Patronenhülse mit Polizei-Markierung auf Boden

In Hessen untersucht die Justiz derzeit vier Fälle von tödlichen Polizeischüssen – so viele waren es lange nicht. In drei der Fälle hatten die Getöteten zuvor mit dem Messer gedroht. Vor allem ein Fall sorgte für Schlagzeilen.

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Tödlliche Polizeischüsse – das ist der Ermittlungsstand

Polizistin mit Waffe
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Der Tod von Amin F. in Frankfurt hat Demonstrationen gegen die Polizei ausgelöst und den Hessischen Landtag beschäftigt. Der 23-jährige Somalier starb am 2. August 2022 im Bahnhofsviertel durch eine Kugel in den Kopf – abgefeuert von einem SEK-Beamten. F. hatte laut Ermittlern zuvor zwei Prostituierte mit dem Messer bedroht, auch Schusswaffen wurden bei ihm vermutet.

Demonstranten und Politiker der Linken fragten damals, ob beim tödlichen Polizeieinsatz Rassismus eine Rolle spielte. Darauf gebe es keine Hinweise, erklärte der damalige hessische Innenminister Peter Beuth (CDU). Aber gegen den Schützen wird weiter wegen Totschlags ermittelt.

Totschlagsermittlungen sind Standard

Dass die Justiz tödliche Polizeieinsätze untersucht, ist Standard – genau wie bei allen anderen gewaltsamen Todesfällen. Was eher selten vorkommt: Im Moment beschäftigen gleich vier solcher Einsätze die hessischen Staatsanwaltschaften.

  • Der aktuellste Fall liegt vier Wochen zurück. Am 30. Januar attackiert ein 40-Jähriger am Deutschherrnufer in Frankfurt-Sachsenhausen zwei Frauen mit einem Messer. Einer Frau fügt er Schnittwunden an Hals und Gesicht zu, so das Landeskriminalamt. Die Polizei wird gerufen, drei Beamte greifen zur Waffe, drücken ab, treffen ihn in die linke Brust. Der offenbar psychisch kranke Angreifer stirbt noch am Tatort. Ein Passant wird durch einen Querschläger verletzt.
  • In Bad Schwalbach kommt am 1. Dezember vergangenen Jahres ein Mann durch Polizeikugeln ums Leben, der zuvor seine Ehefrau bedroht hat. Die Frau ruft die Polizei. Der 37-Jährige läuft auf die Polizisten zu, ein Beamter schießt ihm in die Beine. Der Mann stirbt später, vermutlich an den Folgen des Blutverlustes. Eine Waffe wird bei ihm nicht gefunden, gibt die Staatsanwaltschaft Wiesbaden an.
  • Der Fall Amin F., der schon über anderthalb Jahre zurückliegt, hat eine Besonderheit: Als am Abend das Spezialeinsatzkommando der Polizei eintrifft, ist die akute Bedrohungssituation schon vorbei. F., der zwei Prostituierte mit offener Klinge bedroht, aber nicht verletzt hatte, hat sich allein in ein Hotelzimmer zurückgezogen. Am frühen Morgen stürmt das SEK das Zimmer, ein Beamter gibt sechs Schüsse ab, einer trifft F. von oben in den Schädel.
  • Auch den tödlichen Schüssen in Groß-Gerau am 24. August 2021 geht laut Staatsanwaltschaft Darmstadt eine Messerattacke voraus. Ein 39-Jähriger verletzt seine Frau, seine Schwiegermutter und zwei Nachbarn durch Stiche, ein Familienmitglied ruft die Polizei. Eine Streife trifft ein, die beiden Beamten stoppen den Mann mit mehreren Schüssen. Er stirbt noch am Tatort.

Der Fall in Groß-Gerau war für die Staatsanwaltschaft Darmstadt eigentlich schon ausermittelt. Die Beamten hätten in Notwehr gehandelt, eine Straftat liege nicht vor. Doch ein Hinterbliebener möchte erreichen, dass weiter ermittelt wird. Darüber muss jetzt das Oberlandesgericht in Frankfurt entscheiden.

Bei Notwehr darf auf den ganzen Körper geschossen werden

Gerade Messerangriffe bringen Polizisten schnell in eine Notwehr-Situation, sagt der Hamburger Polizeiwissenschaftler Rafael Behr. Kommt der Angreifer mit gezückter Klinge schnell auf den Polizisten zu und unterschreitet eine Distanz von sechs Metern, wird es kritisch. Dann sei es, als letztes Mittel, rechtlich legitimiert zu schießen, und zwar nicht nur auf Arme oder Beine, wie oft gesagt werde, sondern auf die gesamte Körperfläche.

Schießwütig sei die deutsche Polizei aber keineswegs, sagt Behr. In den vergangenen zehn Jahren kamen deutschlandweit jährlich zwischen sieben und 16 Menschen durch Polizeikugeln ums Leben, laut Innenministerkonferenz. In den USA waren es nach einer Statistik der Washington Post hundert Mal so viele Tote, obwohl dort nur vier Mal so viele Menschen leben.

Dennoch, so Behr, gebe es auch hierzulande Fälle, die Fragen aufwerfen: War es nötig zu schießen? Gab es Handlungsalternativen? Das genau zu untersuchen, sei wichtig, um das Vertrauen in die Polizei zu bewahren.

Kein Polizist wegen tödlicher Schüsse verurteilt

In Hessen ist in der jüngeren Vergangenheit kein Polizist wegen tödlicher Schüsse angeklagt, geschweige denn verurteilt worden. In der Regel werden die Verfahren eingestellt, weil die Ermittler von einer lebensbedrohlichen Notsituation ausgehen.

So war es 2021 in Frankfurt-Griesheim und 2020 in Vellmar bei Kassel. Auch da hatten es die Beamten mit Messer-Angreifern zu tun. 2018 in Fulda erschoss ein Polizist einen jungen Flüchtling aus Afghanistan, der mit einem Schlagstock bewaffnet war. Auch hier ging die Staatsanwaltschaft von Notwehr aus und stellte das Ermittlungsverfahren nach drei Jahren endgültig ein.

In Dortmund steht Einsatzleiter vor Gericht

Eine der seltenen Ausnahmen ist ein Fall in Dortmund. Dort stehen mehrere Polizisten vor Gericht, weil bei einem Einsatz 2022 ein 16-jähriger Flüchtling aus dem Senegal erschossen worden war. Auch er war mit einem Messer bewaffnet und kam damit möglicherweise auf die Beamten zu – die Zeugenaussagen gehen an dem Punkt auseinander.

Die Staatsanwaltschaft Dortmund sieht darin trotzdem keine Notwehrsituation, es hätte Handlungsalternativen gegeben. Man hätte den Polizeieinsatz von vornherein so gestalten können, dass die Lage nicht eskaliert. Deshalb muss sich auch der Einsatzleiter vor Gericht verantworten, wegen Anstiftung zur gefährlichen Körperverletzung.

Auch in Frankfurt Kritik an Einsatzleitung

In Hessen sehen viele eine Parallele zum Fall Amin F., dem 23-Jährigen, der im Bahnhofsviertel erschossen wurde. Auch da steht der Einsatz als ganzer in der Kritik. Warum brach die Polizei das Hotelzimmer auf, in dem F. allein saß, schickte einen Polizeihund in das Zimmer und stürmte dann mit SEK-Beamten hinein? Hätte es Alternativen gegeben?

Die Staatsanwaltschaft versichert auf Nachfrage, sie nehme den ganzen Einsatz in den Blick, es werde alles "vollumfänglich betreffend Sach- und Rechtslage" geprüft. Ein Ergebnis der Prüfung liegt noch nicht vor.

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