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Fünf mutmaßliche Drogenschmuggler wieder frei - weil Gericht überlastet ist

Landgericht Frankfurt

Fünf mutmaßliche Drogenschmuggler sind trotz dringenden Tatverdachts aus der U-Haft entlassen worden. Grund: Ihr Prozess kann nicht früh genug starten. Während das Landgericht in Frankfurt Überlastung anmeldet, sieht die höhere Instanz einen justizinternen Zwist.

Fünf mutmaßliche Drogenschmuggler sind aus der Untersuchungshaft entlassen worden und wieder auf freiem Fuß. Das Oberlandesgericht Frankfurt (OLG) hat entschieden: Weil die Hauptverhandlung gegen die Beschuldigten nicht schnell genug stattfinden kann, kommen alle fünf frei.

Es liege zwar ein dringender Tatverdacht vor - aber der von der Strafkammer am Frankfurter Landgericht avisierte Beginn der Hauptverhandlung sei frühestens im Januar 2024. Das verletze das Beschleunigungsgebot. Das Gebot besagt, dass die Justiz alles tun muss, um das Hauptverfahren möglichst schnell zu beginnen.

Statt der üblicherweise anzusetzenden drei Monate zwischen der Feststellung, dass eine Verhandlung eröffnet werden muss und der Hauptverhandlung selbst, stünden hier rund sechs Monate im Raum.

110 Kilogramm Kokain aus Brasilien

Die fünf Tatverdächtigen sollen im November 2022 über den Frankfurter Flughafen versucht haben, 110 Kilogramm Kokainzubereitung - darunter versteht man etwa gestrecktes Kokain oder Crack - aus Brasilien nach Deutschland zu schmuggeln. Direkt danach kamen sie in Untersuchungshaft und warten seitdem auf die Verhandlung. Doch die scheint noch in weiter Ferne.

Laut OLG hatte die Staatsanwaltschaft im April am Frankfurter Landgericht Anklage gegen die Männer erhoben. Der Vorsitzende der großen Strafkammer erklärte daraufhin dem Präsidium des Landgerichts, dass die Kammer überlastet sei - mit dem Ziel, dass das Verfahren auf eine andere Strafkammer übertragen werde. Doch das Präsidium widersprach, stellte keine Überlastung fest. Die U-Haft wurde daraufhin umgewandelt: Die fünf Beschuldigten blieben weiter in U-Haft, nun aber außer Vollzug. Sprich: Die Männer durften unter Auflagen raus.

Zu den Auflagen zählten laut einem FAZ-Bericht Fußfesseln und die Pflicht, sich zwischen 20 Uhr und 6 Uhr an der jeweiligen Wohnanschrift aufzuhalten, die Pässe bei Gericht abzugeben, Sicherheitsleistungen in fünfstelliger Höhe, Meldeauflagen und Kontaktverbote. Das OLG bestätigte dem hr gegenüber diese Angaben.

Beschuldigte müssen womöglich wieder gesucht werden

Gegen die Haftentlassung legte die Staatsanwaltschaft Beschwerde ein - und das OLG entschied, als es sich wegen dieser Beschwerde erneut mit der U-Haft befassen musste, den Haftbefehl komplett aufzuheben.

"Justizinterne Unstimmigkeiten zwischen dem Präsidium des Gerichts und der Kammer bezüglich deren Belastungssituation dürfen nicht zulasten der Angeschuldigten gehen", entschied nun das Oberlandesgericht.

Das heißt: Die fünf Beschuldigten sind nun komplett frei, müssen sich nicht regelmäßig beim Gericht oder der Polizei melden. Wenn ihnen der Prozess gemacht wird - also irgendwann nach Januar 2024 - könnte es sogar sein, dass sie wieder gesucht werden müssten, bestätigte das OLG dem hr.

Hessen bundesweit weit vorne bei U-Haft-Entlassungen

Das hessische Justizministerium bekräftigte am Montag, dass es in dem Fall keinerlei Einflussmöglichkeiten habe. "Auch mir ist eine Bewertung, ob die Kammer überlastet ist oder nicht, verwehrt. Jeder Versuch, auf die Kammer oder das Präsidium Einfluss zu nehmen, käme einem Verfassungsverstoß gleich", sagte Minister Roman Poseck (CDU). Nach Angaben des Ministeriums wurde das Landgericht in den vergangenen fünf Jahren mit 17 zusätzlichen Richterstellen ausgestattet.

Im vergangenen Jahr sind in Hessen 13 Verdächtige aus der Untersuchungshaft entlassen worden, weil ihre Verfahren zu lange gedauert haben. Das geht aus Zahlen des Deutschen Richterbundes hervor. Das ist ein deutlicher Anstieg im Vergleich zu den Vorjahren - 2021 und 2020 gab es jeweils nur zwei Fälle. Auch bundesweit liegt Hessen damit weit vorne: 2022 gab es nur in Bayern (15 Fälle) mehr vorzeitige Entlassungen aus der Untersuchungshaft.

U-Haft ist in Deutschland auf maximal sechs Monate angesetzt. In Ausnahmefällen kann sie noch verlängert werden - das aber in der Regel nur, wenn sich die Ermittlungen als besonders aufwändig erweisen. Die Entscheidung des OLG Frankfurt zum aktuellen Fall ist nicht anfechtbar.

SPD und AfD kritisieren "erschreckenden" Vorfall

Aus Sicht der SPD-Fraktion im Landtag steht der aktuelle Vorgang symbolisch für tiefgreifende strukturelle Probleme innerhalb der hessischen Justiz. "Dass diese mutmaßlichen Straftäter, die fast 100 Kilogramm Kokain aus Brasilien nach Deutschland geschmuggelt haben sollen, nun auf freien Fuß kommen, ist erschreckend und ein direktes Ergebnis der Überlastung unserer Gerichte", teilte der rechtspolitische Sprecher Gerald Kummer mit. Ihr Versprechen zur Stärkung der Justiz habe Schwarz-Grün zu keiner Zeit eingehalten.

Die AfD-Fraktion im Landtag bezeichnete die Freilassung der "mutmaßlichen Schwerverbrecher" als "Skandal". Wenn "schwerkriminelle Drogenschmuggler" wegen zu langer Verfahrensdauer aus der Untersuchungshaft freikämen, widerspreche "das dem Gerechtigkeitsempfinden unserer Bürger und zeugt von einem nicht hinnehmbaren Chaos in unserer Justiz", teilte der rechtspolitische Sprecher Gerhard Schenk mit. Das hessische Justizministerium würde die Verantwortung meiden und der Justiz nicht die nötigen Mittel an die Hand geben.

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