Nach Klebeaktionen auf Marburgs Straßen hat sich Oberbürgermeister Spies mit den umstrittenen Aktivisten der "Letzten Generation" geeinigt. In einem Brief an die Bundesregierung fordert er weitere Maßnahmen für den Klimaschutz.

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Marburger Oberbürgermeister unterstützt Klima-Aktivisten

hessenschau vom 06.03.2023
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Es ist ein Schulterschluss zwischen der Stadt Marburg und der "Letzten Generation": Marburgs Oberbürgermeister Thomas Spies (SPD) unterstützt die Forderungen der als radikal geltenden Klima-Aktivisten und -Aktivistinnen, dafür wird es vorerst keine weiteren Klima-Proteste und Klebeaktionen im Marburger Stadtgebiet geben. Die Einigung sei ein Ergebnis konstruktiver Gespräche am Freitag, wie Spies in einem Schreiben am Montag mitteilte. "Unser Handeln und unsere Haltung in Marburg haben offensichtlich überzeugt."

In einem Brief, adressiert an die Bundesregierung, den Bundestag und den Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD), ruft er die Bundespolitik dazu auf, die Forderungen der "Letzten Generation" "wohlwollend" zu prüfen. Nach Hannover und Tübingen ist Marburg bundesweit die dritte Stadt, die diesen Schritt geht.

Spies: Bund und Land sind in der Pflicht

Spies zufolge reichen Marburgs Anstrengungen, bis 2030 klimaneutral zu werden, allein nicht aus. Daher müssten auf allen Ebenen die notwendigen Entscheidungen getroffen und Maßnahmen umgesetzt werden, kritisierte er und verwies auf die EU-, Bundes- und Landespolitik. "Es ist mein Eindruck, dass dies – in Anerkennung aller Herausforderungen – noch nicht in hinreichendem Maß gelingt."

Thomas Spies

Immer wieder kämen Marburger und Marburgerinnen jeden Alters auf ihn zu. "Viele Menschen treibt um, dass das Erreichen existenzbedrohender Kipppunkte im Klimawandel droht", betonte der SPD-Politiker. Bundeskanzler Scholz war erst kürzlich zu Besuch in der Stadt, in einem Bürgerdialog war auch der Klimawandel Thema. Bereits dort hatten Marburger Studierende dem Kanzler eine Forderungsliste übergeben.

In seinem Schreiben an die Bundesregierung listet Spies die gemeinsamen Forderungen auf: ein dauerhaftes bundesweites 9-Euro-Ticket, ein Tempolimit auf Autobahnen und das Einsetzen eines "Bürger*innenrats" in der Bundespolitik, in dem sich zufällig ausgewählte Bürgerinnen und Bürger mit Lösungen und Ansätzen für das Klimaneutralitätsziel beteiligen können. Die Ziele der "Letzten Generation" deckten sich mit den Interessen der Stadt, in Marburg gebe es beispielsweise solche "Bürger*innenräte" bereits, ergänzte Spies.

"Letzte Generation" sieht sich bekräftigt

Der Sprecher der Letzten Generation bestätigte am Montag, dass wie in Hannover und Tübingen nun auch in Marburg die Proteste "bis auf Weiteres ausgesetzt" seien.

"Wir protestieren nicht um des Protests willen, sondern um der Einigung willen", betonte der Sprecher der Aktivisten-Gruppe. Die Gespräche mit dem Marburger Oberbürgermeister hätten gezeigt, "dass er hinter unseren Forderungen steht".

Scharfe Kritik von den Stadtverordneten

Unter der Überschrift "Der Oberbürgermeister spricht nicht für Marburg" äußerte das oppositionelle Bündnis aus CDU, FDP und BfM in der Stadtverordnetenversammlung scharfe Kritik an Spies' Vorgehen. Dieser habe "eigenständig und ohne Beschluss der Stadtverordnetenversammlung" Verhandlungen mit den Klimaaktivisten geführt. Die Zusagen, die dort getroffen wurden, "sind uns überhaupt nicht bekannt", sagte der Fraktionsvorsitzende Jens Seipp (CDU). Nicht zum ersten Mal, so urteilte die Fraktion, mache sich Spies damit "erpressbar".

Spies hingegen sagte am Montag in einem Gespräch mit dem hr: "Ich habe nichts zugestanden, was ich sonst nicht getan hätte." Den Brief hätte er auch auf Grundlage der Marburger Beschlüsse zum Klimanotstand und zum Klimaaktionsplan "ohne eine solche Aktion" schreiben können, ergänzte er.

"Wenn ich als Oberbürgermeister einen Brief an die Bundesregierung schreibe, über Dinge, die wir in Marburg beschlossen haben, dann finde ich nicht, dass ich da um Erlaubnis fragen muss." Die Beschlüsse seien teils mit "überwältigender Mehrheit" von der Stadtverordnetenversammlung getroffen worden.

Al-Wazir: Aktionen lenken vom Klimaschutz ab

Die Gruppe der "Letzten Generation", die sich nun mit Marburg, Hannover und Tübingen gemeinsam für das Klimaneutralitätsziel einsetzt, steht wegen ihrer Mittel des Protests immer wieder in Kritik. Erst am Wochenende hatten Aktivisten und Aktivistinnen das "Grundgesetz 49"-Kunstwerk im Berliner Regierungsviertel mit schwarzer Farbe beschmiert und die Gemüter der Politiker und Politikerinnen erzürnt.

SPD-Landtagsspitzenkandidatin und Bundesinnenministerin Nancy Faeser hatte nach der Farbattacke strafrechtliche Kosequenzen gefordert. Hessens Wirtschaftsminister und Grünen-Kandidat für die Landtagswahl 2023, Tarek Al-Wazir, schloss sich der Kritik an. Zwar müsse "tatsächlich etwas gegen die Klimakrise getan werden", sagte er. Aber am Ende regten sich alle nur noch über die Aktionen auf und über Klimaschutz werde gar nicht mehr geredet.

An die Aktivisten appellierte Al-Wazir: "Hört bitte auf mit dem Quatsch. So gewinnen wir keine Mehrheiten." Faeser ergänzte: So ein Unsinn schade dem Klimaschutz "gewaltig".

Seit Anfang 2022 blockiert die "Letzte Generation" immer wieder Autobahnausfahrten und Knotenpunkte in Innenstädten. Die Aktivisten kleben sich auf den Straßen fest oder seilen sich von Autobahnbrücken ab. Im Frankfurter Städel klebten zwei Aktivisten ihre Hände an den Rahmen eines Gemäldes von Nicolas Poussin - gegen den "tödlichen fossilen Kurs" der Bundesregierung.

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