Beleidigungen und körperliche Gewalt Mehr Verfahren wegen Queerfeindlichkeit in Frankfurt

Die Zahl queerfeindlicher Strafverfahren in Frankfurt ist stark gestiegen. Was steckt dahinter: mehr Gewalt, mehr Anzeigen oder einfach mehr Aufmerksamkeit?

Menschen ziehen mit einer sehr großen Regenbogenfahne durch die Frankfurter Innenstadt.
Die queere Community in Frankfurt setzt sich seit Jahren für mehr Sichtbarkeit und Akzeptanz ein. (Symbolbild) Bild © picture-alliance/dpa (Archiv)

In Frankfurt gibt es immer mehr Ermittlungen wegen queerfeindlicher Straftaten. Im Jahr 2022 waren es noch 26 Verfahren, 2024 schon 88. Allein im ersten Quartal 2025 kamen 25 neue dazu. Die Fälle reichen von Beleidigungen bis hin zu körperlicher Gewalt. Das zeigen Zahlen der Staatsanwaltschaft Frankfurt, die sie dem hr auf Anfrage vorlegte.

Besser erfasst, besser sichtbar

Ein Grund für den Anstieg: Die Staatsanwaltschaft wertet queerfeindliche Straftaten heute anders aus als früher. Seit Ende 2023 gibt es dafür in Hessen eine eigene Statistik, die sogenannte Verfahrensklasse Q. Sie erfasst nicht nur Übergriffe wegen sexueller Orientierung, sondern auch wegen der geschlechtlichen Identität.

"Ich gehe davon aus, dass der Anstieg auch mit dieser neuen Verfahrensklasse zu tun hat", sagt Nils Lund, Beauftragter für queerfeindliche Straftaten bei der Frankfurter Staatsanwaltschaft. Die Staatsanwaltschaften seien sensibilisiert worden, solche Fälle besser zu erkennen. Das mache sich in den Zahlen bemerkbar.

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Weitere denkbare Gründe seien "die tatsächliche Zunahme queerfeindlicher Straftaten und eine größere Anzeigebereitschaft unter den Opfern queerfeindlicher Straftaten", sagt Lund.

Allerdings sagen die Zahlen zu den Ermittlungsverfahren nur bedingt aus, wie viele einzelne Taten tatsächlich passiert sind. Ein Ermittlungsverfahren kann mehrere Taten umfassen. Und manchmal taucht ein Vorfall erst Monate später in der Statistik auf.

Mehr Menschen zeigen queerfeindliche Taten an

Auch bei der Polizei Frankfurt sieht man eine Veränderung. 2023 wurden 45 queerfeindliche Straftaten registriert, 2024 waren es 56. Für das erste Quartal dieses Jahres liegen 14 Fälle vor. Ältere Vergleichszahlen gibt es nicht. Die Polizei hat erst ab 2023 angefangen, solche Vorfälle gezielt zu erfassen.

Auch Projekte wie die Polizeisprechstunde im Switchboard, einem Treffpunkt für queere Menschen in Frankfurt, sorgen dafür, dass sich mehr Betroffene trauen, Anzeige zu erstatten. Dort gibt es direkte Hilfe für Betroffene - oft auch für Menschen, die sich allein nicht zur Polizei trauen.

"Die Leute trauen sich mehr, selbst bei verbalen Sachen", sagt Carsten Gehrig von der Aidshilfe Frankfurt, die eng mit dem Switchboard zusammenarbeitet. "Nicht jede Attacke ist körperlich. Aber auch Worte können verletzen. Und das sollte man zeigen, auch der Polizei", findet Gehrig

Hotspots in Frankfurt

Nach Auskunft von Polizei und Aidshilfe passieren die meisten queerfeindlichen Vorfälle in Frankfurt in der Innenstadt, rund um Konstablerwache, Hauptwache und Hauptbahnhof. Dort kommt es besonders abends zu Pöbeleien oder Beleidigungen. Carsten Gehrig nennt die Gegend einen Hotspot für queerfeindliche Übergriffe.

Betroffen seien oft junge Menschen, zum Beispiel Jugendliche des Jugendzentrums Kuss41, das zur Aidshilfe gehört. Viele von ihnen erzählten, dass sie sich abends nur noch in Gruppen zur U- oder S-Bahn trauten, weil sie Angst vor Anfeindungen hätten.

"Gerade Jugendliche sind in einer Phase, in der sie sich ausprobieren, durch Kleidung, Sprache oder Verhalten. Wenn sie dann angefeindet werden, hinterlässt das Spuren", sagt Gehrig. In ruhigeren Vierteln wie dem Nordend oder Bornheim sei die Lage entspannter, berichtet Gehrig aus der Beratungspraxis.

Mehr Anzeigen, aber weniger körperliche Gewalt?

Obwohl die Zahl der gemeldeten Fälle steigt, wurden 2024 laut Polizei etwas weniger schwere Gewalttaten wie gefährliche Körperverletzung oder Raub registriert. Der Anstieg betreffe vor allem leichtere Delikte, etwa Beleidigungen oder Drohungen.

Dennoch bleibe queerfeindliche Gewalt ein Thema, das viele in der Community beschäftige - gerade, weil sie sich nicht immer in Form von Schlägen zeigt, sagt Gehrig. Auch verbale Attacken oder gezielte Einschüchterung hinterließen Spuren. Deshalb setze die Aidshilfe weiter auf Unterstützung, Aufklärung und Gewaltprävention.

"Wir versuchen, die Leute zu stärken", sagt Gehrig. Das passiere in Gesprächen oder mit Kursen, aber auch durch politische Forderungen nach mehr Schutzräumen und konsequenter Strafverfolgung. Seit 2010 gibt es Ansprechpersonen für LSBTIQ in allen hessischen Polizeipräsidien. Sichtbarkeit alleine reiche nicht, sagt Gehrig, aber sie sei ein erster, wichtiger Schritt.

Deutlicher Anstieg in Hessen

Die Zahl der in ganz Hessen polizeilich registrierten queerfeindlichen Straftaten ist deutlich gestiegen. Laut Innenministerium wurden im vorigen Jahr 135 solcher Taten registriert. Das seien 63 Prozent mehr als 2023. Erfasst wurden Übergriffe aufgrund sexueller Orientierung sowie geschlechtlicher Identität.

Innenminister Roman Poseck (CDU) spricht von einem "deutlichen Warnsignal" und betont: "Es darf nicht sein, dass Menschen aufgrund ihrer sexuellen Orientierung oder geschlechtlichen Identität Ziel von Hass, Hetze und Gewalt werden."

In mehreren Fällen sollen Täter queere Männer über Dating-Apps zu Treffen gelockt und sie anschließend überfallen haben, unter anderem vergangenes Jahr in Darmstadt und Anfang dieses Jahres im Main-Taunus-Kreis. Die Polizei geht von einem großen Dunkelfeld aus. Viele Betroffene zeigten solche Taten noch immer nicht an.

Quelle: hessenschau.de/Marlene App