Figuren von zwei Männern und Kind vor Regenbogenfahne

Eigentlich wollten sie doch nur Familie gründen: In Wiesbaden sollen homosexuelle Paare von Amtsärzten im Gesundheitsamt falsche Gutachten bekommen haben, die verhindern, dass sie Kinder adoptieren. Zwei Paare haben nun Dienstaufsichtsbeschwerde eingereicht.

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Haben Wiesbadener Amtsärzte Regenbogen-Adoptionen verhindert?

hs
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Marc und Thomas sind verheiratet und wünschen sich ein Kind. Die beiden 39 und 44 Jahre alten Männer haben sich bei der Stadt Wiesbaden für eine Adoption beworben. Zur umfangreichen Eignungsprüfung gehört auch ein Gesundheitszeugnis. Das ist wichtig, denn Kinder werden nicht an Adoptiveltern vermittelt, die etwa alkoholabhängig oder psychisch erkrankt sind oder tödliche Krankheiten haben.

Blutwerte angeblich zu schlecht für eine Adoption

Die Adoptionsvermittlung der Stadt Wiesbaden setzt dabei auf Gutachten vom Stadtgesundheitsamt. Die Untersuchung von Marc und Thomas fand im August statt. Beide Männer sind eigentlich davon überzeugt, dass sie gesund sind. Und so habe sie der Befund der Amtsärztin schockiert: Die Blutwerte seien zu schlecht, auch andere gesundheitliche Einwände lägen vor. Die Männer seien als Adoptiveltern nicht geeignet. Der Wiesbadener Kurier hatte zunächst über den Fall berichtet.

Das sei "an den Haaren herbeigezogen", sagt Marc heute. "Sie hat da nach acht Minuten Untersuchung Krankheiten attestiert, die wir nicht haben." Die Ärztin habe schlichtweg gelogen. Ein Attest vom Hausarzt habe keine Einwände gezeigt.

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Ärzte am Wiesbadener Gesundheitsamt sollen Adoptionen verhindert haben

Marc und Thomas sehen gemeinam Unterlagen durch.
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Amtsärztin "leider homophob"

Die stellvertretende Leiterin des Gesundheitsamtes, so erinnern sich Marc und Thomas an ein Gespräch, habe ihnen nach langem Ringen und großer Unsicherheit gesagt, die Amtsärztin sei "leider homophob", da könne sie nichts machen. "Und da sitzt man erst mal da und ist fassungslos", erinnert sich Marc.

Daniela Hirsekorn bestreitet auf Nachfrage des hr, das so gesagt zu haben. Marc spricht von einem Kampf gegen Windmühlen. Das Paar hat nun eine Dienstaufsichtsbeschwerde eingereicht.

Betroffene "traurig, machtlos und ausgeliefert"

Ebenfalls Dienstaufsichtsbeschwerde eingereicht haben Florian (32) und Michael (38). Auch sie möchten in Wiesbaden ein Kind adoptieren. Die Untersuchung durch einen Amtsarzt sei aber merkwürdig gewesen. "Ich bin unter anderem gefragt worden, ob ich mich denn in der Frauenrolle sehen würde. Wir haben dann andeutungsweise gesagt bekommen, dass ein Kind eine Mutter bräuchte."

Der Amtsarzt bescheinigte bei beiden gesundheitliche Bedenken - Adoption demnach ausgeschlossen. Traurig, solche Steine in den Weg gelegt zu bekommen, meint Florian. "Man fühlt sich machtlos, ausgeliefert."

Auch Frauenpaare bekommen negative Gutachten

Jessica (31), Rebecca (27)

Ein drittes Paar, dasselbe Schicksal: Auch Jessica (31) und Rebecca (27) wünschen sich ein Kind. Dass die Amtsärzte ihnen die Erziehung von Kindern aus gesundheitlichen Gründen nicht zutrauen, finden sie absurd, Rebecca ist sogar ausgebildete Erzieherin. "Ich passe jeden Tag auf 20 Kinder auf. Meine Frau steht auch fest im Leben, sie ist Verkäuferin", sagt sie. Nach dem negativen Gutachten seien sie beide am Boden zerstört gewesen. "Wir haben sonntags zu Hause auf der Couch gesessen und geweint, weil wir nicht wussten, was los ist. Wir haben an sämtlichen Dingen gezweifelt."

Alle drei Paare waren irritiert und haben sich nach eigenen Aussagen gefragt, ob sie vielleicht wirklich schwer krank sind. Schließlich hätten sie voneinander erfahren und sich ausgetauscht. "Danach hatten wir das Gefühl, wir sind nicht allein", sagt Florian. "Es liegt eventuell nicht an uns persönlich."

Betroffene Ärzte wollen sich nicht zu Homophobie-Vorwürfen äußern

Daniela Hirsekorn weiß seit Monaten, dass offenbar etwas mit den Gesundheitsgutachten nicht stimmt. Die Adoptionsvermittlung im Sozialdezernat hatte sie darauf hingewiesen, dass im vergangenen Jahr alle gleichgeschlechtlichen Bewerberinnen und Bewerber ein negatives Gutachten vom Gesundheitsamt bekommen hatten - anders als die heterosexuellen Bewerber.

"Es werden (...) derzeit auch arbeitsrechtliche Konsequenzen geprüft", heißt es in einem Schreiben vom Gesundheitsamt zu diesem Thema. "Daneben muss Wiedergutmachung für die betroffenen Paare stehen, sollten sich die Vorwürfe auch nur ansatzweise als begründet herausstellen." Ob eine strafbare Handlung vorliegt, ist offenbar noch unklar.

Minister appelliert an Dezernent

Die Amtsärztin selbst will sich dem hr gegenüber nicht zu den Vorwürfen äußern. "Kein Kommentar", sagt sie am Telefon. Von ihrem Kollegen im Gesundheitsamt, der Florian und Michael negativ begutachtete, kam auf Anfrage keine Rückmeldung. Das Gesundheitsamt schreibt, er könne nicht persönlich Stellung nehmen, er sei momentan nicht vor Ort.

Gesundheitsminister Kai Klose (Grüne) schickte am Donnerstag Wiesbadens Bürgermeister und Gesundheitsdezernent Oliver Franz (CDU) die Bitte, die Landesärztekammer einzubinden. Sie solle prüfen, ob mögliche berufsrechtliche Verstöße vorliegen. Außerdem bat Klose Franz zu erwägen, die Strafverfolgungsbehörden wegen eines möglichen Ausstellens unrichtiger Gesundheitszeugnisse (Paragraf 278 StGB) einzuschalten.

"Queere Eltern gehören zum Alltag"

Die adoptionswilligen Paare haben auch Kontakt zum LSBT*IQ-Koordinator der Stadt, Stefan Kräh, aufgenommen. Er versucht zu unterstützen und die Vorgänge zu beschleunigen. Die Adoptionsstelle der Stadt Wiesbaden hat nach den Vorfällen den Paaren nun in Aussicht gestellt, dass es ärztliche Gegengutachten oder Zweitgutachten geben könne. Mit deren Ergebnis könne die Eignung zur Adoption von Marc und Thomas, Florian und Michael sowie Jessica und Rebecca neu bewertet werden.

Und auch das Sozialdezernat hat reagiert, um weitere Fälle mutmaßlich diskriminierender Begutachtungen zu verhindern. Derzeit könnten die Untersuchungen nach Angaben der Behörde auch von anderen Ärzten vorgenommen werden.

Der Verein Queeres Zentrum in Wiesbaden betont zum Thema Adoptionen allgemein: Alle Paare müssten gleichbehandelt werden. Es gebe ein ganz klares Verfahren, und das müsse bei allen gleich angewendet werden. "Queere Eltern gehören zum Alltag."

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Adoptionsrecht

Seit 2005 können Homosexuelle die leiblichen Kinder ihres Partners oder ihrer Partnerin adoptieren. Seit 2013 ist es möglich, nacheinander ein Kind zu adoptieren (Sukzessivadoption). Seit dem 1. Oktober 2017 können gleichgeschlechtliche Ehepaare auch gemeinsam Kinder adoptieren.

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