Ein Schild weist auf eine Jugendherberge hin.

Seit 100 Jahren bieten Jugendherbergen die Möglichkeit, eigenständig Natur, Geschichte und Gemeinschaft zu erleben – inklusive Stockbetten und rotem Tee. Inzwischen sind WLAN und vegane Würstchen nicht wegzudenken.

Audiobeitrag

Audio

100 Jahre Jugendherbergen in Hessen

Das Bild zeigt die Burg Hessenstein
Ende des Audiobeitrags

Im nordhessischen Wald, nahe der Eder, verbirgt sich inmitten von Bäumen die Burg Hessenstein. Einst residierte Landgraf Heinrich von Hessen in den Gemäuern von 1342. Heute beherbergt sie Kinder, Jugendliche und Familien, die vor mittelalterlicher Kulisse etwas erleben wollen.

Vor 100 Jahren wurde die Burg Hessenstein in Vöhl (Waldeck-Frankenberg) die erste Jugendherberge in Hessen, nach der im nordrhein-westfälischen Altena die zweite in Deutschland überhaupt.  

100 Jahre Burg Hessenstein

Anfänge in der Wandervogelbewegung

Die Wandervogelbewegung des frühen 20. Jahrhunderts war damals ausgezogen, sich Natur und Gemeinschaft auf eigene Faust zu erschließen. Das hatte den Bedarf an günstigen Absteigen für junge Menschen erhöht. So kam Richard Schirmann 1909 eine Idee, die in ihrer Ausgestaltung Generationen prägen sollte: die Jugendherberge.  

"Damals waren die Jugendlichen in großen Schlafsälen untergebracht. Dort gab es Heizöfen, die sie selber befeuern mussten, damit sie es warm hatten", erzählt der Geschäftsführer der Burg, Berthold Langenhorst.

Heute gelten für Übernachtungsgäste weniger Pflichten

Seitdem habe sich selbstverständlich vieles geändert. Wer heute in einer Jugendherberge übernachte, habe weniger Pflichten, als viele das noch von früheren Reisen kennen, so Langenhorst. "Weil wir Hygienebedingungen erfüllen müssen, kommen die Jugendlichen nicht mehr zum Spülen in die Küche. Sie helfen dabei, das Geschirr wegzuräumen, fegen ihre Zimmer und bringen den Müll weg." 

Ganz ohne Anpacken wird es so schnell aber keinen Aufenthalt in einer Jugendherberge geben. Knut Stolle vom Landesverband Hessen des Deutschen Jugendherbergswerks (DJH) ist überzeugt vom sozialisierenden Moment gegenseitiger Rücksichtname - gerade die Jugendherbergs-typischen Mehrbettzimmer und Waschräume spielten dabei eine entscheidende Rolle. "Wo haben Sie gelernt, Betten zu beziehen?“, fragt er. "Viele Leute sagen, das haben Sie das erste Mal in einer Jugendherberge gemacht."

100 Jahre Burg Hessenstein

Gemeinschaft zu erleben, das funktioniert laut Stolle "nicht nur draußen beim Sporttreiben". "Die Kinder und Jugendlichen teilen sich ein Badezimmer. Das heißt, sie müssen gucken, dass der nächste, der ins Bad kommt, sich da auch noch wohlfühlt. Sie müssen sich abstimmen und Rücksicht nehmen, wenn jemand schlafen möchte, gegebenenfalls rausgehen oder sie sagen eben: Okay, ich passe mich an."

Gemeinschaftsgefühl nach Corona stärken

Dass Jugendherbergen hier womöglich eine Schlüsselfunktion im Bereich soziale Bildung erfüllen, würde sicher auch Langenhorst von der Burg Hessenstein unterschreiben. Gerade durch die Corona-Zeit seien viele Kinder und Jugendliche es nicht mehr gewohnt, in Gemeinschaften zusammen zu sein.

"Deswegen sind Klassenfahrten jetzt umso wichtiger", findet er. Die Kinder seien zu dritt, zu viert, manchmal auch zu acht auf einem Zimmer. "Da gibt es natürlich viel zu erleben, aber auch Konflikte auszutragen", sagt Langenhorst. Das sei gut, "weil Kinder das natürlich lernen müssen".

Stolle sieht das genauso: "Gerade Kinder, die vielleicht aus einem nicht so gesunden Elternhaus kommen, erleben bei uns ein Gemeinschaftsgefühl, das sie sonst im Alltag gar nicht wahrnehmen können."

Längst mehr als ein Ziel für Klassenfahrten

Seit den Jahren der Wandervogelbewegung haben Jugendherbergen ihre Zielgruppe erweitert. Heute sind sie beliebte Adressen für Schulfreizeiten, Jugendgruppen-Treffen, Familienurlaube oder Wochenend-Seminare.

Und die Einrichtungen haben sich modernisiert. Es gibt WLAN, jedenfalls im Eingangsbereich. Auf der Burg Hessenstein liegen auch vegane Würstchen auf dem Grill - "wir versuchen klimabewusst zu arbeiten"; Einrichtungen des DJH beschildern Toiletten auf Wunsch nach Art der Keramik statt nach Geschlecht - "wir sind da lösungssuchend an der Stelle".  

Das Bild zeigt ein schwarz-weiß gefliestes Badezimmer mit eckigem Waschbecken, Toilette und Dusche

Auch mit ihren Räumlichkeiten gehen die Jugendherbergen mit der Zeit, das DJH bietet in Hessen etwa die Möglichkeit, in einem Baumzelt am Edersee zu schlafen, in einem Tiny House oder in einem Riesenbett für acht Personen am Hoherodskopf.

Für Familien - aber kein Familienhotel

Beinahe wäre man geneigt, zu glauben, im Wettbewerb mit den beliebten Anbietern für Erlebnisurlaube hätten Jugendherbergen sich angepasst. Doch das stimmt nicht, jedenfalls nicht, wenn man Stolle folgt. Die Ganzheitlichkeit des Konzepts Jugendherberge sei einzigartig.

Er verdeutlicht das am Beispiel Familienurlaub: "Wir sind kein Familienhotel", sagt er. "Bei uns gibt es kein Animationsprogramm für Kinder, während die Eltern in Ruhe Kaffee trinken oder in die Sauna gehen." Stattdessen versuche man, die Familien gemeinsam zu beschäftigen: vom Fußballturnier bis zum gemeinsamen Roboter-Bauen.

 An Stockbetten und rotem Tee wird festgehalten

Der Aufenthalt in einer Jugendherberge sei ein Aus vom Alltag, betonen Stolle und Langenhorst gleichermaßen. "Ein Aufenthalt auf der Burg Hessenstein bedeutet Entspannung", sagt Geschäftsführer Langenhorst. "Wenn Grundschulklassen kommen, sind die Kinder innerhalb kurzer Zeit ins Spiel versunken. Sie lernen: Ich muss nicht immer nur ins Internet gehen, ich kann auch draußen was erleben." 

Stolle erinnert sich an einen ganz persönlichen Moment. Er entdeckte den kleinen Sohn einer urlaubenden Familie allein auf einem Steg. Den Hund an seiner Seite blickte der Junge gedankenverloren aufs Wasser. "Wann passiert das zuhause mal?", fragt Stolle und erkennt darin auch den Geist der Wandervogelbewegung in den Jugendherbergen von heute: "Die haben damals gesagt: Ihr sollt selbstständig werden, ihr sollt euch auf eigenen Füßen bewegen und die Welt entdecken." 

Das Bild zeigt den Speisesaal der Burg Hessenstein mit Sitzgruppen aus hölzernen Tischen und Stühlen.

Und noch ein paar Dinge, die sich über die Jahrzehnte in Jugendherbergen etabliert haben, werden sich so schnell wohl nicht ändern. "Wir sind wirklich überzeugt von Stockbetten. Und wir sind wirklich überzeugt davon, dass roter Tee kein schlechter Tee ist", sagt Stolle und spielt damit auf eine Infrastruktur an, die nun schon Generationen von Schülerinnen und Schülern geprägt hat. "Die Kanne ist nicht mehr notwendigerweise blechern, wir haben auch schöne Karaffen aus Glas. Aber der Tee darf bleiben!"

Formular

hessenschau update - Der Newsletter für Hessen

Hier können Sie sich für das hessenschau update anmelden. Der Newsletter erscheint von Montag bis Freitag und hält Sie über alles Wichtige, was in Hessen passiert, auf dem Laufenden. Sie können den Newsletter jederzeit wieder abbstellen. Hier erfahren Sie mehr.

* Pflichtfeld

Ende des Formulars
Weitere Informationen Ende der weiteren Informationen

Ihre Kommentare Küchendienst und Co.: Was verbinden Sie mit hessischen Jugendherbergen?

11 Kommentare

  • Jugendherberge Burg Hessenstein das waren noch Zeiten die erste Klassenfahrt viel Blödsinn gemacht wie zum Beispiel die Mädels durch die Flure gejagt oder versucht in den Mädelszimmer über Nacht zu bleiben was leider nicht gelang einfach nur Kind sein.Bin echt froh das es Jugendherbergen gibt.Der einzige Nachteil dort zu übernachten ist ohne Mitgliedsausweis leider nicht möglich.Also ich spreche da aus Erfahrung,aber für Schulklassen usw finde ich sowas super.

  • Das Wort Herberge sagt alles. Ein Ort zur Übernachtung und kein Hotel. Damit ist doch alles geklärt, den Bedarf werden sie gerecht. Ideal für Schulklassen, die sowieso jeden Tag Ausflüge machen.

  • Leider werden viele Herbergen ihrer angesprochenen sozialen Funktion nicht gerecht. In Städten wie Nürnberg oder in Kassel zu Documenta-Zeiten nicht günstiger als ein Hotel - dafür dann aber weniger Komfort. Was die akustische Innenarchitektur angeht, sind viele Häuser überholungsbedürftig. Auch nehmen viele Herbergen aus der Not jegliche Gruppen auf, so kann es einem passieren, dass man abends von der Altherrenmannschaft mit fortgeschrittenem Pegel belästigt wird. Von gegenseitiger Rücksichtnahme keine Spur und leider keine Intervention der Hausleitung. Auch die bereits erwähnte überteuerte und nicht immer funktionierende Tagungstechnik kann ich bestätigen. Gänzlich überkommen und gastunfreundlich ist das Verbot, als zahlender Gast selbst mitgebrachte Speisen und Getränke zu verzehren (das ist nur in Bezug auf Alkohol ok). Hier sollten sich die Jugendherbergen dringend mal Häuser im europäischen Ausland ansehen und von ihnen lernen. Die Erziehung der Gäste hat einfach Grenzen.

Alle Kommentare laden