Holocaust-Vergleiche und Schuldumkehrung beim Ukraine-Krieg: Der Schweizer Historiker Daniele Ganser plant mehrere Vorträge in Bensheim. Eine Bürgerinitiative wendet sich dagegen, die Stadt sieht keine Handhabe.

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Umstrittener Historiker tritt in Bensheim auf

Menschen sitzen auf Stühlen im Publikum, von hinten fotografiert
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Am kommenden Montag und Dienstag will Daniele Ganser insgesamt viermal im Bürgerhaus Bensheim (Bergstraße) auftreten. "Der Krieg in der Ukraine wird ein Schwerpunkt sein", schreibt er auf seiner Facebook-Seite. Veranstalter ist der Verein Lebenskunst Bensheim. Auf der Webseite des Vereins steht, Ganser spreche über "Achtsam leben in einer unfriedlichen Welt".

Stadt Bensheim distanziert sich

Die Bergsträßer Initiative Vielfalt Jetzt wendet sich gegen Gansers geplante Auftritte. Angesichts der vielen Menschen, die vor dem russischen Angriffskrieg aus der Ukraine auch nach Bensheim geflohen sind, "passen Gansers verschwörungsbehafteten Erklärungen nicht in ein öffentliches Gebäude", sagte der Sprecher der Initiative, Manfred Forell, dem hr.

Auch die Stadt Bensheim "distanziert sich ausdrücklich" von Gansers Positionen, wie sie mitteilt. Doch die Meinungsfreiheit sei ein hohes Verfassungsgut. "Solange der Vortrag sich innerhalb der von Verfassung und Strafrecht definierten Grenzen bewegt, sind auch schwierige oder schmerzhafte Meinungen und Ansichten zu tolerieren, denen innerhalb eines gesellschaftspolitischen Diskurses begegnet werden muss." Die Stadt sieht keine vertragsrechtliche Handhabe, die Veranstaltung zu untersagen oder zu verhindern.

Inhaltliche Positionen der Querdenker-Szene

Daniele Ganser macht seit vielen Jahren mit Verschwörungstheorien und inhaltlichen Positionen der Querdenker-Szene von sich reden. In dem Film "Pandamned" rückte er die von ihm wahrgenommene Spaltung zwischen Geimpften und Ungeimpften in die Nähe des nationalsozialistischen Staats, in dem die Nazis den Holocaust an den Juden verübten. Wenn er über Deutschland als besetztes Land ohne Friedensvertrag spricht, lässt ihn das anschlussfähig an die Reichsbürgerszene erscheinen.

Ganser bezeichnet sich selbst als Friedensforscher und tourt aktuell mit seinem Programm zum Ukraine-Krieg durch Deutschland, Österreich und die Schweiz. Auch wenn er Putins Überfall auf die Ukraine nicht gutheißt, erinnert seine Darstellung des Kriegs an die vom Kreml verbreitete Position, die Nato stecke durch die Aufnahme osteuropäischer Staaten hinter der militärischen Eskalation.

Auf Gansers Webseite werden die Veranstaltungen in Bensheim im Tourplan seines aktuellen Programms zum Ukraine-Krieg aufgeführt. Weder Ganser noch der Verein Lebenskunst Bensheim hat bislang auf hr-Anfragen geantwortet, worum genau es dabei gehen soll. Auch wie viele Tickets, das Stück zu 30 Euro, für die vier Vorträge verkauft wurden, lässt sich nicht sagen. Ins Bürgerhaus passen mindestens 500 Menschen.

Evangelischer Schulpfarrer als Organisator

Vorsitzender des Vereins Lebenskunst Bensheim ist Justus Keller. Der evangelische Schulpfarrer organisiert außerhalb seines Diensts die Veranstaltungsreihe des Vereins. Im Jahr 2020 sorgte er mit öffentlichen Sympathiebekundungen für Querdenker-Positionen für Aufsehen. "Diese Art der Öffentlichkeit hat bei Herrn Keller zu einer noch bewussteren und konsequenten Wahrung von Neutralität im Bereich Schule geführt," beteuert Silke Hagemann, Direktorin des kirchlichen Schulamts Darmstadt.

Auf die Frage, wie die Evangelische Kirche in Hessen und Nassau (EKHN) Kellers Veranstaltung mit Ganser sieht, sagt ein EKHN-Sprecher, viele von Gansers Äußerungen seien weit entfernt von der Haltung und der Auffassung der Kirche. Doch hätten Beschäftigte bei gesellschaftlichen Themen einen großen persönlichen Handlungsspielraum. "Justus Keller nutzt diesen Spielraum und setzt mit seinen Aktivitäten eigene Akzente", sagt der Sprecher.

Stadt könnte politischen Spielraum nutzen

Die Stadt Bensheim hat das Bürgerhaus in ein hundertprozentiges Tochterunternehmen für Marketing- und Entwicklung ausgelagert. Diese verpachtet das Gebäude an einen privaten Dienstleister. Peter Lotz ist Mitglied im Beirat Stadtkultur Bensheim und war lange kommunalpolitisch aktiv. Die verschachtelten Besitzverhältnisse erschwerten es der Stadt, Einfluss auf die Vermietung an einen Verschwörungstheoretiker zu nehmen, bedauert er.

Allerdings gebe es Spielraum, der politisch genutzt werden könne. Lotz verweist auf das oberösterreichische Steyer. Dort stornierte die Kulturstadträtin Katrin Auer (SPÖ) jüngst eine Veranstaltung Gansers in der Stadthalle. Und in Innsbruck untersagte Bürgermeister Georg Willi (Grüne) einen Auftritt Gansers in einer Halle mit städtischer Beteiligung ebenfalls mit Verweis auf dessen verschwörungstheoretische Positionen.

Sponsoren auf dem Rückzug

Bislang wurde der Verein Lebenskunst Bensheim vom kommunalen Energieversorger GGEW und der Sparkasse Bensheim unterstützt. Die Sparkasse hat sich bereits vom Sponsoring zurückgezogen - einem Bericht des Darmstädter Echos zufolge begründet sie das damit, dass sie viele Förderaktivitäten habe und sich "von Altem lösen" müsse. GGEW hat nach eigenen Angaben dafür gesorgt, dass der Verein ihr Logo nicht mehr verwendet. Das Unternehmen prüfe das Sponsoring, so ein Sprecher.

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