Filiz Taraman-Schmorde, Schwester eines verstorbenen Organspenders, vor einem Foto in der Ausstellung über Organspender im Uniklinikum Gießen

In Hessen gibt es zu wenige Organspenden. Für Schwerkranke ist das lebensgefährlich. Eine Ausstellung zum Thema am Uniklinikum Gießen zeigt Wege auf, wie sich der Mangel beheben ließe.

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Organspender-Ausstellung an Uniklinik Gießen

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Seit kurzem prangt ein neuer Schriftzug an der Wand des linken Hauptkorridors im Gießener Uniklinikum (UKGM): "Organspender sind Lebensretter". Gemeint sind damit Menschen wie Tolga Taraman aus Bad Nauheim (Wetterau).

Gerade mal 24 Jahre alt war er, als er im April 2010 mit seinem Motorrad in einen Unfall geriet und schwer verletzt wurde. Krankenhaus, Not-OP, nach zwei Tagen dann die Diagnose: Hirntod. Plötzlich stand seine Familie vor einer schwierigen Frage: Organspende - ja oder nein?

"In dem Moment wird einem der Boden unter den Füßen weggezogen. Man kann nicht mehr klar denken. Da kommen Gefühle hoch, die kann man gar nicht beschreiben", erinnert sich seine Schwester Filiz Taraman-Schmorde. Ihr Foto hängt gleich neben dem "Lebensretter"-Schriftzug im UKGM. Es soll an den Mut der 47-Jährigen erinnern. Daran, dass sie in ihrer dunkelsten Stunde zumindest einen klaren Gedanken fassen konnte: Mein Bruder wollte ein Organspender sein.

Entscheidung des Bruders entlastete trauernde Familie

"Zwei Wochen vor seinem Tod hat unsere Tante erzählt, dass sie sich nicht traut, ihren Organspenderausweis auszufüllen", erzählt Taraman-Schmorde. "Mein Bruder hat ihr gesagt: 'Füll das doch aus. Für mich sind Organspender Helden. Wenn ich die Option hätte, wäre ich auch gern ein Held.'"

Beim Abschied an jenem Tag habe Tolga ihr noch gesagt: "Merk' dir das." Für diesen Moment sei sie bis heute dankbar, sagt sie. Er habe ihr die Zweifel genommen, ob sie ihren sterbenden Bruder für eine Organspende freigeben solle oder nicht.

Spenderorganempfängerin Aliye Inceöz, schaut sich ein Foto mit einem Paar in der Organspender-Ausstellung im Uniklinikum Gießen an

Allerdings: Die Familie Taraman ist die Ausnahme. Insgesamt fehlt es in Deutschland an Organspenden. Wie die Deutsche Stiftung Organtransplantation (DSO) berichtet, standen bundesweit zuletzt etwa 8.500 Menschen auf der Warteliste für ein Spenderorgan - einige schon jahrelang.

In Hessen warten 600 Menschen auf ein Spenderorgan

In Hessen warten demnach aktuell 600 Menschen. Gleichzeitig listet die DSO für das Jahr 2022 nur 869 Deutsche auf, die nach ihrem Tod ihre Organe gespendet haben. In Hessen sind es 51 - Tendenz sinkend.

"Viele Organe, die wir transplantieren, importieren wir aus dem Ausland", sagt die Ärztin Ana Paula Barreiros von der DSO. Pikant findet sie: "Deutschland profitiert dabei von anderen Ländern wie Österreich, in denen die Widerspruchslösung gilt." Dort muss sich jeder aktiv gegen eine Organspende entscheiden. Wer das nicht macht, für den ist die Antwort automatisch Ja.

In Deutschland ist es genau anders herum, man muss sich aktiv zugunsten einer Organspende äußern, im Kreis der Familie oder durch einen Organspendeausweis etwa. Die Folgen dieser Regelung spürt man am Ende in den Krankenhäusern.

Organmangel führt zu vermeidbaren Todesfällen

"Bei uns warten 160 Patienten auf eine Organspende", berichtet Ärztin Sabine Moos. Sie ist die Transplantationsbeauftrage des Uniklinikums Gießen-Marburg. Gebraucht würden hier Lungen, Herzen und Nieren. "Wir haben viele Patienten, die auf eine Lunge warten und in der Wartezeit versterben", sagt Moos: "Jeden Tag sterben in Deutschland drei Menschen, die auf der Organspende-Warteliste stehen."

Eine Empfängerin eines Spenderorgans, Aliye Inceöz, in der Organspender-Ausstellung im Uniklinikum Gießen

Besonders Notfälle sind regelrecht darauf angewiesen, Glück zu haben. So wie Aliye Inceöz aus Gießen. Ein angeborener Herzfehler brachte sie vor 19 Jahren ins Krankenhaus. Sechs Monate blieb sie dort, dann spendete ihr ein junger Mann sein Herz. Seinen Namen, seine Herkunft, seine Todesumstände, all das wird sie nie erfahren. Organempfänger erfahren nicht den Namen der Spender, und umgekehrt. Aber, sagt die 53-Jährige: "Die Dankbarkeit geht nie weg. Ich zünde jedes Jahr eine Kerze an."

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Ausstellung über Organspender: "Ich möchte ein Held sein"

Foto einer Familie in der Ausstellung über Organspender im Uniklinikum Gießen
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An die Spenderfamilie hat Inceöz einen Brief geschrieben. Um ihr zu sagen, dass es dem Herz ihres Angehörigen gut geht. Das Gießener Uniklinikum hat dafür gesorgt, dass der Brief bei den Hinterbliebenen des Spenders oder der Spenderin ankommt.  

Geschichten der Familien der Spender

Die Geschichten der Spenderfamilien würden oft vergessen, sagt die Transplantationsbeauftragte Moos. Deshalb habe sie auch das Bild von Filiz Taraman-Schmorde aufhängen lassen. Es gehört zu einer Fotoausstellung, die Spenderfamilien eine Stimme geben soll. Die Ausstellung ist noch bis Anfang Juni kostenlos im linken Hauptkorridor des UKGM zu sehen.

Die Transplantationsbeauftragte des Uniklinikums Gießen, Sabine Moos, vor Bildern der Ausstellung über Organspender im UKGM

Filiz Taraman-Schmorde hofft, mit ihrem Bild und ihrer Geschichte mehr Menschen dazu zu bewegen, sich mit dem Thema Organspende zu befassen. Jede Familie sollte mindestens einmal darüber gesprochen haben, findet sie. "Mein Bruder hatte keinen Organspenderausweis. Aber er hat sich ganz klar und mit großer Freude geäußert", sagt sie: "Hätte er das nicht getan, hätten wir das allein entscheiden müssen. Das hätte für uns noch mal zusätzlichen Schmerz bedeutet."

Vier Organe hat Tolga Taraman auf dem Weg spenden dürfen. "Sein schönstes Erbe war Lebenszeit", sagt seine Schwester. Sie habe auch dank der Organspende ihren Frieden mit ihrem Verlust gemacht: "Ich weiß, dass ein Familienvater sein Herz bekommen hat. Mein Bruder hatte keine Familie. Dass sein Herz jetzt in einer Familie schlägt, das hätte ihn sehr erfüllt."

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