Schöner Streiten Worum es bei einer Debattiermeisterschaft wirklich geht
Sie tauschen Argumente zu Themen aus, die sie erst kurz vorher erfahren und vertreten Positionen, die sie persönlich nie vertreten würden: Über 200 Studierende messen sich am Wochenende in Berlin bei der Deutschsprachigen Debattiermeisterschaft, darunter auch zwei Teams aus Hessen.
Was treibt Menschen dazu, rein rhetorisch in den Ring zu steigen? Streitlust ist es nicht, sagt Philosophie-Student Simon Lucas, der bei der Deutschsprachigen Debattiermeisterschaft in einem von zwei dreiköpfigen Teams den Marburger Hannah-Arendt-Debattierclub vertreten wird: "Wenn wir im Debattieren aufeinandertreffen, dann wissen wir, wir vertreten gerade zugewiesene Positionen."
Das entspreche nicht unbedingt der eigenen Meinung. Es würden immer nur Argumente angegriffen, niemals die Person – und hinterher schüttele man sich die Hände, wie in jedem Sport. Besonders streitbare Menschen sind aus seiner Sicht eher weniger erfolgreich, weil sie weniger von Anderen lernen und sich verbessern können.
Spontan und schlagfertig
Der Zeitrahmen ist knapp, Spontaneität und Schlagfertigkeit stehen bei den Kontrahenten hoch im Kurs. Würde eine solche Debatte auch einem Faktencheck standhalten?
Die Österreicherin Barbara Neuwirth ist Vizepräsidentin des Deutschsprachigen Dachverbandes und war im vergangenen Jahr selbst Finalistin bei den Meisterschaften. Sie hält die Frage nach Faktenchecks für zweitrangig: "Jeder ist sich dessen bewusst, dass das gar nicht in der Schnelligkeit der Debatte bewertet werden kann."
Es gehe immer darum, was mit einem Fakt vermittelt werden solle, welche Begründung dahinterliege. Und diese müsse auch den Argumenten standhalten, die von der Gegenseite eingebracht würden.
Inhalt und Rhetorik sind gleichwertig
In den Meisterschaften werden abwechselnd unterschiedliche Formate angewandt, in diesem Jahr wird nach den Kriterien der Offenen Parlamentarischen Debatte diskutiert. Dabei werden jeweils zur Hälfte Inhalt und Rhetorik bewertet.
Das Thema der Diskussion erfahren Teilnehmende und Publikum erst 15 Minuten vor Beginn. Die Teilnehmenden haben dann jeweils 7 Minuten Redezeit und treten abwechselnd aus den beiden gegnerischen Teams gegeneinander an.
Kriterien sind Auftreten, Sachverstand und Urteilskraft
Ein Kriterium ist das Auftreten. Barbara Neuwirth erklärt, wie es idealerweise läuft: "Man geht nicht nach vorne mit einem Papier in der Hand oder mit einem Stift, sondern man hält sich die Hände frei, um gestikulieren und das Gesagte gut unterstreichen zu können."
Dann gebe es noch inhaltliche Kategorien wie Sachverstand und Urteilskraft. Beim Sachverstand gehe es beispielsweise darum, wie gut jemand einen Punkt durchanalysieren könne, wie viele Belege er für seine Argumente habe.
Lange Tradition, aber nicht in Deutschland
In Deutschland wurde der erste Debattierclub 1991 in Tübingen gegründet. Eine wesentlich längere Tradition gibt es in England. Die 1755 gegründete Coogers Society gilt als ältester Debattierclub der Welt, bekannt sind natürlich auch die Cambridge Union Society oder die Oxford Union, beides studentische Debattierclubs, die seit Beginn des 19. Jahrhunderts aktiv sind.
Der Debattierszene haftet noch immer etwas Elitäres an, dessen ist sich Barbara Neuwirth bewusst: "Da wir Hochschuldebattierclubs sind, zieht das natürlich eine besser situierte Klientel an, beziehungsweise Leute, die eh schon aus einem Bildungshaushalt kommen."
Wenig Diversität
Wie könnte man dem entgegensteuern? In ihrem Heimatort Wien habe der Verband inzwischen begonnen, an die Schulen zu gehen und dort das Debattieren zu fördern, so Neuwirth. Wenn man schon an den Schulen beginne und nicht erst an den Hochschulen, erreiche man ganz selbstverständlich eine diversere Struktur.
In puncto Geschlechtergleichheit liege dem Verband leider bisher keine statistische Auswertung vor, bedauert Neuwirth. Doch auffallend sei ein starker Vorbild-Effekt: Je mehr Trainerinnen und Frauen in den Vorstandspositionen seien, desto mehr weibliche Mitglieder kämen in die Teams und blieben auch über Jahre dabei.
Smalltalk ist erst wieder nach dem Wettbewerb gefragt
Simon Lucas sagt, es falle ihm nach einigen Jahren Debattier-Erfahrung auch in privaten Diskussionen leichter mit Menschen zu sprechen, die eine andere Meinung hätten.
Denn er könne sich inzwischen besser einfühlen, woher eine Person gedanklich komme und warum ihr etwas wichtig sei. Das helfe, um Sachverhalte aufzudröseln und in ein lockeres Gespräch zu verwandeln. Doch diese Fähigkeit ist wohl erst nach den Meisterschaften wieder gefragt.