Das Foto zeigt aus der Froschperspektive eine Straße mit parkenden Autos. Im Vordergrund ein Loch im Boden, zur Installtation von Fahrradbügeln, die nebendran uneingebaut an einer Hauswand lehnen.

In Kassel setzen sich Parkplatzverteidiger radikal gegen Fahrradbügel zur Wehr: Am Wochenende wurden von der Stadt installierte Bügel entfernt und die Löcher mit Bauschaum verklebt. Das zeigt: Auch Autofahrer können Militanz, wenn die Verkehrswende ihnen den Platz streitig macht.

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Verkehrswende ja oder nein? Radler wollen mehr Platz in Kassel

Fahrradbügel stehen am Bebelplatz in Kassel, mit einigen angeschlossenen Fahrrädern
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Wann sind Militanz und Vandalismus okay? Bei der Letzten Generation ist sich die Öffentlichkeit oft einig: Mit Klebstoff an den Händen Kreuzungen zu blockieren oder Gemälde zu beschmieren, um für das Klima und eine Verkehrswende zu kämpfen, ist vielen zu radikal. Aber was, wenn die Verkehrswende die Generation Auto radikalisiert?

Im Kasseler Stadtteil Vorderer Westen hat sich am Wochenende jemand durch neu installierte Fahrradbügel am Straßenrand offenbar derart provoziert gefühlt, dass er oder sie die Metallteile und Hinweisschilder kurzerhand aus dem Boden riss und an eine Hauswand stellte.

Die Löcher im Asphalt stopfte der oder die Unbekannte mit Bauschaum. Einer der Bügel hatte schon im Februar dran glauben müssen. Die Fahrradbügelreihe blockierte etwa zwei Parkplätze, oder, je nach Sichtweise, blockieren jetzt wieder Autos die Fahrradstellplätze.

Löcher mit Bauschaum verklebt

Damit eskaliert der schon länger schwelende Streit über eine offensichtliche Sache: Wo das Fahrrad mehr Platz bekommt, muss das Auto weichen. Über die Fahrradbügel in Kassel ist in den letzten Monaten eine Art Kulturkampf ausgebrochen.

Dabei zeigt sich, dass Militanz so manchem in einem viel positiveren Licht erscheint, wenn sie der eigenen Sache dient: "Applaus", "Bitte weiter so", "Ich kann schon verstehen, dass einem der Kragen platzt", schreiben Nutzer in der Facebook-Gruppe "I Love Vorderer Westen" und feiern die Bauschaum-Aktion.

Schon in den vergangenen Wochen wurde die Liebe zum Stadtteil in der Gruppe mit mehreren tausend Mitgliedern von den neuen Fahrradbügeln gespalten. Die einen besorgt das Klima und die Selbstjustiz von Autofahrern, die anderen sehen in allem, was ein paar Autos verdrängt, die "grüne Keule" am Werk.

Bügel-Kampf in Grünen-Hochburg

Eine Facebook-Diskutantin empörte sich am Wochenende, dass es gar keine Volksabstimmung zu den Fahrradbügeln gegeben habe und nun Autofahrer noch länger um den Block fahren müssten im Feierabend - Militanz gegen Fahrradbügel gehe ihr aber trotzdem zu weit.

Die demokratische Abstimmung gab es allerdings schon: Die Stadtverordnetenversammlung hatte 2019 die Aufstellung der Bügel beschlossen, als Teil des Versuchs, Kassel im Sinne einer klimafreundlichen Verkehrswende umzubauen - zumindest ein bisschen.

Der Ort des aktuellen Fahrradbügel-Kampfes, der Vordere Westen, ist eine Grünen-Hochburg: 2021 kam die Partei bei der Wahl der Stadtverordnetenversammlung hier mit rund 39 Prozent auf ihr stärkstes Ergebnis. Die den Autofahrern traditionell zugeneigte CDU erhielt nur rund 11 Prozent der Stimmen.

Stadt erstattet Anzeige

Die Parkplatzverteidiger in Kassels Straßen müssen sich noch auf einigen Frust einstellen, denn die Stadt hat erst 200 von insgesamt rund 900 Fahrradbügeln aufgebaut.

Und Verkehrsdezernent Christof Nolda (Grüne) versteht keinen Spaß bei dem Thema. Nach der Attacke gegen die Bügel erstattete die Stadt Anzeige wegen Sachbeschädigung: "Vandalismus ist kein Kavaliersdelikt", sagte Nolda dem hr. Er hoffe, dass die Verantwortlichen zur Rechenschaft gezogen werden können. Der Aufbau der Bügel läuft aktuell auf Hochtouren. 80 Prozent der Kosten werden vom Land gefördert, rund 440.000 Euro.

Die selbstbewusste Fahrrad-Szene in Kassel wird sich von drei mutwillig ausgerissenen Bügeln kaum entmutigen lassen: Seit Jahren fahren regelmäßig Fahrraddemos durch die Stadt, es gibt Initiativen, die sich für eine Verkehrswende einsetzen. Und zwar auch da, wo wirklich keine Autos hinkommen: Am Wochenende wurden die Zweiräder bei einer Demo durch den Park Karlsaue geschoben. Hier herrscht Radfahrverbot - bisher.

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