Zwei Frauen stehen einander zugewendet an einer Tafel. Beide haben je ein Buch in der Hand. Auf der Tafel steht geschrieben: "Welche Sprache sprichst du?"

Zehntausende Menschen aus der Ukraine sind bereits nach Hessen gekommen. Die wenigsten von ihnen sprechen Deutsch, viele werden daher einen Sprachkurs brauchen. Doch den Sprachschulen fehlen Deutschlehrer.

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Sprachkurse für Geflüchtete

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"Der Bruder, die Tante, die, nein, der Onkel, ..." - Die Teilnehmerinnen im Kurs von Emiliia Tereshchenko lernen in dieser Woche die Bezeichnungen für Familienmitglieder. Viele Wörter seien ähnlich wie im Englischen, sagt Olha, das mache es einfacher. In ihrer Heimatstadt Kiew lernte sie in der Schule schon ein paar Jahre Deutsch, arbeitete anschließend für das Düsseldorfer Unternehmen Henkel. Dann kamen die ersten russischen Soldaten in der ukrainischen Hauptstadt an. Olha floh.

Im Kurs in Frankfurt will sie ihre Sprachkenntnisse auffrischen, um sich in der Stadt sicherer und wohler zu fühlen, sagt Olha. Und auch, um hier einen Job zu finden. Ein erstes Bewerbungsgespräch hatte sie schon.

Integration auf Arbeitsmarkt dauert fünf Jahre

So gute Voraussetzungen wie Olha haben nicht alle. Das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung geht davon aus, dass mehr als 90 Prozent der Ukrainerinnen und Ukrainer, die nach Hessen kommen, nicht oder kaum Deutsch sprechen. Das schränke ihre Chancen auf dem Arbeitsmarkt massiv ein, sagt Wirtschaftswissenschaftler Herbert Brücker. Er nennt eine Faustregel: Demnach dauert es fünf Jahre, bis gut die Hälfte der Geflüchteten in den Arbeitsmarkt integriert sind.

Sprache gilt als Schlüssel für die Integration, doch was passiert, wenn es nicht genug Deutschkurse gibt? Seit 1984 unterstützt der Frankfurter Verein "Infrau" Frauen und Familien mit Migrations- und Fluchterfahrung. So dringend wie gerade hätten sie noch nie nach Lehrkräften gesucht, sagt Annette Piepenbrink-Harraschain, auch bei der letzten großen Fluchtwelle 2015 nicht. Seit einem Vierteljahr sei ihre Stellenausschreibung bereits online. Geeignete Bewerber gebe es nicht.

Im Lockdown andere Jobs gesucht

Vor der Corona-Pandemie beschäftigte Infrau noch 15 Lehrerinnen und Lehrer. Aktuell seien es zehn, sagt Piepenbrink-Harraschain. Sie habe Verständnis für die Lehrkräfte, die sich beruflich umorientiert hätten, als die Kurse wegen der Lockdowns ausfallen mussten. Ebenso für die älteren Beschäftigten, die aus Angst, sich anzustecken, nicht mehr unterrichten wollten - und auch mit dem Digitalunterricht nicht zurechtkamen.

Doch nun sorgt sich Piepenbrink-Harraschain, Kurse verschieben oder womöglich ganz absagen zu müssen, wenn sie nicht bald neues Fachpersonal findet. Noch haben viele ukrainische Geflüchtete drängendere Sorgen als einen Sprachkurs. In ein paar Wochen oder Monaten allerdings werden die Anfragen zunehmen, ist sich Piepenbrink-Harraschain sicher.

Höhere Löhne - weniger Arbeitsstunden

Dass der Arbeitsmarkt mit Lehrkräften in Frankfurt derzeit wie leergefegt sei, bestätigt Petra Fuentes-Benzing von der ASB Lehrerkooperative. Noch würden bei ihnen alle einen Platz bekommen, sagt sie. Doch fünf bis sechs weitere Lehrkräfte könnte sie ebenfalls gut brauchen. Vor allem für die äußeren Stadtteile von Frankfurt wie Niederrad oder Hausen sei es schwierig, jemanden zu finden. "Alle wollen in der Innenstadt arbeiten."

Neben der Corona-Pandemie macht Fuentes-Benzing einen zweiten Grund für den Mangel aus: Als das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) im Jahr 2020 die Mindesthonorare für freiberufliche Sprachlehrer von 35 auf 41 Euro anhob, hätten viele Lehrkräfte ihre Unterrichtsstunden reduziert. Der Plan, die Honorarkräfte sozial besser abzusichern, sei damit nicht aufgegangen, meint sie.

BAMF: Müssen Lehrkräfte zurückgewinnen

Dem BAMF ist der Lehrermangel ebenfalls bekannt. Zwar seien seit 2016 bundesweit mehr als 30.000 Lehrkräfte für die Integrationskurse zugelassen worden, teilte eine Sprecherin auf Anfrage mit. Doch "viele" dieser Lehrkräfte seien wegen der coronabedingt gesunkenen Teilnehmendenzahlen in den Kursen zuletzt nicht mehr im Einsatz gewesen. Die Herausforderung bestehe nun darin, sie "schnellstmöglich" wieder für Integrationskurse zu gewinnen.

Insgesamt sei man bei den Integrationskursen noch "gut aufgestellt", so das BAMF. Bundesweit hätten die Kursträger angesichts der Lage in der Ukraine ihr Angebot "in kürzester Zeit mehr als verdoppelt". In den kommenden drei Monaten stünden fast 70.000 Plätze zur Verfügung. Das würde für die 40.000 ukrainischen Geflüchteten also reichen, die laut BAMF bisher eine Teilnahmeberechtigung erhalten haben.

Ob das auch auf Dauer genug ist, lässt sich allerdings kaum einschätzen. Denn wie viele Geflüchtete aus der Ukraine sich in den kommenden Wochen und Monaten auf den Weg nach Deutschland machen werden, ist ungewiss. Außerdem haben viele Ukrainerinnen und Ukrainer, die bereits in Hessen angekommen sind, sich noch nicht beim BAMF für einen Sprachkurs registriert. Eine Verpflichtung dazu gibt es auch nicht, sie müssen kein Asyl beantragen und auch keinen Sprachkurs machen, wenn sie das nicht wollen. Oder sie greifen auf eines der vielen alternativen Angebote von Ehrenamtlichen zurück.

Land stockt Finanzierung für Kurse auf

Auch das Land Hessen finanziert solche alternativen Deutschkurse. Nicht alle der 51.000 Ukrainerinnen und Ukrainer, die bisher nach Hessen gekommen seien, hätten direkt Zugang zu den BAMF-Kursen, sagte Sozialminister Kai Klose (Grüne) in der vergangenen Woche. Das Land werde daher etwa 80 weitere, niedrigschwellige Angebote wie Alphabetisierungskurse bezahlen, kündigte Klose an.

Für die Ukrainerinnen und Ukrainer sei es genial, dass es so viele und teils auch unbürokratische Angebote gebe, meint Petra Fuentes-Benzing vom ASB. Doch Geflüchtete aus anderen Ländern seien weiterhin auf die BAMF-geförderten Integrationskurse angewiesen, um irgendwann eine Arbeitserlaubnis zu erhalten. Während Menschen aus der Ukraine in Deutschland auch ohne jegliche Sprachkenntnisse arbeiten dürften, warteten manche Menschen, die 2015 nach Hessen gekommen seien, noch immer auf ihre Teilnahmeberechtigung für einen Sprachkurs, sagt Fuentes-Benzing. So entstehe eine Zweiklassengesellschaft.

Weitere Informationen

Wo Geflüchtete einen Sprachkurs finden

Für einen Integrationskurs, der aus 600 Deutsch- und 100 Orientierungsstunden besteht, müssen Geflüchtete einen Antrag stellen. Weitere Informationen dazu hat das BAMF zusammengestellt. Kursanbieter finden Sie mit dieser Karte.
Das Land Hessen fördert mit dem Projekt "Deutsch4U" zusätzlich Einsteigersprachkurse, Alphabetisierungskurse und Angebote, die sich speziell an Frauen richten, z.B. "Mama lernt Deutsch". Diese und weitere Angebote finden Sie über den "Integrationskompass" des Landes.

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