Viertel der angezeigten Fälle aufgeklärt. Die größte Herausforderung besteht darin, überhaupt nachzuweisen, dass K.o.-Tropfen im Spiel waren. Dafür ist zunächst entscheidend, dass noch in der Tatnacht oder am Morgen danach eine Urin- oder Blutprobe bei den Betroffenen entnommen wird.
Diese Proben landen anschließend in Laboren wie dem der forensischen Toxikologie in Frankfurt. Drei bis vier Fälle laufen hier pro Woche auf. Jeder einzelne sei eine Herausforderung, sagt Toxikologe Tönnes: "Je nachdem, mit welchem kriminellen Eifer ein Täter sich vorbereitet, hat er mehrere hundert Substanzen zur Auswahl, die zum Teil schwierig nachweisbar sind."
"Es ist nie deine Schuld"
Die große Palette an Substanzen, gepaart mit einer oft kurzen Nachweisbarkeit und den Erinnerungslücken der Opfer seien die Gründe für die niedrige Aufklärungsrate. Auch wenn Tönnes betont: "Wir können alle Substanzen nachweisen" – wenn die Probe rechtzeitig entnommen wurde.
Auch die SafePartyPeople legen es den Menschen im Tanzhaus West ans Herz, bei einem Verdacht schnellstmöglich eine Probe entnehmen zu lassen oder zumindest selbst den Urin aufzubewahren.
Tanja Krumbholz steht bis in die frühen Morgenstunden am Stand, um gegen Unsicherheit und Scham der Betroffenen anzukämpfen: "Es ist egal, wo du feiern gehst, wie du feiern gehst, was du anhast. Es ist nie deine Schuld, es ist immer die Schuld der Täter."