LiveMusicNow bringt Konzerte in soziale Einrichtungen Hochkarätige Musik soll trübe Gedanken vertreiben
LiveMusicNow bringt seit fast 30 Jahren Musik zu benachteiligten Menschen. Wer dabei an flötende Kinder beim Nachmittagskaffee denkt, liegt daneben. Denn bei den Veranstaltungen in sozialen Einrichtungen dürfen nur die Besten der Besten auftreten.
Die Bewohnerinnen und Bewohner des Alten- und Pflegeheims Marthahaus in Frankfurt sitzen erwartungsvoll auf ihren Stühlen. Einige haben sich rausgeputzt für dieses besondere Event, tragen Ketten und hübsche Pullover.
Mezzosopranistin Johanna Reithmeier und Pianistin Minji Kim tauschen einen intensiven Blick, dann verwandelt sich der Speisesaal in eine Konzerthalle.
Seufzer-Musik von Mozart
Das Duo Foco Forte, wie sich die beiden Musikerinnen nennen, eröffnet mit einem Stück aus Cosí fan tutte von Wolfgang Amadeus Mozart.
Der kleine Engel Amor fliegt dabei durch die Lüfte und sorgt dafür, dass sich die Menschen verlieben. Eine Seufzer-Musik, die den Schmerz, das Verlangen und die unbändige Freude, die mit der Liebe kommen, perfekt einfängt.
Konzerte sollen den Schmerz lindern
Schon nach den ersten Tönen legt sich eine verzauberte Stimmung über das Publikum. Die Zuhörenden schließen die Augen, lächeln und wiegen sich zur Musik.
"Man lässt so viel zurück, wenn man in ein Heim geht. Der Blick zurück tut oft unendlich weh", sagt Gabriele Dettmer. Diesen Verlustschmerz könne gute Musik mindern, glaubt sie.
Mit dem Verein LiveMusicNow will Dettmer ermöglichen, dass alle Menschen Zugang zu hochkarätiger Kultur bekommen, auch im hohen Alter. Sie organisiert dafür regelmäßig Konzerte in sozialen Einrichtungen im Rhein-Main-Gebiet, unter anderem in Förderschulen, Gefängnissen, Frauenhäusern.
Konzerte fordern Publikum heraus
Den Menschen in den Einrichtungen solle etwas geboten werden, zu dem sie sonst keinen Zugang haben: hochkarätige Musik in einem echten Konzert-Setting. "Wir machen keine Konzerte beim Kaffeetrinken, wo hinten in der Ecke noch Skat gespielt wird", erklärt Dettmer.
"Das Publikum heute war in höchstem Maße diszipliniert", lobt sie. Das sei aber nicht immer so. "Wir haben eine Klientel, die eine kurze Aufmerksamkeitsspanne hat," deswegen seien die Konzerte auch für die Musikerinnen und Musiker eine außergewöhnliche Erfahrung: "Die sind nie so nah an ihrem Publikum wie bei uns."
Das erste Klassik-Konzert mit 99 Jahren
Auch an diesem Nachmittag stehen die beiden Musikerinnen nur etwa zwei Meter vom Publikum entfernt – ohne trennenden Bühnengraben. So ein intimes Konzert geboten zu bekommen, ist für viele hier eine überraschende Erfahrung.
Auf die Frage, ob sie in ihrem langen Leben viele Konzerte besucht habe, schüttelt die 99 Jahre alte Maria Übelacker den Kopf: "Wir sind wenig weggekommen, da waren wir nicht so."
Für die 80 Jahre alte Christa Zachau sind die Konzerte jedes Mal ein Highlight, das sie nicht versäumt: "Ich hatte immer ein Abonnement von der Alten Oper und ich finde es schön, dass das kulturelle Angebot, das viele Heime so vernachlässigen, hier geboten wird."
Strenge Auswahl der Ensembles
"Nicht jeder, der auf einem Kamm blasen kann, hat auch das Zeug dazu, diese besonderen Konzerte zu spielen", sagt Gabriele Dettmer. Um für den Verein LiveMusicNow auftreten zu dürfen, müssen sich die Ensembles bewerben und an einer Audition teilnehmen.
Eine Professorin oder ein Professor der Hochschule für Darstellende Kunst und Musik Frankfurt übernimmt die künstlerische Leitung und wählt gemeinsam mit einer Fach-Jury die Stipendiatinnen und Stipendiaten eines Jahrgangs aus.
Einige von ihnen treten nach der Teilnahme am Programm an internationalen Opernhäusern auf.
Für ihre Auftritte bekommen die Stipendiatinnen und Stipendiaten eine Vergütung zwischen 125 und 200 Euro. Geld, das sie gut brauchen können. Doch der karitative Gedanke des Projekts wiegt für Johanna Reithmeier und Minji Kim vom Ensemble Francoforte mindestens genauso schwer.
Eine Pille gegen die Einsamkeit
"Es macht mich unglaublich glücklich, dass ich zusammen mit Johanna dem Publikum innere Ruhe schenken kann. Ich hoffe, dass Musik wie eine Medizin die Wunden aller Menschen heilt und ihnen Frieden bringt", sagt Kim, die für ihr Studium extra aus Südkorea nach Deutschland gekommen ist.
Auch Reithmeier genießt es sehr, Musik an Orte zu bringen, wo die Menschen nicht mehr ins Konzert gehen. "Weil uns da eine ganz andere Dankbarkeit des Publikums entgegenkommt und ich spüren kann, was das für eine Anti-Einsamkeits-Pille sein kann."