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Wissenschaftler gegen Gender-Verbot

Gendern: Eintrag im Duden

Sprachwissenschaftler mehrerer Universitäten haben in einer Stellungnahme die CDU scharf kritisiert. Diese übernehme beim Thema Gendern Strategien von Rechtspopulisten. Im Interview plädiert der Kasseler Linguist David Römer für einen entspannten Umgang mit Sprache.

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Nach dem sogenannten "Gender-Verbot" in Sachsen haben zahlreiche Linguisten, wie die Sprecherin der "Unwort des Jahres"-Jury aus Marburg, Constanze Spieß, oder ihr Kasseler Kollege David Römer in einer Stellungnahme vor "der Aushöhlung der Demokratie durch die Verstärkung rechter Diskursstrategien" gewarnt. Der Streit um Wörter und um Sprachkonventionen sei ein wichtiges Kennzeichen funktionierender Demokratien.

Im "Gender-Verbot" erkennen die Sprachwissenschaftler demnach den "überaus gefährlichen Sieg einer im Kern rechtspopulistischen Strategie, der sich nicht wiederholen und an den sich die demokratische Mehrheitsgesellschaft nicht gewöhnen darf." Die Stellungnahme sei aber keineswegs ein Plädoyer für das Gendern, sagt David Römer, Professor für Germanistische Sprachwissenschaft an der Uni Kassel, im Interview.

hessenschau.de: Unter anderem als Mitglied der "Unwort"-Jury beobachten Sie politische Debatten aufmerksam. Wie stellen die sich derzeit für Sie dar?

David Römer: Ja, das tue ich. Was mir Sorge macht, ist die - allgemein gesagt - politische Instrumentalisierung des Themas Sprache, mit der Tendenz zu antidemokratischen, inhumanen Sprechweisen im öffentlichen Diskurs. Deshalb braucht es Aktionen wie das "Unwort des Jahres".

hessenschau.de: Deswegen haben Sie sich mit der Stellungnahme "Diskursbrandmauern verteidigen!" nun aktiv eingeschaltet?

Römer: Das Bröckeln von "Diskursbrandmauern" zwischen Parteien der Mitte und der AfD und die damit verbundene Übernahme sprachlicher Strategien des Rechtspopulismus machen mir Sorge. Insbesondere dann, wenn dies in ein Sprachverbot mündet.

Das ist jetzt am Beispiel des Genderns in Sachsen geschehen. Hier wird ein sprachliches Thema von großer gesellschaftlicher Bedeutung - die Frage nach Geschlechtergerechtigkeit in der Sprache - für identitätspolitische Zwecke von rechts instrumentalisiert. Die CDU springt offenbar auf diesen sprachpolitischen Zug auf.

Das Benutzen sprachlicher Fragen für die politische und ideologische Agenda bestimmter Gruppen finden wir auf allen Seiten des politischen Spektrums.

hessenschau.de: Warum ist dann das Verbot bestimmter Gender-Schreibweisen in Sachsen aus Ihrer Sicht fatal?

Römer: Rechte Sprachpolitik zielt nicht auf Gleichberechtigung, sondern verfolgt ein ausschließendes Programm. Das Verbot bestimmter Gender-Schreibweisen in Sachsen ist aus meiner Sicht fatal, weil sich auf dem Rücken eines sprachlichen Themas eine rechte Diskursstrategie durchgesetzt hat, die antipluralistisch ist und mit demokratischen Prinzipien nicht vereinbar. Der Streit um Sprache und Sprachverwendung ist wichtig für die gesellschaftliche Selbstverständigung und ein Kennzeichen funktionierender Demokratien.

Politisch durchgesetzte Sprachgebrauchsverbote unterdrücken den gesellschaftlichen und demokratischen Aushandlungsprozess von Meinungen. Genauso wenig wie es einen Zwang zum Gendern durch linke Kräfte gibt, sollte vorgeschrieben werden, die Verwendung geschlechtergerechter Sprache zu unterlassen - egal in welcher Form.

hessenschau.de Wie sehen Sie das Gendern als Linguist?

Römer: Bei unserer Stellungnahme geht es uns nicht um das Gender-Thema. Auch plädieren wir nicht für das Gendern, weder für das schriftsprachliche mit Hilfe von Sternchen- oder Doppelpunktschreibung noch für den sogenannten "Gendergap" durch den Glottisschlag in der gesprochenen Sprache. Uns geht es um Sprachpolitik und Diskursstrategien, die den Boden der Demokratie verlassen.

Wir plädieren dafür, die Diskursbrandmauer zu antidemokratischen Kräften nicht durch die Kopie solcher Diskursstrategien brüchig werden zu lassen. Sprachverbote darf es nicht geben. Das Gender-Thema ist Vehikel, um ein solches durchzusetzen. 

Jetzt kann man mir mangelnden Sachverstand vorwerfen, aber ich persönlich verstehe nicht, was an geschlechtergerechter Sprache falsch sein soll.

hessenschau.de: Kritikern geht es neben Bevormundung unter anderem auch um Leseverständlichkeit oder Barrierefreiheit.

Römer: Es gibt ja keinen Zwang, geschlechtergerechte Sprache zu verwenden. Insofern kann von einer Bevormundung nicht die Rede sein. Auf der Ebene der Rechtschreibung beispielsweise wird natürlich diskutiert, welche Formen des Genderns noch als orthografisch korrekt gelten können und welche nicht. Den Kritikerinnen und Kritikern geht es aber oft gar nicht um Rechtschreibung, sondern um ein generelles Unbehagen am Gendern.

Übrigens empfiehlt der Rechtschreibrat die Verwendung geschlechtergerechter Sprache. Nur mit den Sonderzeichen tut er sich etwas schwer. Ich verstehe nicht, warum Mitarbeiter/-in - als die orthografisch korrekte Variante - besser lesbar sein soll als Mitarbeiter*in.  

hessenschau.de: Wie relevant ist das Thema überhaupt für Sprachwissenschaftler?

Römer: Auch in der Sprachwissenschaft wird das Gender-Thema kontrovers diskutiert. Insofern ist das schon ein relevantes Thema. Im Vergleich zur Bedeutung, die es im medialen und politischen Diskurs hat, erscheint es allerdings eher marginal. Das Gender-Thema ist eine Arena, in der ein Sprachkampf ausgetragen wird.

Diesen Kampf zu beschreiben, mit welchen sprachlichen Mitteln er geführt wird, welche Positionen dabei zum Ausdruck kommen, auf welche Weise er instrumentalisiert wird, ist wiederum Aufgabe der Sprachwissenschaft - ebenso wie die öffentliche Aufklärung darüber. Deswegen auch unsere Stellungnahme.

hessenschau.de: Sie kritisieren in der Stellungnahme vor allem die CDU. Was würden Sie der Partei bei dem Thema raten?

Römer: Sicher gibt es innerhalb der CDU unterschiedliche Meinungen in Bezug auf das Thema geschlechtergerechte Sprache. Pauschal gesagt, würde ich der CDU raten, sich zu entspannen. Ebenso wenig wie sprachlicher Antirassismus ist Geschlechtergerechtigkeit in der Sprache eine Bedrohung - weder für die Sprache selbst noch für "die Identität".

Vielleicht einfach mal ausprobieren, wie es sich anfühlt, andere Menschen sprachlich einzubeziehen, in den verschiedenen Formen Geschlechtergerechtigkeit auszudrücken. Wie es sich anfühlt, diskriminierenden Sprachgebrauch und rassistische Stereotype zu vermeiden. Damit gelingt dann auch die Abgrenzung von der AfD.

hessenschau.de: Boris Rhein hat in Interviews schon gesagt, er lehnt das Gendern ab, würde deswegen aber keinen Kulturkampf beginnen. Das ist also der entspanntere Weg?

Römer: Na ja, ihm dürfte bewusst sein, dass er sich damit in den "Kulturkampf" begibt und darüber hinaus natürlich auch in der Arena des Gender-Themas positioniert. Boris Rhein hat in Interviews auch gesagt, dass er gegen das Gendern in Schulen, Hochschulen und Behörden ist, aber akzeptieren würde, wenn jemand privat gendern will. Dies ist seine Meinung.

Ein Sprachgebrauchsverbot darf aus den genannten Gründen, die wir in unserer Stellungnahme ausführlicher darlegen, nicht resultieren. Ich bin gespannt auf den kommenden Landtagswahlkampf in Hessen, den wir unter die linguistische Lupe nehmen werden.

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Das "Gender-Verbot"

Sachsens Kultusministerium hat schon 2021 für Schulen und Schulaufsichtsbehörden entschieden, dass es dort nicht verwendet wird. Im Juli hat das Ministerium mit einem Erlass verfügt, dass das Verbot auch für Vereine, Stiftungen und Verbände gilt, die mit dem Kultusministerium zusammenarbeiten.

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Ihre Kommentare Warum polarisiert das Thema Gendern so stark?

46 Kommentare

  • Herr Chris Teuber (Kommentar) spricht mir voll aus dem Herzen!
    Lasst uns eine demokratische Entscheidungsfindung einleiten, und der Spuk ist in Kürze vorbei. Denn die angesprochenen Eliten haben nicht die Mehrheit, wie alle Umfragen zeigen.

    Mit freundlichen Grüßen
    Jürgen Mosler

  • Mit der Bitte um Weiterleitung an Herrn David Römer

    Weil das Thema nicht demokratisch diskutiert wird. Es ist sicherlich nicht diskursfördernd, wenn die FR z. B. Gegner des Genderns als laut und hässlich bezeichnet.

    Für mich ist ein Streit nicht zielführend, wenn man sich auf Seiten der Geschlechtergerechten noch nicht einmal auf eine (!) mehrheitliche Regelung einigt (BäckerIn / Bäcker:in / Bäcker*in / Bäcker/-in [korrekt!] ), obwohl doch Sprache auf Konvention beruht und nicht auf Willkür. Leider hat der Sprachwissenschaftler uns in dieser Frage keinen Schritt weiter gebracht, und dass er das generische Maskulin zu einer Frage der Demokratie erklärt, macht seine unlinguistische Expertise nicht schärfer.

    Selten so einen blabla-Beitrag gelesen.

    Wir brauchen endlich eine fundierte Expertenmeinung! Und eine echte Gleichbehandlung der Geschlechter (gleicher Lohn?) anstatt dieses uneffektiven Scharmützels auf einem Nebenschauplatz.

    Mit freundlichen Grüßen
    J. Mosler

  • Wer München in diesem Kontext sinnbildlich in Nordkorea verortet, sagt vieles. Zwar nicht zum Thema, aber darüber, wie Ernst er zu nehmen ist.

    Für zukünftige Lernprozesse: Glück auf!

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