Links sitzt eine Frau mit Geige, vor ihr ein Notenständer. Im Bildhintergrund unscharf Mitmusizierende.

Die öffentlichen Musikschulen in Hessen sehen sich mit dem Rücken an der Wand. Ihre finanzielle Lage sei prekär, immer mehr Lehrkräfte wanderten ab, warnt der Landesverband. Aber jetzt könnte sich etwas bewegen.

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Musikschulen in Hessen fordern mehr Geld

Foto: 15 junge Menschen singen zusammen. Alle tragen schwarze T-Shirts. Sie geben ein Konzert.
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Wenn es um ihre Angestellten geht, wird Andrea Heibel emotional. Dass die stellvertretende Leiterin der Kreismusikschule Limburg überhaupt von Angestellten sprechen kann, ist schon außergewöhnlich. Denn die meisten Musikschulen in Hessen arbeiten mit Honorarkräften. Und das ist ein Teil des Problems.  

In Limburg machen sie es anders, aus Prinzip. "Es gehört sich nicht, dass man die Leute anders beschäftigt", sagt Andrea Heibel resolut. "Jeder Mensch soll sich von seinem Beruf gut ernähren können und eine Perspektive haben."

Eltern müssen tief in die Tasche greifen   

Deshalb haben Andrea Heibel und ihr Mann Peter Schreiber ihre 45 Lehrkräfte festangestellt. Diesen Status haben gerade mal ein Drittel der Lehrkräfte an den öffentlichen Musikschulen in Hessen. Und selbst von denen wird gerade mal die Hälfte tarifmäßig bezahlt.  

Logo in Form einer Sprechblase. Oben steht weiß auf blau: "hr Thema". Unten in der Sprechblase blau auf weiß: "Erdbeben - Hessen helfen"
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hr-Thementag Musik

Rund eine Million Menschen in Hessen machen aktiv Musik. Das Zusammenspiel in Vereinen, Orchestern, Chören und Kapellen verbindet. Doch bekommen die Musikszene genug Unterstützung durch die Politik? Und welche Rolle spielt die Musik in Medizin und in Bildung? Solchen Fragen geht der hr an seinem Thementag "Ein Tag für die Musik" nach.

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Die Kreismusikschule Limburg finanziert die festen Verträge zum allergrößten Teil über die Unterrichtsgebühren. "Wir müssen enorm hohe Preise verlangen", räumt Andrea Heibel ein. Wenn ein Kind in der Woche 30 Minuten Einzelunterricht an Gitarre, Flöte oder Klavier bekommt, müssen die Eltern in Limburg monatlich 92 Euro bezahlen, deutlich mehr als bei anderen Musikschulen.  

Für viele ist das eine Menge Geld. Aber es geht nicht anders, wenn die Lehrkräfte ein festes Einkommen und soziale Absicherung haben sollen. Denn die Kreismusikschule Limburg bekommt nur 18 Prozent ihrer Kosten vom Land und der Kommune, der Löwenanteil muss durch die Unterrichtsgebühren abgedeckt werden. Das ist an allen hessischen Musikschulen so, nur der Anteil variiert je nach Engagement der Kommune oder des Kreises.  

Keine Bildungsgerechtigkeit

Verglichen mit den anderen Bundesländern müssen die hessischen Eltern deutlich tiefer in die Tasche greifen, um ihren Anteil an der Finanzierung der Musikschulen zu leisten. Nur in Schleswig-Holstein liegt er noch höher.  

Orchester, einige Musikerinnen sind sichtbar behindert.

Die Gebühren in Hessen seien so hoch, "dass wir von einer gerechten Teilhabe aller hessischen Bürger, die ein Interesse haben, sich musikalisch zu bilden, nicht sprechen können", sagt Hans-Joachim Rieß, Geschäftsführer des Landesverbandes deutscher Musikschulen. Deshalb solle das Land Hessen eine grundlegende Entscheidung treffen und die Finanzierung der 72 öffentlichen Musikschulen regeln, fordert er.  

Öffentliche Finanzierung in Hessen besonders niedrig 

Rieß rechnet vor, dass die Kommunen zwischen vier und 35 Prozent der Kosten tragen würden. Das Land übernehme gerade mal vier Prozent. Und das, obwohl das zuständige Ministerium für Wissenschaft und Kunst seinen Anteil in der laufenden Legislaturperiode schon um ein Viertel angehoben hat, auf etwa dreieinhalb Millionen Euro. Nötig wäre aber mindestens das Dreifache, sagt Hans-Joachim Rieß.  

Der Verband deutscher Musikschulen hat ein Ranking erstellt. Demnach zahlt das Land pro Einwohner etwa 40 Cent für die Musikschulen. Im Nachbarland Baden-Württemberg ist es mehr als viermal so viel. Hessen müsse sich fragen, ob es auch in Zukunft öffentliche Musikschulen geben solle, warnt Hans-Joachim Rieß: "Wenn nichts passiert, dann sterben wir einfach allmählich aus."

Lehrkräfte wandern ab  

Das Problem hat längst weitere Kreise gezogen. Denn durch die schlechte Bezahlung und die unsichere Beschäftigungslage an den öffentlichen Musikschulen mangelt es an Lehrkräften. Eine Ausbildung in Instrumentalpädagogik wird zunehmend unattraktiv, wenn sie keine Perspektive bietet. Damit fehlt aber mittelfristig auch den Orchestern der Nachwuchs.  

Großes Orchester auf einer Bühne

Diejenigen Lehrkräfte, die sich an den fünf hessischen Akademien und Hochschulen in Darmstadt, Frankfurt, Wiesbaden oder Kassel ausbilden lassen, bewerben sich nach dem Abschluss lieber auf feste Stellen in den Nachbarländern Bayern oder Baden-Württemberg statt in Hessen als Honorarkraft arbeiten zu müssen. Zumal in vielen Fällen nicht nach Tarif bezahlt wird.  

Politik will jetzt handeln  

Immerhin, es gibt Hoffnung. Die SPD-Landtagsfraktion hatte 2020 einen Entwurf für ein Musikschulgesetz eingebracht. Nach der erster Lesung und einer Expertenanhörung waren sich alle Landtagsfraktionen einig, dass es Handlungsbedarf gibt. Das parlamentarische Verfahren geriet dann aber ins Stocken.  

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22. Mai: Aktionstag für die Musik

hr2-kultur möchte die musikalischen Aktivitäten in Hessen fördern und ihre große Vielfalt präsentieren. Dazu gibt es am 22. Mai viele Veranstaltungen im Land. Das ganze Programm des Aktionstages gibt es hier. [PDF - 5mb]

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Inzwischen hat das Ministerium für Wissenschaft und Kunst einen Runden Tisch initiiert, der alle Akteure zusammenbringen will. Denn klar ist: Mit einer Erhöhung der Landesunterstützung ist es nicht getan, auch viele Kommunen und Kreise müssten ihren Anteil erhöhen.  

Zukunftsfeste Entwicklung gewünscht 

Aktuell wird ein Fachgutachten erstellt, das analysiert, wie andere Länder ihre Musikschulen finanzieren. Daraus soll ein Modell für Hessen entwickelt werden. Aus dem Ministerium heißt es, das Land, die Kreise und die Städte hätten den gemeinsamen Willen bekundet, die hessischen Musikschulstrukturen zukunftsfest weiterentwickeln zu wollen.  

Kinder und zwei Erwachsene sitzen mit Trommeln im Kreis auf Stühlen und auf dem Boden.

Hans-Joachim Rieß stimmt das optimistisch: “Das ist eine Situation, die in Hessen bisher einmalig ist. Wir sind da an einer ganz entscheidenden Stelle." Andrea Heibel von der Kreismusikschule Limburg hofft sehr, dass sich bald etwas tut. Denn wenn es jetzt keine grundsätzliche Regelung zur Finanzierung gebe, sehe die Zukunft für ihre und andere Musikschulen düster aus. 

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