Polizeieinsatz in Gießen

Nach den Ausschreitungen vom Samstag waren auch am zweiten Tag des umstrittenen Eritrea-Festivals in Gießen wieder hunderte Polizisten im Einsatz. Auch wenn der Sonntag friedlich verlief, forderte Gießens Oberbürgermeister Frank-Tilo Becher eine Aufarbeitung.

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Eritrea-Festival startet unter gewaltsamem Protest

hs 08.07.2023
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Gewalt, 26 verletzte Polizisten und Sachbeschädigungen: Die Ausschreitungen rund um das umstrittene Eritrea-Festival haben in Gießen Spuren hinterlassen.

"Die Bilder, die aus unserer Stadt am Wochenende durch die Welt gingen, sind unerträglich", kommentierte Gießens Oberbürgermeister Frank-Tilo Becher (SPD) am Sonntagnachmittag den Gewaltausbruch. "Wir mussten beobachten, wie unsere Straßen zum Tatort wurden."

OB für politische und juristische Aufarbeitung

Becher kündigte an, die Geschehnisse "politisch und juristisch" aufarbeiten zu wollen. Die Stadt war vor Gericht damit gescheitert, dass Festival wegen drohender Gewalt zu verbieten – in letzter Instanz am Freitag vor dem Hessischen Verwaltungsgerichtshof in Kassel.

"Es ist mehr als bedauerlich, dass Gießen erneut damit zum Schauplatz dieses Konflikts geworden ist, der nichts mit unserer Stadtgesellschaft, nichts mit dem Leben hier, mit uns zu tun hat und den wir auch nicht hier lösen können", sagte Becher.

Aber nicht nur die gewalttätigen Vorfälle auf den Straßen hätten ihn beschäftigt. "Neben den tatsächlichen Ereignissen haben mich Äußerungen und Hetze in den Sozialen Medien, die offen rassistisch sind und die unseren Rechtsstaat verhöhnen, entsetzt." Deshalb brauche es jetzt eine Aufarbeitung, die über Gießen hinausgehe.

Beuth fordert Bundesregierung zum Handeln auf

Hessens Innenminister Peter Beuth (CDU) kritisierte, Gießen sei "zum Schauplatz eritreischer Konfliktlagen gemacht" worden und forderte die Bundesregierung auf, den eritreischen Botschafter einzubestellen. Der eritreischen Regierung müsse deutlich gemacht werden, dass eritreische Konflikte nicht auf deutschem Boden ausgetragen werden dürfen.

Die oppositionelle SPD-Fraktion im Landtag teilte mit, dass der Fortbestand des Festivals kritisch hinterfragt werden müsse. Die ebenfalls opositionelle AfD-Fraktion im Landtag plädierte dafür, die "Fortsetzung dieser Veranstaltung" zu verbieten.

Zweiter Tag unter Beobachtung der Polizei

Nach den Ausschreitungen zu Beginn des Festivals am Samstag blieb es am zweiten und letzten Festivaltag ruhig. Trotzdem blieb die Polizei bis zum Schluss mit starken Kräften vor Ort. Zahlreiche Besucher und Besucherinnen hatten das Festivalgelände bereits am Sonntagnachmittag verlassen, ohne dass es dort zu Protesten gekommen war. Auch in der Nacht zum Montag gab es keine Zwischenfälle in Gießen.

Am Samstag war die Lage wie zuvor von Stadt und Polizei befürchtet eskaliert. "Die Kollegen wurden massiv angegriffen, Steinewürfe, Flaschenwürfe, Rauchbomben", sagte ein Polizeisprecher am Samstagabend. Insgesamt 26 Einsatzkräfte wurden nach Angaben vom Sonntag verletzt. Es habe sich überwiegend um Platzwunden oder Zerrungen gehandelt. Sieben davon erlitten schwerere Verletzungen wie einen Knochenbruch, offene Schürfwunden und Bänderrisse. Über 1.000 Einsatzkräfte waren am Samstag im Einsatz.

Die Beamten setzten Schlagstöcke und Pfefferspray ein, ein Wasserwerfer stand bereit. An unterschiedlichen Stellen in der Stadt hielten sich laut Polizei Gruppen mit potenziell gewalttätigen Personen auf, teils wurden diese auch festgehalten. Beim Festival in den Hessenhallen waren am Samstag laut Polizei rund 2.000 Teilnehmer und Teilnehmerinnen.

125 Strafanzeigen

Insgesamt führte die Polizei seit Donnerstag im Zusammenhang mit den Veranstaltungen über 1.800 Kontrollen oder Identitätsfeststellungen und rund 130 freiheitsentziehende Maßnahmen durch, wie sie am Sonntagabend mitteilte. Die Beamten fertigten demnach in dieser Zeit zudem 125 Strafanzeigen an, fast ausschließlich wegen Verdacht des Landfriedensbruchs. Zwei Männer, ein 36 und 25 Jahre alter Eritreer, seien als gesuchte Straftäter festgenommen worden.

Menschen stehen nebeneinander in Reihe und halten zwei Banner hoch. Auf einem steht: "Gießen: Der Zufluchtsort von Verfolgten darf nicht Feier- und Propagandaarena von Genozid-Diktatoren und deren Anhänger werden".

Unversöhnliche Positionen

Im Konflikt um das Festival stehen sich in Deutschland lebende Kritiker und Unterstützer des eritreischen Regimes unversöhnlich gegenüber. Offiziell handelt es sich um eine Kulturveranstaltung, angemeldet vom Zentralrat der Eritreer in Deutschland, der als regierungsnah gilt.

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Ein-Parteien-Diktatur in Eritrea

Eritrea mit seinen rund drei Millionen Einwohnern liegt im Nordosten Afrikas am Roten Meer und ist international weitgehend abgeschottet. Seit einer jahrzehntelang erkämpften Unabhängigkeit von Äthiopien vor 30 Jahren regiert Präsident Isayas Afewerki in einer Ein-Parteien-Diktatur. Die Meinungs- und Pressefreiheit sind stark eingeschränkt. Es gibt weder ein Parlament noch unabhängige Gerichte oder zivilgesellschaftliche Organisationen. Zudem herrscht ein strenges Wehrdienst- und Zwangsarbeitssystem, vor dem viele Menschen ins Ausland fliehen.

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Die Veranstalter des Festivals sprechen nach Angaben der Stadt von einem Familienfest. Auf dem Programm stünden außer Musik und Essen auch politische Reden. Worum es in den Reden gehe, sei nicht bekannt, sagte eine Stadtsprecherin.

Gegner werfen den Veranstaltern vor, Propaganda für das Regime und Machthaber Isaias Afewerki zu machen und auch Spenden dafür zu sammeln. Bereits im vergangenen Jahr hatte es gewaltsame Ausschreitungen bei dem Festival gegeben.

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