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Das "Fliegende Künstlerzimmer" macht Halt in Preungesheim

Das Fliegende Künstlerzimmer

In einem Holzhaus im Frankfurter Stadtteil Preungesheim wohnen zwei Künstler. Die Menschen im Viertel dürfen ihnen bei der Arbeit über die Schulter schauen. Alle gemeinsam sollen Ideen für ein besseres Zusammenleben entwickeln. Ist das Kunst, Aktivismus oder Sozialarbeit? 

Die Jungs haben Toastbrot gestohlen. Rosi Grillmair schüttelt fassungslos den Kopf, als sie davon erzählt. Nicht ob der pubertären Dreistigkeit, sondern weil die Verpflegung ohnehin für sie gedacht war - für die Jungs und für die anderen Menschen im Frankfurter Stadtteil Preungesheim. 

Umsonst und für alle, das Konzept muss man offenbar erklären. Grillmair tut es gern. Gemeinsam mit Florian Mayr ist sie die erste Bewohnerin des "Fliegenden Künstlerzimmers im Quartier". Seit Kurzem steht das Schindel-verkleidete Holzhaus voll funktionstüchtig mitten auf dem Gravensteiner-Platz. 

Ein Haus wie ein Kunstwerk

"Das Haus ist wie ein Kunstwerk. Es macht einfach auch Laune, hier hereinzukommen und kreativ zu sein", sagt Angela Freiberg, die Quartiersmanagerin. Sie verspricht nicht zu viel. Es riecht nach frischem Holz im sogenannten FlieKü-Q - eben kurz für "Fliegendes Künstlerzimmer im Quartier". Den Atelierraum erhellen große Deckenfenster, eine Infrarotheizung sorgt für wohlige Wärme.  

Zwei Jahre lang sollen hier verschiedene Künstlerinnen und Künstler leben und arbeiten und dabei mit den Menschen im Viertel ins Gespräch, vor allem aber auf Ideen kommen. Das Projekt ist eine Weiterentwicklung des "Fliegenden Künstlerzimmers", das auf Initiative der Crespo Foundation seit 2018 an Schulen auf dem Land gastiert. Unterstützung kommt von der Stadt und von gemeinnützigen Organisationen. 

Den alten Menschen fehlt Grün 

"Was wollt ihr hier drinnen machen?" steht auf einem Plakat an der Wand. Darunter: "Malen und basteln", "Lern-Café" oder "Kino für Kinder." Die Vorschläge haben Menschen aus dem Viertel gemacht. Sie dürfen mitentscheiden, was aus dem Raum im öffentlichen Raum wird. Laura Kurtz, Projektreferentin der Crespo Foundation, erklärt: "Für uns gilt es, herauszufinden, wie wir die verschiedenen Parteien zusammenbringen können." 

Innenraum von "Das Fliegende Künstlerzimmer"

Deswegen haben sich die aktuellen Bewohnenden Grillmair und Mayr rund um den asphaltierten Platz umgehört. "Gerade die Leute, die nebenan im Altersheim wohnen, haben mitbekommen, wie hier der Reihe nach alles zugebaut wurde", erzählt Grillmair. Hier sei ein neuer Ort für neue Menschen geschaffen worden - mehr Wohnraum. Doch das Fehlen von Grün sei ein Schmerzpunkt.

In einem Protestcamp kennengelernt

Vielleicht ist es ein willkommener Zufall, dass die Menschen in Preungesheim im Kleinen umtreibt, was Grillmair und Mayr im Großen beschäftigt. Beide sind in der Klimabewegung. Sie haben sich in einem Protestcamp kennengelernt und dort gemeinsam gegen den Bau einer Autobahn demonstriert. 

"Der Punkt, der mich in Bezug auf dieses große, schwere Thema Klimakrise emotional macht, ist, dass manche Leute sagen: 'Ist doch gut, wenn es die Menschen irgendwann nicht mehr gibt.'" Grillmair kann sich kein schlimmeres Szenario vorstellen. Deswegen brauche es Geschichten, in denen Menschen eine positive Rolle einnehmen. Als Künstlerin möchte sie diese Geschichten sammeln und Räume des Erzählens öffnen. 

Kunst oder Aktivismus?

Neben anderen Aktionen hatten die beiden einen Tag vor dem Klima-Streik zu einer Plakat-Mal-Aktion eingeladen. Die kam allerdings nicht überall gut an. 

Ist Schilder-Malen noch Kunst oder schon Aktivismus? Grillmair betont, Ziel sei nicht gewesen, die Menschen im Viertel für die Demonstration anzuwerben. Sie habe einen Raum schaffen wollen, um über die Klimakrise und auch um die damit verbundenen Ängste zu sprechen. "Ich möchte gerne wieder Schneemänner bauen", habe jemand im Workshop auf einen Cartoon geschrieben. Oder: "Ich möchte noch lange draußen spielen können." 

"Kunst hat therapeutischen Ansatz"

Quartiersmanagerin Freiberg sieht die Sache pragmatisch. "Hier soll gemeinsam ausprobiert werden", sagt sie. "Dass alle Menschen einer Meinung sind, gibt es einfach nicht. Und das ist es ja, was Freude macht: zu diskutieren, Positionen auszuloten, Perspektiven auszutauschen." 

"Kunst hat einen therapeutischen Ansatz", davon ist Grillmair überzeugt. "Es hat etwas mit Selbstermächtigung zu tun", stimmt Referentin Kurtz zu. "Man weiß ungefähr, welche Möglichkeiten zum Beispiel digitale Technologien mit sich bringen. Aber viele wissen nicht, wie sie die Potenziale selbst nutzen können."  

Programmierworkshop geplant

Grillmair ist Medienkünstlerin. Interessierten hat sie erklärt, wie ein 3D-Drucker funktioniert. Die Nähgruppe aus dem Viertel möchte nun mit den geometrischen Mustern arbeiten, die Grillmaier auf Stoff gedruckt hat. Kommende Woche wird es einen Programmierworkshop geben. 

Gemeinsam mit den Projektverantwortlichen des FlieKü-Q haben sie und Mayr die Stadt Frankfurt außerdem kontaktiert, um auszuloten, wie Urban Gardening auf dem Gravensteiner-Platz funktionieren kann. Sie haben "Blumen-Konfetti" für die Anwohnerinnen und Anwohner gemischt - die Samen können sie auf Grünflächen ausstreuen und so ganz simpel ihre Umgebung aufhübschen.

Kurioser Ort, der auf Nutzung wartet 

Rund um die Holzhütte auf dem Gravensteiner-Platz soll es also bald grüner, drinnen digitaler werden. Noch tasten sich die Anwohnenden vorsichtig heran an den kuriosen Ort, der darauf wartet, von ihnen genutzt zu werden.  

Einmal habe sie die Hände im Spülbecken gehabt, als ein neugieriger Kopf hinter der Fensterscheibe aufgetaucht sei, erzählt Grillmair. So etwas könne schon mal vorkommen. Oft klopfe es unvermittelt an der Tür. Sie stört sich nicht daran. "Ich fühle mich wie eine Art künstlerische Angestellte des Hauses - ich bin der Idee verpflichtet", sagt sie. "Irgendwas will hier entstehen."

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