Ein gehäkeltes, orangfarbenes Band spiralförmig auf einem hellgrauen Hintergrund

Ein Blick durch die Kunst ins Universum: Das Fridericianum in Kassel zeigt Arbeiten der New Yorker Künstlerin Tauba Auerbach. Sie erforscht Mathematik und Physik, lässt Tropfen tanzen und Seifenblasen schillern. Die Ausstellung führt auch zur Frage: Wie kann man nur so produktiv sein?

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"Tide" - Tauba Auerbach im Fridericianum

Ausstellungsraum mit einem Glasobjekt und zwei Bildern, die an der Wand dahinter hängen
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Albert Einstein soll gesagt haben, wenn wir das, was wir sehen und erleben in der Sprache der Logik nachbilden, machen wir Wissenschaft. Vermitteln wir es durch Formen, treiben wir Kunst.

Die New Yorker Künstlerin Tauba Auerbach ist beides, Forscherin und Künstlerin: Sie beschäftigt sich obsessiv mit Fragen der Mathematik und Physik, mit geometrischen Körpern - und findet dann neue Formen mit Webereien aus Glasperlen, einer Seifenblasenmaschine, Kalligraphien, Malerei oder Nylonobjekten aus dem 3D-Drucker.

Das Kasseler Fridericianum zeigt bis Januar 2024 mehr als 100 ihrer Arbeiten in der umfangreichen - deutschlandweit ersten - Einzelausstellung "Tide" (dt. Gezeiten).

Tropfen hüpfen zur Musik

Vieles ist wie ein künstlerischer Versuchsaufbau, inspiriert von der Physik: Für die Videoinstallation "Pilot Wave Induction" hat Auerbach millimetergroße Silikontropfen in einem Lautsprecher gefilmt. Sie hüpfen auf Wellen, die durch Töne erzeugt werden.

Zwei Videoleinwände, die Tropfen zeigen

Auerbach wollte beobachten, in welchen Winkeln und in welche Richtung sich die Tropfen nach dem Aufprall bewegen - eine Frage, die auch die Quantenphysik beschäftigt. In einem Erklärtext schreibt die Künstlerin, es gebe mit ihren makroskopischen Aufnahmen "die seltene Gelegenheit, einige der rätselhaften Verhaltensweisen" der Tropfen zu erkunden, die sonst nur in einer Welt von Teilchen zu sehen ist, die kleiner sind als Atome.

Besessen von der Helix

Tauba Auerbach: Foam, 2023

Die Bilder der Serie "Foam" wirken, als habe die Künstlerin Blutbahnen des menschlichen Körpers nachempfunden. Tatsächlich hat Auerbach für die Serie Nahaufnahmen von Schaum gemacht und sie in Bildern, die aus winzigen Farbpunkten bestehen, vergrößert. Von Weitem lassen sich die Strukturen der Blasen erkennen, von Nahem flirrt ein Chaos aus Farbpunkten.

Kunstwerk, unter anderem aus Seife

Bei "7S, 7Z, 1S, 2Z" wurde aus einer Kindheitsfaszination und physikalischen Gesetzen zur Oberflächenspannung eine Maschine: Seifenwasser läuft über zwei Stahlseile, angetrieben von einer Pumpe. Zwischen den Seilen entsteht wie bei einer Seifenblase eine schillernde Fläche, in der sich die Fenster des Raumes in Regenbogenfarben spiegeln. Bevor die Fläche zerplatzt, ziehen sich die Stahlseile wieder zusammen.

Sie wolle immer das Muster hinter Dingen finden, sagt Auerbach, zum Beispiel von der Struktur, die wir in jeder Zelle unseres Körpers als DNA mit uns herumtragen: "Ich bin positiv besessen von der Helix", wird Auerbach im Katalog zitiert. Die Leiterform, die in sich gedreht ist, solche Dinge lassen Auerbach nicht los - genauso wie der Gedanke, dass die Welt nicht drei, sondern vier Dimensionen hat.

"Ich habe mich in diese Form verliebt"

Auerbach wurde 1981 geboren, die Fülle der in der Ausstellung ausgestellten Arbeiten wirkt allerdings, als stünde sie schon seit 50 Jahren jeden Tag im Atelier. Das Wort unerschöpflich passt zur Vielzahl ihrer Techniken und Herangehensweisen als auch zu ihrer Person. In einem Gespräch mit der New York Times erklärte sie zur Frage, wie und wie viel sie arbeitet, "ich arbeite sechs Tage in der Woche". Sie stehe früh auf und arbeite auch oft bis spät, "und ich nehme mir keine freien Tage".

Das könnte schon die erste Lösung für das Rätsel ihrer Produktivität sein. Die zweite ist wohl das Getriebensein durch Neugier, die Entdeckung der Formen der Welt.

Eines der vielen mathematisches Gebilde, das Auerbach besonders interessiert, ist das Oloid: "Ich habe mich in diese Form verliebt", wird Auerbach im Katalog zitiert.

Taumelnder 3D-Druck

Wer in der Schule schon nach der Berechnung der Fläche eines Kreises gedanklich ausgestiegen ist, bekommt in der Ausstellung eine Erklärung, was ein Oloid ist: Ein von Paul Schatz in den 1920er Jahren entdeckter Körper, "eine konvexe Hülle zweier identischer, sich senkrecht schneidender Kreise, die so angeordnet sind, dass der Rand jedes Kreises durch den Mittelpunkt des anderen Kreises verläuft".

Ein Objekt, das aus mehreren schwarzen Ringen besteht

Ausstellungsbesuchende müssen nicht mit Fragezeichen im Kopf zurück bleiben. Auerbach hat ihr "Noloid" im 3D-Drucker gebaut, es zeigt, was sie an der Form interessiert - die Bewegung. Das handliche schwarze Objekt aus mehreren Ringen können Besucherinnen und Besucher anfassen und zum Rollen bringen. Der "Noloid" bleibt dabei auf einer geraden Linie, bewegt sich aber taumelnd - wie ein schwankender Betrunkener, der zwar umständlich, aber doch zielsicher nach Hause wankt.

Das "Noloid" ist Teil einer extra Ausstellung im Erdgeschoss des Museums, das Arbeiten aus Auerbachs "Diagonal Press" zeigt: ein Verlag, den die Künstlerin gründete, weil sie neben all den anderen Dingen auch Bücher, Schmuck, Plakate und Spielzeuge in unlimitierter Auflage herstellen wollte. Für alle, die am Ende der Ausstellung der Schönheit einer Helix erlegen sind: Hier gibt es Auerbachs Interpretation als Anstecker oder gebannt zwischen Buchseiten.

Weitere Informationen

Tide - Ausstellung im Fridericianum

Die Ausstellung "Tide" von Tauba Auerbach ist noch bis zum 14. Januar 2024 im Kasseler Fridericianum zu sehen. Das Museum ist von Dienstag bis Sonntag zwischen 11 und 18 Uhr geöffnet, donnerstags bis 20 Uhr. Mittwochs ist der Eintritt frei.

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