Eine Collage aus Zeitungsausschnitten zum Thema Gewalt von Horten in Deutschland am Rand, in der Mitte eine Zeichnung eines Kreideumrisses eines Toten

Vor 44 Jahren wurde im Frankfurter Ostend der kroatische Migrant Nikola Milićević erschossen. Bis heute ist der Fall nicht aufgeklärt. Warum musste der fünffache Familienvater sterben? Der hr-Podcast "Krieg im Schatten" begibt sich auf Spurensuche.

Es ist mitten in der Nacht, als Nikola Milićević am 13. Januar 1980 nach Hause zurückkehrt. Er parkt seinen Mercedes auf dem Parkplatz eines Wohnhochhauses im Frankfurter Ostend. Im fünften Stock schlafen zu diesem Zeitpunkt seine Frau und die fünf Kinder. Milićević, der von Freunden und Bekannten immer nur "Beban" genannt wird, steigt aus seinem Wagen. Als er gerade abschließen will, fallen sechs Schüsse. Der Leichnam des kroatischen Migranten wird erst am darauffolgenden Morgen von einer Nachbarin entdeckt.

Bis heute ist dieser Mordfall nicht aufgeklärt. Dabei steht für Milićevićs Umfeld und auch für die deutschen Ermittler sehr schnell fest, wer hinter dem Mord im Frankfurter Ostend steckt: der jugoslawische Geheimdienst. Doch warum sollte der Geheimdienst eines sozialistischen Landes mitten in Deutschland einen einfachen Geschäftsmann ermorden? 44 Jahre nach der Tat begibt sich der hr-Podcast "Krieg im Schatten" auf Spurensuche.

Dutzende Attentate über mehrere Jahrzehnte

Denn was im ersten Moment wie ein spektakulärer Einzelfall anmutet, ist tatsächlich ein Teil einer ganzen Serie von teils tödlichen Anschlägen, die sich über fast drei Jahrzehnte erstreckt. Zwischen den frühen 60er- und den späten 80er-Jahren führten die jugoslawischen Geheimdienste, die umgangssprachlich als UDBA bezeichnet wurden, weltweit zahlreiche Anschläge auf Gegner des sozialistischen Regimes aus.

Eine genaue Zahl lässt sich aufgrund der Tatsache, dass zahlreiche mutmaßliche UDBA-Attentate nie aufgeklärt wurden, nicht benennen. Doch in den Ermittlungsakten zum Mordfall Milićević ist von 36 Morden und Mordversuchen allein in Deutschland im Zeitraum von 1962 bis 1980 die Rede. In fast allen Fällen waren die Opfer jugoslawischer, die allermeisten kroatischer Herkunft. So auch Nikola "Beban" Milićević.

Geheimdienst gegen Nationalisten

Doch die jugoslawischen Geheimdienste mordeten nicht wahllos. Ihre Ziele waren bewusst ausgewählt. Bei näherer Betrachtung zeigt sich, dass viele der Opfer gleichzeitig auch Täter waren. Tatsächlich wurde über Jahrzehnte hinweg auf deutschem Boden ein Konflikt zwischen dem sozialistischen Vielvölkerstaat und kroatischen Separatisten ausgetragen, der von beiden Seiten mit äußerster Brutalität ausgefochten wurde.

Die Wurzeln dieses "Krieges im Schatten" reichen dabei zurück bis in den Zweiten Weltkrieg, als Nazi-Deutschland Jugoslawien zerschlug und in den kroatischen Landesteilen ein Marionetten-Regime unter Führung der faschistischen "Ustascha" installierte. Ihrer vier Jahre währenden Terrorherrschaft fielen hundertausende Nichtkroaten – allen voran Serben, Roma und Juden – zum Opfer.

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KRIEG IM SCHATTEN. Warum starb Nikola Milićević?

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Nach dem Sieg der Kommunistischen Partisanen und der Gründung des sozialistischen Jugoslawiens 1945 entkam ein Großteil der Ustascha-Führung ins Ausland. Dort gründeten führende Köpfe des Regimes Nachfolgeorganisationen – auch in der Bundesrepublik. Diese und andere Organisationen sogenannter "Exilkroaten" setzten in der Diaspora ihren Kampf für ein unabhängiges Kroatien fort.

"Kroatische Exilanten waren zeitweise wirklich die aktivsten migrantischen Akteure in der Bundesrepublik", sagt Historiker Mathias Thaden, der zum Umgang deutscher Sicherheitsbehörden mit den Exilkroaten geforscht hat.

Nikola Milićević reiste 1962 nach Deutschland ein. Hier schloss er sich einer der größten Exil-Kroaten-Organisationen an: den Vereinigten Kroaten Deutschlands, einem Verein, an dessen Spitze ehemalige Ustascha standen, die keinen Anlass sahen, sich von ihrer faschistischen Vergangenheit zu distanzieren. Ungefähr zur selben Zeit begannen Exilkroaten aus dem Umfeld eben solcher Organisationen mit Terroranschlägen auf jugoslawische Institutionen im Ausland und in Jugoslawien selbst.

Terror und Gegenterror

In den nächsten Jahren schaukelten sich Terror und Gegenterror zu einem regelrechten "Krieg" zwischen Geheimdienst und Exilkroaten hoch. Dieser wurde zu einem nicht unwesentlichen Teil auf deutschem Boden ausgetragen – allerdings meistens ohne, dass die breite Öffentlichkeit davon Kenntnis nahm: "Man kann schon sagen, dass das im Schatten der gesellschaftlichen Aufmerksamkeit stattfand", sagt Historiker Thaden.

Ausnahmen bildeten spektakuläre Anschläge, wie etwa 1976 die tödlichen Schüsse auf den jugoslawischen Vize-Konsul Edvin Zdovc in Frankfurt. Die jugoslawischen Behörden brachten Nikola Milićević mit diesem Attentat in Verbindung. 1978 forderte Belgrad daher seine Auslieferung – und die von sieben weiteren jugoslawischen Emigranten. Ihnen allen warf die Regierung in Belgrad vor, sich an Terror-Aktionen beteiligt zu haben.

Jugoslawien rechnete sich seinerzeit gute Chancen aus, die "Staatsfeinde" endlich in die Hände zu bekommen. Denn in Belgrad spekulierte man auf ein Tauschgeschäft: Im Mai 1978 waren am Flughafen der Stadt Zagreb vier deutsche RAF-Terroristen festgenommen worden: Peter-Jürgen Boock, Brigitte Mohnhaupt, Siglinde Hofmann und Rolf-Clemens Wagner – die mutmaßlichen Entführer und Mörder von Arbeitgeberpräsident Hans Martin Schleyer.

Keine Geschichte in Schwarz und Weiß

War Nikola Milićević am Ende also ein Terrorist, so wie es Jugoslawien behauptete? Ist es zum Tauschgeschäft gekommen? Wie sicher ist es eigentlich, dass wirklich der jugoslawische Geheimdienst hinter diesem Mord steckte? Und warum hat die deutsche Öffentlichkeit von diesem "Krieg im Schatten" so wenig mitbekommen?

Diesen und weiteren Fragen geht der hr im sechsteiligen Story-Podcast "Krieg im Schatten - Warum starb Nikola Milićević?" nach. Was dabei herausgekommen ist – soviel darf verraten werden – ist keine Geschichte in Schwarz und Weiß.