Eine junge Frau mit dunklen Haaren steht in einem Gerichtssaal.

Sie klebte sich bei einem Klimaprotest in Frankfurt auf einer Straße fest - dafür ist die Aktivistin Carla Hinrichs in zweiter Instanz zu einer Bewährungsstrafe verurteilt worden. Dabei schrammte sie nur knapp an einer härteren Strafe vorbei, wie der Vorsitzende Richter betonte.

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Aktivistin der "Letzten Generation" zu Bewährungsstrafe verurteilt

Eine junge Frau mit einer Warnweste hat sich auf einer Straße festgeklebt.
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Die Sprecherin der Klimagruppe Letzte Generation, Carla Hinrichs, ist am Mittwoch in einem Berufungsprozess zu zwei Monaten Haft auf Bewährung verurteilt worden. Das Frankfurter Landgericht bestätigte damit ein Urteil des Amtsgerichts aus dem Mai 2023 und verwarf die Berufung der Angeklagten ebenso wie die der Staatsanwaltschaft.

So bleibt es für die Sprecherin der Gruppe Letzte Generation bei einer zweimonatigen Haftstrafe mit dreijähriger Bewährungsfrist. Damit habe Hinrichs "letztlich selbst in der Hand, ob sie ins Gefängnis muss oder nicht", sagte der Vorsitzende Richter Jochen Kirschbaum bei der Bekanntgabe des Urteils. Gegen die Entscheidung des Landgerichts kann Revision eingelegt werden.

Durchschlupf für die Feuerwehr

Hinrichs' Verteidiger Adrian Wedel hatte auf Freispruch plädiert. Nach seiner Überzeugung war nicht strafbar, was seine Mandantin am 12. April 2022 aus Gewissensnot getan habe: Die heute 26-Jährige hatte sich damals im Rahmen mehrerer Aktionen in Frankfurt zusammen mit anderen Aktivisten auf der Theodor-Heuss-Allee festgeklebt, um den Autoverkehr auf der großen Frankfurter Einfallstraße zu blockieren. Wie zuvor schon das Amtsgericht sah auch das Landgericht damit den Tatbestand der Nötigung erfüllt.

Eine Auffassung, die auch die Staatsanwaltschaft teilte. Allerdings fiel die Einordnung von Staatsanwältin Lea Boller beim Strafmaß milder aus als das spätere Urteil. Sie forderte eine Geldstrafe von 80 Tagessätzen à zehn Euro.

Gründe für die Nachsicht: Hinrichs ist noch nicht vorbestraft, die Aktivistengruppe ließ damals auf der Theodor-Heuss-Allee sogar eine Rettungsgasse frei, die von einem Einsatzfahrzeug der Feuerwehr genutzt wurde, und der Verkehr war ausweislich eines neu aufgetauchten Videos offenbar nur eine Dreiviertelstunde aufgehalten worden.

Rechtsstreit auf zwei Ebenen

Der lange Verhandlungstag im Saal I des Frankfurter Gerichtsgebäudes war nicht zuletzt ein Lehrbeispiel dafür, wie Menschen aneinander vorbeireden können. Wenn man so will, ist der Rechtsstreit auf zwei Ebenen geführt worden, die sich kaum berührt haben.

Die Strafkammer des Landgerichts befasste sich mit dem konkreten Vorwurf der Nötigung von Verkehrsteilnehmern bei der Protestaktion in Frankfurt - also damit, ob der Straftatbestand erfüllt war und, wenn ja, wie dieser zu sanktionieren ist.

Nötigung als Akt präventiver Notwehr?

Die Angeklagte und ihr Verteidiger argumentierten hingegen vorwiegend auf einer allgemeinen, viel umfassenderen Ebene. Aus ihrer Sicht sind Aktionen wie die im Frühling 2022 in Frankfurt nicht strafbar, weil es sich dabei angesichts der drohenden Folgen des Klimawandels quasi um präventive Akte der Notwehr handelt. Mit dem Ziel, die Gesellschaft aufzurütteln und die Politik zum Handeln zu bewegen.

Das sei "kein Verhalten, das durch dieses Gericht bestraft werden sollte", sagte Hinrichs im Berufungsverfahren, in dem sie sich immer wieder zu Wort meldete. Ihr Anwalt Adrian Wedel bekräftigte die gemeinsame Stoßrichtung gegen Ende des Verfahrens mit vier von fünf Beweisanträgen, die das Gericht später alle als nicht unmittelbar tatrelevant abwies.

Wedel zufolge handelte seine Mandantin aus Gewissensnot. Und gleich drei Paragrafen des Grundgesetzes hätten ihr Recht geschützt, sich ungestraft so zu verhalten wie in Frankfurt geschehen: die Gewissensfreiheit, die Versammlungsfreiheit und der Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen, mit dem der Staat auch seine Verantwortung für künftige Generationen anerkennt.

Kein Urteil über Grundsatzfragen

Der Vorsitzende der Strafkammer, Jochen Kirschbaum, machte in der Verhandlung aber deutlich, dass die Rechtsprechung nach seiner Überzeugung so nicht funktioniert. Es sei nicht Aufgabe der Kammer, die aufgeworfenen Grundsatzfragen zu entscheiden, stellte Kirschbaum bei der Begründung des Urteils klar.

Man habe die strafrechtliche Relevanz der Tat zu bewerten, nicht deren politische Ziele. Und die mildeste Form zur Abwendung künftigen Übels seien Klebeaktionen wie die im Frühjahr 2022 auf der Theodor-Heuss-Allee auch nicht: "Das mildere Mittel dafür ist, eine parlamentarische Mehrheit herzustellen."

Knapp am Gefängnis vorbei

Milde ließ letztlich aber auch die Strafkammer um Jochen Kirschbaum walten - beim Urteil. "Es wäre auch ein anderes Ergebnis möglich gewesen", betonte der Vorsitzende Richter. Und es war klar, was er damit meinte: Hinrichs, die sich nach der Straßenblockade in Frankfurt an weiteren Aktionen der Letzten Generation beteiligt und dazu aufgerufen hatte, war nur knapp daran vorbeigeschrammt, dass ihre Bewährung widerrufen wird.

In der Verhandlung hatte Kirschbaum mit viel Einfühlungsvermögen agiert. Er versuchte immer wieder, der einstigen Jura-Studentin Hinrichs Brücken zu bauen, um halbwegs unbeschadet aus dem Schlamassel herauszukommen. Zugleich ließ er durchblicken, dass die Frankfurter Verhandlung nicht im luftleeren Raum stattfand.

Denn gegen die in Bremen geborene und aufgewachsene Wahl-Berlinerin sind weitere Strafverfahren anhängig. Im vorigen Mai war ihre Wohnung durchsucht worden, weil die Generalstaatsanwaltschaft München dem Anfangsverdacht nachgeht, es handele sich bei der Letzten Generation um eine kriminelle Vereinigung. Zwei Gerichtsinstanzen haben die Razzien für rechtmäßig erklärt. Sie halten den Verdacht also für begründet.

Nicht mal bei Rot über die Ampel

Zu der jungen Frau, die im Saal I des Frankfurter Gerichtskomplexes ihre Sicht der Dinge darlegte, scheint das auf den ersten Blick nicht wirklich zu passen. Sie gehe "nicht mal bei Rot über die Ampel", sagte Hinrichs. Sie berichtete von erheblichen seelischen Belastungen durch die Gerichtsverfahren, wirkte an manchen Stellen mitgenommen und brach sogar in Tränen aus.

Dennoch will sie weiter versuchen, "Entscheidungsträger und Gesellschaft dazu zu bewegen, etwas zu ändern". Und in ihren Augen geht das eben nur mit Aktionen wie denen, die in den Apriltagen 2022 an mehreren Stellen den Straßenverkehr in Frankfurt gestört haben: "Ich habe keine andere Möglichkeit gesehen."

Das aber müsste sie in Zukunft, um eine Gefängnisstrafe zu vermeiden. Richter Kirschbaum brachte das am Mittwoch sehr deutlich zum Ausdruck.

Laut Hinrichs plant die Letzte Generation wegen der gravierenden juristischen Folgen erst einmal keine weiteren Klebe-Aktionen. Ob das in ihrem Fall zu spät kommt, werden die anderen Verfahren zeigen, denen sie sich noch stellen muss. "Ich habe Angst davor, ins Gefängnis zu müssen", sagte Hinrichs in Frankfurt. "Und ich weiß, ehrlich gesagt, auch nicht, was ich da soll."

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