Audio

Lange Haftstrafe für Drogendealer in Gießen

Kokain

In Gießen ist nach einem Jahr das Urteil in einem Drogen-Prozess gefallen, der tiefe Einblicke in die organisierte Kriminalität ermöglichte. Vor Gericht ging es auch um die Frage: Sind gehackte Kryptochats als Beweismittel zulässig?

Schwerbewaffnete Spezialkräfte, Sprengstoffspürhunde, Zugangsbarrieren: Vor einem Jahr wurde vor dem Landgericht Gießen ein Prozess unter außergewöhnlich strengen Sicherheitsbedingungen eröffnet. Vier Männer aus Marburg, Gießen und Umgebung wurden damals angeklagt. Sie sollen im großen Stil mit Drogen gehandelt haben – bandenmäßig international vernetzt und verwickelt in kriminelle Clan-Strukturen.

Konkret war es um die Einfuhr von über zehn Kilo Heroin und den Transport von mindestens 45 Kilo Kokain gegangen – Drogen im Wert von 1,7 Millionen Euro. Zwei Angeklagte wurden bereits zu Haftstrafen von drei und vier Jahren verurteilt, ein Verfahren wurde eingestellt. Am Freitag fiel nun das Urteil gegen den Hauptangeklagten, einen 47-jährigen Familienvater aus Gießen. Er wurde zu acht Jahren und drei Monaten Haft verurteilt. Die Staatsanwaltschaft hatte neun Jahre gefordert, die Verteidigung auf Freispruch plädiert.

Drogen aus internationalem Handel auf der Küchenwaage in Gießen

Der Hauptangeklagte galt bei der EU-Polizeibehörde Europol als "High Value Target", also ein hochrangiges Ziel im Bereich der schweren und organisierten Kriminalität.

Das Geschäft wurden laut Gericht über Kontakte zu einem niederländischen Händler abgewickelt. Die Drogen wurden dann in verschiedene Länder gebracht, unter anderem nach Deutschland. Zum Teil hat der Weiterverkauf auch direkt in Gießen stattgefunden, einmal sogar zu Hause bei dem Angeklagten. Im Urteil wurde auf ein Foto verwiesen, das zeigt, wie zwei Kilo Kokain im Wert von mindestens 60.000 Euro auf der häuslichen Küchenwaage abgewogen wurden.

Verbindungen zu montenegrinischem Clan

Der Mann, der selbst gebürtig vom Balkan stammt, unterhielt Verbindungen zu führenden Mitgliedern eines kriminellen montenegrinischen Clans, der als äußerst brutal und gefährlich gilt.

Aufgrund der Verbindungen ins organisierte Verbrechen galten während des gesamten Verfahrens starke Sicherheitsvorkehrungen. Im Sommer wurde sogar einmal kurzfristig der Verhandlungsort verlegt, weil ein Sprengstoffspürhund im Saal angeschlagen hatte – falscher Alarm allerdings, wie sich später herausstellte.

Ermittlungserfolg: Kryptohandys ausgewertet

Eine Besonderheit des Verfahrens: Dass der Angeklagte überhaupt vor Gericht kam, verdankt er Ermittlungserfolgen von Europol. Der EU-Polizeibehörde war es 2020 gelungen, massenweise Daten aus verschlüsselten Handys zu erheben, sogenannte Kryptohandys, die den Nachrichtendienst SkyECC nutzten.

SkyECC ist einer von mehreren Messengern, die in den vergangenen drei Jahren von Ermittlungsbehörden gehackt wurden, weil sie Kriminellen als eine Art "WhatsApp" dienten. Ähnliche Ermittlungserfolge gab es noch mit anderen Kryptochat-Dienstleistern wie der AN0M-App und EncroChat.

Auch in Hessen häufen sich Verfahren

Die Folge: Bundesweit werden seit etwa drei Jahren zunehmend Verfahren eröffnet, in denen solche vermeintlich verschlüsselten Chats ein wichtiges oder sogar das einzige Beweismittel darstellen. Georg Ungefuk von der Generalstaatsanwaltschaft Frankfurt bestätigt, dass sich auch in Hessen seit einiger Zeit derartige Verfahren häuften.

"Diese Chats sind für uns ein wichtiger Schlüssel, der uns Zusammenhänge und auch die Tiefe des Dunkelfelds der organisierten Kriminalität aufgehellt hat", so Ungefuk. Die Szene sei sonst sehr abgeschottet, erklärt er. "Da herrschen Schweigen und Angst."

In Hessen läuft derzeit beispielsweise noch ein großes Verfahren in Limburg. In Frankfurt wurden sieben Mitglieder einer Bande angeklagt. Immer wieder gibt es auch Berichte von Großrazzien, die durch Informationen aus Kryptochats ausgelöst wurden - wie erst diese Woche wieder im Rhein-Main-Gebiet.

Sind die Chats als Beweismittel zulässig?

Der Prozess in Gießen ist laut Staatsanwaltschaft Gießen aber eines der ersten Verfahren in Deutschland, das auf der Grundlage von SkyECC-Daten eröffnet wurde. Hier dienten die Chats sogar als Haupt-Beweismittel. Denn: Drogen wurden beim Angeklagten keine gefunden, es gab auch keine Aussagen von Zeugen, die ihn beim Handel beobachtet hatten.

Vor Gericht wird von Verteidigungen allerdings immer wieder angezweifelt, dass die Chats nach deutschem Recht überhaupt als zulässiges Beweismittel verwertet werden dürfen. Auch im Prozess in Gießen basierte darauf die Freispruchforderung der Verteidigung - während die Staatsanwaltschaft von einer Verwertbarkeit überzeugt war.

Dass die Daten aus EncroChat vor Gericht als Beweismittel zulässig sind, hat der Bundesgerichtshof inzwischen bejaht. Für SkyECC steht eine Entscheidung allerdings noch aus.

Das Gießener Landgericht erklärten nun: Für die Kammer bestehe keinerlei Zweifel, dass diese Daten verwendet werden dürfen und auf "rechtlich vorgesehenem Weg" in die Hände der deutschen Ermittlungsbehörden gelangt waren. "Grenzüberschreitende Straftaten erfordern grenzüberschreitende Ermittlungen", hieß es in der Begründung. Die Verteidigung kündigte an Revision einzulegen.

Weitere Informationen Ende der weiteren Informationen