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Ausstellung in Wetzlar zeigt Karikaturen aus dem Flüchtlingscamp

hs

Der syrische Grafikdesigner Salam lebt seit Monaten in hessischen Massenunterkünften, derzeit in einem Oktoberfestzelt in Wetzlar. Seinen Alltag verarbeitet er mit Karikaturen. Sie werden jetzt ausgestellt.

Es kann sehr abgedroschen klingen, wenn Künstler von sich sagen: Bilder sind meine Sprache. Im Fall von Abdusalam Alhasme könnte es wohl kaum treffender sein.

Dem syrischen Flüchtling fehlen tatsächlich die Worte, um sich in Deutschland auszudrücken - also zeichnet er als Mittel der Kommunikation. Und zu sagen hat er viel.

Der 50 Jahre alte Grafikdesigner und Künstler nennt sich selbst nur Salam. Seit vier Monaten lebt er gemeinsam mit rund 300 anderen Männern in einem Oktoberfestzelt in Wetzlar (Lahn-Dill).

Seinen Alltag im Flüchtlingscamp begleitet und kommentiert er künstlerisch - mit Karikaturen. Nun stellt er seine Werke aus: Bis zum 23. März sind sie in der Wetzlarer Stadtbibliothek zu sehen.

Eine Nummer von vielen

Salams Bilder zeigen das Leben unter dem Zeltdach, das Warten auf Post vom Amt, den täglichen Gang durch die Kälte zum Toiletten-Container – und immer wieder das Gefühl, in einem System aus Warteschlangen, Stockbetten und Identifikationsarmbändern nur eine Nummer von vielen zu sein.

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Salam: Satirischer Blick auf den Alltag in der Flüchtlingsunterkunft

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"Ich möchte...", sagt ein schmächtiger Mann auf einem Bild. "Warten", fällt ihm ein übellauniger Anzugträger ins Wort. "Deutsch lernen" heißt eine andere Zeichnung: "Ich bin D5-1 - Wer bist du?" Es ist die grüne Nummer, die Salam selbst jeden Tag auf einem Armband trägt, um in der Essensschlange bedient zu werden.

Seine Zeichnungen in einfachen Filzstiftstrichen sind durchaus humorvoll und um die Ecke gedacht. Bei den meisten bleibt allerdings das Lachen im Halse stecken. Andere werfen Fragen auf - so weit weg ist das, was da zu sehen ist, von dem, was wohl die meisten Menschen in Deutschland als Alltag beschreiben würden.

Nicht alles ist Satire, manches drückt Schmerz oder Hoffnung aus. Stellenweise krisiert Salam auch das Verhalten von Mitbewohnern in der Unterkunft.

Vom Verpackungsdesign zu satirischen Bildern

Bis zu seiner Flucht im Jahr 2020 arbeitete Salam als selbstständiger Grafikdesigner in Damaskus. Als Autodidakt spezialisierte er sich auf 3D-Design und gestaltete in erster Linie Produktverpackungen für die Pharmabranche.

Sein Leben lang habe er aber auch das gemalt und gezeichnet, was ihn beschäftigte und was um ihn herum passierte, erzählt er in gebrochenem Englisch. Ein Automatismus sei das – schon seit Kindheitstagen.

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Digitaler Künstler: Grafikdesigner Salam vor der Flucht aus Syrien

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Auch in Syrien erstellte er künstlerische und zum Teil satirische Bilder, zuletzt arbeitete er hauptsächlich digital. Vor dem Krieg konnte er seine Bilder einige Male ausstellen.

"Ich hatte Angst, dass man mich rausschmeißt"

"Karikatur hat mich in Syrien schon interessiert", sagt Salam. "Aber dort konnte ich politische Dinge nie direkt kritisieren, sonst wäre ich ins Gefängnis gekommen."

Auch in Deutschland habe er einige Monate lang gezögert, seine Erfahrungen aus der Flüchtlingsunterkunft auf Papier zu bringen. "Ich dachte, dass man mich vielleicht wieder aus Deutschland rausschmeißt, wenn ich etwas Kritisches über das Camp zeichne."

Die Reaktionen auf die Karikaturen seien aber durchweg positiv gewesen, auch vom Personal in der Unterkunft.

Von einem Zelt ins nächste

Salams Frau und Kinder leben noch in Syrien, er selbst kam vor sechs Monaten nach Deutschland. Vom Ruhrgebiet sei er zunächst in die hessische Erstaufnahmeeinrichtung nach Gießen gebracht worden.

Von dort sei es weiter gegangen, von einer Massenunterkunft in die nächste: erst Kassel, dann Herborn (Lahn-Dill), schließlich Wetzlar.

Nur eine einzige seiner Unterkünfte in Deutschland habe bisher massive Wände gehabt, sonst habe es sich immer um Zelte gehandelt.

"Einfach eine Katastrophe, wie wir hier leben"

Im Zelt in Wetzlar sind Kabinen mit jeweils vier Hochbetten abgetrennt. Es gibt keine Tische und Schränke, nur Betten und einen Spiegel an der Wand. "Für ein paar Wochen ist das ja in Ordnung", sagt Salam. "Aber so viele Monate – das ist einfach eine Katastrophe, wie wir hier leben."

Festzelt in Wetzlar, wo in diesem Winter Geflüchtete eine Unterkunft finden sollen

Die meisten Bewohner stammten aus Syrien und Afghanistan. Vielen Männern gehe es schlecht im Zelt, es sei laut und eng, die Langeweile groß, berichtet Salam. "Wie soll man in Deutschland ankommen oder die Sprache lernen, wenn man so lebt?"

Auch das Zeichnen sei unter diesen Bedingungen schwierig. Lange Zeit arbeitete Salam auf dem Boden. Erst vor Kurzen bekam er einen Tisch – ausnahmsweise, sagt er.

Mann zeichnet auf Boden neben Hochbett

Ehrenamtlicher Flüchtlingshelfer organisiert Ausstellung

Dass Salams Bilder jetzt in der Stadtbibliothek hängen, liegt vor allem daran, dass er vor einigen Wochen "George" kennenlernte. So nennt der Syrer Jörg Rautenburg, einen Wetzlarer Rentner, der sich ehrenamtlich als Flüchtlingshelfer in einem Begegnungstreff für die Zeltbewohner engagiert.

Als er Salam kennengelernt und seine Zeichnungen gesehen habe, habe er nicht lange gezögert und einen Ort gesucht, um sie publik machen zu können, sagt Rautenburg.

Der Wetzlarer Kunstverein habe schließlich Kontakt zum Kulturamt hergestellt. So sei innerhalb kürzester Zeit die kleine Ausstellung im Obergeschoss der Stadtbibliothek entstanden.

Salam will weiter als Künstler und Grafiker arbeiten

Zu Salam habe sich eine echte Freundschaft entwickelt, erzählt Rautenburg. Er ist sogar auf zwei Bildern in der Ausstellung zu sehen. Eins zeigt ihn als Retter. Das andere zeigt die beiden Männer nebeneinander, sie mauern eine Wand. "Ich will hier etwas aufbauen und George hilft mir", kommentiert Salam.

zwei Männer, die sich im Arm halten

Noch drehen sich seine Zeichnungen hauptsächlich um den Alltag in der Massenunterkunft. Wie lang er noch im Oktoberfestzelt wohnen wird, weiß Salam nicht.

Wenn er irgendwann mehr davon verstehe, wie das Leben in Deutschland außerhalb der Zelte sei, dann wolle er gerne auch andere Themen in seinen Karikaturen aufgreifen – am liebsten allerdings digital und in 3D.

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