Hakenkreuz, Hitlergruß, Szenekleidung Hessische Schulen melden deutlich mehr rechtsextreme Vorfälle seit 2024

2024 und 2025 wurden mehr rechtsextreme Vorfälle an die Schulämter in Hessen gemeldet als je zuvor. Kein anderes Bundesland hatte prozentual gesehen einen so hohen Anstieg zu verzeichnen. Woran das liegt und wie Schulen damit umgehen sollten.

Eine Person läuft durch einen dunklen Tunnel in Richtung eines hellen Ausgangs. Auf der linken Seite ist eine Betonwand mit einem roten, durchgestrichenen Hakenkreuz bemalt. Rechts sind zwei Personen im Gegenlicht zu sehen. Außerdem ist ein Anarchie-Symbol gezeichnet.
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Ein sechs Meter breites Hakenkreuz-Graffito sprühen unbekannte Täter auf die Fassade einer Kasseler Grundschule. In Wiesbaden applaudieren Jugendliche, als in einem Lehrfilm über die Ermordung von Millionen jüdischen Menschen gesprochen wird. Und an einer Schule im Main-Kinzig-Kreis grölen 20 bis 40 Jugendliche rassistische Parolen zur Melodie des Popsongs "L'amour toujours".

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Mehr rechtsextreme Vorfälle an hessischen Schulen

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Ein kleiner Ausschnitt aus Vorfällen, die hessische Schulen in diesem und im vergangenem Jahr an die zuständigen Schulämter gemeldet haben. Solche Meldungen haben sich 2024 im Vergleich zum Vorjahr mehr als verdreifacht – von 37 auf 167. Damit sticht Hessen laut einer Recherche der Wochenzeitung Die Zeit im Ländervergleich heraus. In keinem anderen Bundesland ist die Zahl der gemeldeten Fälle so stark gestiegen.

Eine Anfrage des Hessischen Rundfunks zeigt jetzt: Das Jahr 2024 scheint kein Ausreißer gewesen zu sein. Laut dem für Bildung zuständigen Kultusministerium wurden den Schulämtern in Hessen allein bis zum 20. März 2025 bereits 31 Vorfälle gemeldet - fast so viele wie im ganzen Jahr 2023.

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Woher kommt der drastische Anstieg?

Ein Teil der Erklärung ist aus Sicht des Kultusministeriums, dass Schulen stärker für Extremismus sensibilisiert sind, unter anderem wegen zweier Schreiben, die das Ministerium im November 2023 und Februar 2024 an die hessischen Schulen verschickt hat.

Darin seien die Schulen darauf hingewiesen worden, "dass es sich bei antisemitischen und extremistischen Vorfällen um wichtige Vorkommnisse im Sinne der Dienstordnung handelt", deshalb seien solche Fälle "unverzüglich" an das zuständige Schulamt zu melden. Die höhere Aufmerksamkeit sei aber nicht der einzige Grund.

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Das Ministerium teilt weiter mit, auch die gesellschaftliche Polarisierung im Jahr 2024 habe sich auf die Schulen ausgewirkt.

Gesellschaftlicher Rechtsruck auch an Schulen

Auch Tina Dürr hat festgestellt, dass Schulen häufiger Hilfe suchen. Sie ist stellvertretende Leiterin des Demokratiezentrums Hessen. Angesiedelt an der Philipps Universität Marburg koordiniert es mehrere Beratungsstellen im Land, die Institutionen wie Schulen im Umgang mit Rechtsextremismus und Rassismus unterstützen.

"An den Schulen zeigt sich das, was wir gesamtgesellschaftlich beobachten", sagt Dürr, "eine Verschiebung der öffentlichen Debatte hin zu rechtspopulistischen Positionen."

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Mehr rechtsextreme Vorfälle an hessischen Schulen

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Während junge Menschen lange von allen Gruppen in der Gesellschaft am weltoffensten und am kritischsten gegenüber rechten Denkmustern waren, zeigten Studien zu politischen Einstellungen in jüngster Zeit, dass auch sie immer offener für rechtsextreme Positionen sind.

Rechtsextreme Parteien und Influencer sprechen immer jüngere Menschen an

Das Spektrum dessen, was die Schulen schildern, sei breit gestreut, sagt Malte Lantzsch, der bei dem Mobilen Beratungsteam gegen Rechtsextremismus in Nordhessen arbeitet. Von rassistischen Sprüchen über Straftaten wie den Hitlergruß, Queer- und Frauenfeindlichkeit bis hin zu Schülern, die mit typischer rechtsextremer Szenekleidung in die Schule kämen.

Immer wieder zeige sich, dass Jugendliche inspiriert würden von Dingen, die sie auf Social-Media-Plattformen sehen. Neben den fast schon traditionellen Akteuren wie der AfD und ihr nahestehenden Influencern beobachtet Malte Lantzsch seit 2024 neue Gruppen.

Diese versuchten zum Beispiel, über Tiktok und Instagram gerade sehr junge Männer und Jungen um die 13, 14 Jahre über Themen wie Kampfsport anzusprechen. In Wirklichkeit kämen sie aus dem klassischen Neonazi-Spektrum.

"Da hört man dann schon mal Dinge wie 'HJ auf die 1'", sagt Lantzsch - eine Abkürzung, die sich auf die Hitlerjugend bezieht, also die Jugendorganisation der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei (NSDAP) im Dritten Reich. "Es ist viel NS-Verherrlichung dabei", sagt Lantzsch, "meist als vermeintlicher Witz getarnt, oft in Meme-Form.

Bei rassistischen Parolen sofort eingreifen

Sofort eingreifen und klarstellen, dass eine Grenze erreicht ist: Das ist laut Tina Dürr vom Demokratiezentrum Hessen das Wichtigste, wenn es an Schulen zu rechtsextremen Parolen, Gesten oder Gesänge kommt - auch wenn es manchmal unbequem sei.

Zitat
Wenn es stehen gelassen wird, sendet das ein Signal: Das ist in Ordnung, ich kann das nochmal machen – und ich darf auch danach handeln. Zitat von Tina Dürr, Demokratiezentrum Hessen
Zitat Ende

Lehrer hätten die Verantwortung, dass Betroffene - etwa Jugendliche mit Migrationshintergrund, jüdische Kinder, Mädchen – "mitbekommen, da verteidigt mich jemand, ich muss das nicht ertragen."

Direkt eingreifen ist manchmal leichter gesagt als getan, sagt Uwe Petersen. Er ist Schulleiter eines Gymnasiums in Kassel. Ein Vorfall an seiner Schule schaffte es im vergangenen Jahr bis in die Lokalzeitung.

Schüler anzeigen oder nicht?

Zwei bis drei Schüler grölten die Parole "Deutschland den Deutschen, Ausländer raus" durch den Schulflur der neunten Klassen. Wer genau gerufen hat, weiß Uwe Petersen bis heute nicht. Die Verantwortlichen konnte er also weder direkt zur Rede stellen, noch mit ihren Eltern sprechen oder sie bei der Polizei anzeigen. Letzteres hätte er wohl ohnehin nicht getan.

"Was habe ich davon, wenn ich einen Neuntklässler anzeige?", fragt Petersen. Er findet, Schulen hätten die Aufgabe, mit solchen Situationen pädagogisch umzugehen. "Wir haben sofort Konsequenzen aus dem Vorfall gezogen und für alle Klassen im Jahrgang acht und neun eine entsprechende Unterrichtseinheit zum Thema Rechtsextremismus vorbereitet", so Petersen.

Außerdem soll das Gymnasium in diesem Jahr dem Netzwerk "Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage" beitreten. "Es geht darum, dass wir hier Strukturen schaffen, die so etwas in Zukunft hoffentlich verhindern." Unter anderem werde es eine AG zum Thema geben, regelmäßige Veranstaltungen und Fortbildungen für die Lehrkräfte. "Das soll keine Eintagsfliege sein", sagt der Schulleiter, "sondern eine dauerhafte Aufgabe." 

Projekte zur Demokratieförderung mussten um Finanzierung bangen

Tina Dürr fordert, dass Lehrkräfte gestärkt werden, die immer wieder in die Diskussion gingen, sich gegen menschenfeindliche Äußerungen engagierten. "Schulleitungen müssen ihnen den Rücken stärken und sie für regelmäßige Fortbildungen, etwa zu Rechtsextremismus, freistellen." Demokratiebildung müsse mehr Raum an Schulen bekommen, fächerübergreifend - und es brauche mehr Unterstützung der Schulen nach rechtsextremen Vorfällen.

Erst Ende vergangenes Jahres hatten viele Projekte zur Demokratieförderung wegen geplanter Einsparungen im Landeshaushalt gefürchtet, ihre Arbeit nicht weiter finanzieren zu können. Erst nach heftiger Kritik hatte die Landesregierung die Kürzungspläne zurückgenommen.

"Die Beratungsstellen sind schon jetzt am Limit. Wir kriegen mehr Anfragen als wir bedienen können", berichtet Dürr. "Was wir bräuchten, ist eine Kontinuität und eine Zusage, dass wir unsere Arbeit fortführen können". Denn diese werde gerade dringend gebraucht.

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Quelle: hessenschau.de