Protest in Witzenhausen Aktivisten wollen die eine Brücke verhindern - und die andere bauen
In Witzenhausen soll eine neue Brücke über die Werra gebaut werden. Doch gegen die Pläne gibt es Widerstand: Gegner haben jetzt ein Protest-Camp am Ufer errichtet. Sie fordern das Aus für das Projekt.
Das Ufer der Werra in Witzenhausen (Werra-Meißner) wirkt einladend: Liegewiese, ein Sandhaufen mit Kinderspielzeug und ein Bauwagencafé mit Bänken und Sonnensegeln. Je besser das Wetter, desto mehr ist hier am Werra-Ufer los. Doch etwas ist neu – und fällt sofort ins Auge.
Aktivistinnen und Aktivisten ein Camp errichtet – mit mehreren kleinen Schlafzelten und einem großen Küchen- und Gemeinschaftszelt. Das Camp steht genau dort, wo die Verkehrsbehörde Hessen Mobil eine neue Brücke über den Fluss bauen will.
Die Bewohnerinnen und Bewohner des Camps protestieren seit Anfang Mai gegen das geplante Bauwerk. Denn sie fürchten, es könne einen wichtigen Naherholungsort zerstören. Eine Info-Wand zeigt Pläne mit dem Verlauf der Bundesstraße und der Brücke, dazu einen Verkehrslärm-Radius, der bis in die Innenstadt reicht.
Innenstadt-Brücke in schlechtem Zustand
Die sechs Meter hohe und 14 Meter breite Querung soll laut Hessen Mobil die historische Brücke in der Innenstadt entlasten. Die Innenstadt-Brücke müsste dringend saniert werden, aber eine Instandsetzung, die den Verkehrsansprüchen genügen würde, ist laut der Verkehrsbehörde nicht möglich.
Sie sei zu schmal für Autos, Fahrräder und Fußgänger zugleich. Der Stadtbus muss in den Gegenverkehr fahren, um sie zu passieren, Fahrzeuge ab zwölf Tonnen dürfen dort gar nicht mehr fahren. Deshalb müssen Lkw und Fahrzeuge, die schwerer sind, die Werra an anderer Stelle auf Höhe der Ortsteile überqueren.
Das wiederum belaste die Ortsteile Gertenbach oder Werleshausen, erklärte Bürgermeister Lukas Sittel (SPD): "Die Menschen, die unter dem Lkw-Verkehr leiden, sind derzeit mehr, als wenn in der Kernstadt die Brücke gebaut wird."
Hessen Mobil: Neue Brücke als sinnvollste Lösung
Die Aktivisten lehnen den Neubau dennoch ab, sie fürchten schwerwiegende Folgen für die Werrawiese als Lebens- und Erholungsraum. "Dieser Ort wäre dann nicht mehr so lebendig, wie er jetzt ist", sagt Camp-Bewohnerin Lenni, die ihren Nachnamen nicht nennen möchte.
Käme die neue Brücke wie geplant, brächte das noch mehr Lkw-Verkehr nach Witzenhausen, fürchten die Aktivisten - und ihre Furcht ist nicht unbegründet.
Der Brücken-Neubau führt laut Prognosen von Hessen Mobil tatsächlich zu mehr Verkehr in der Kernstadt — vor allem durch Lkw. Diese würden laut einem Sprecher des Landesbetriebs künftig voraussichtlich die neue Brücke nutzen, im Gegenzug würde der Verkehr in den Ortsteilen abnehmen.
Mit dem Nein zum Brücken-Neubau stehen die Menschen im Klima-Camp nicht allein da. Ein Großteil der Witzenhäuser sei gegen die geplante Lkw-Brücke, bestätigt auch Bürgermeister Sittel. Jedenfalls in der Kernstadt.
Initiative fordert Bau einer Brücke für Fuß- und Radverkehr
Statt Zeit und Energie in ein Verkehrsprojekt zu stecken, das unter Umständen noch mehr Lastwagen nach Witzenhausen locke, sollte sich die Stadt nach Ansicht der Verkehrsaktivisten lieber mit anderen Ideen befassen: Die Initiative Verkehrswende Witzenhausen, die auch am Camp beteiligt ist, fordert den Bau einer parallel zur historischen Brücke verlaufende Brücke nur für Radfahrer und Fußgänger.
Das würde nicht nur die vorhandene Brücke entlasten. Die Stadt würde somit auch zusätzliche Anreize schaffen, das Auto hin und wieder stehen zu lassen.
"Den Verkehr, den man sät, den erntet man auch", sagt ein Sprecher der Initiative. Nur wer die Infrastruktur für Rad- und Fußverkehr ausbaue, bringe Menschen tatsächlich dazu, Fahrrad zu fahren oder zu Fuß zu gehen.
Brücke, Bundesstraße, Ortsumgehung: Witzenhausen hat mehrere "Baustellen"
Die Stadt hat einen anderen Ansatz. Sie möchte den Verkehr möglichst um die Stadt herumleiten. Eine Möglichkeit dafür könnte sein, die vielbefahrene B451 aus dem Stadtzentrum zu verlegen.
Besonders der Schwerlastverkehr könne so aus der Innenstadt herausgehalten werden, hofft Bürgermeister Sittel. Dazu soll eine neue Umgehungsstraße gebaut werden, die südlich der Stadt entlangführt. Diese Maßnahme erhalte überwiegend Zustimmung aus der Witzenhäuser Bevölkerung.
Die Stadtverordneten haben im Juni 2024 einstimmig beschlossen, die Umverlegung der B451 beim Bundesministerium für Digitales und Verkehr als vordringlichen Bedarf einzustufen, um die Priorität des Projekts zu erhöhen. Allerdings wird der Bundesverkehrswegeplan laut Sittel erst in fünf Jahren neu gefasst. So lange müsse man in Witzenhausen definitiv noch warten, so der Rathauschef. Mit einem Baustart für die Umgehungsstraße rechnet er frühestens in zehn Jahren.
Brücken als "überörtliche Verbindungsfunktion"
Im ländlichen Raum seien Auto und Lkw nicht einfach wegzudenken, bestätigte Stefanie Bremer vom Fachbereich Integrierte Verkehrsplanung und Mobilitätsentwicklung der Universität Kassel. Ohne motorisierten Individualverkehr gebe es keine Teilhabe am Leben im ländlichen Raum in all seinen Facetten, so die Uni-Professorin. Brücken haben laut Bremer eine strategische Rolle und eine überörtliche Verbindungsfunktion – damals wie heute.
Diese unterschätze man im Alltag oft, so Bremer, "erst wenn sie zusammenbricht, merkt man, wie abhängig man von einem Ingenieurbauwerk sein kann". Wichtig sei jedoch, neue Brücken klüger zu bauen, um sie besser ins Orts- oder Landschaftsbild zu integrieren und Radverkehr sowie neue Mobilitätsformen einzubinden.
Situation an historischer Brücke schon lange "Riesenproblem"
Den Wunsch nach einer Lösung für den Fuß- und Radverkehr kann Sittel deshalb verstehen. Die Stadt Witzenhausen von Nord nach Süd zu durchqueren sei schon seit fast 100 Jahren "ein Riesenproblem". Bisher waren die Pläne für den Bau einer neuen Brücke immer wieder gescheitert – an der zu dichten Bebauung, an Vorgaben zur Barrierefreiheit oder dem Denkmalschutz.
Man sei mit allen Ämtern im Austausch, um eine Möglichkeit zu finden, so Sittel. Ob die neue Brücke bis dahin stehen wird, ist noch unklar. Aktuell ist laut Hessen Mobil der Vorentwurf in Arbeit, danach werde weiter geplant. Erst dann kommt es zum Planfeststellungsverfahren durch das Regierungspräsidium Kassel.
Lenni und die anderen aus dem Camp wollen auf jeden Fall den ganzen Sommer über bleiben. Ihren Protest haben sie bis zum Dezember angemeldet. Sie hoffen, dass sie so genug Menschen für das Thema sensibilisieren und die Stadt auf die Lösungsansätze eingehe, so die junge Frau. "Damit die Werrawiese so erhalten bleibt und nicht einer wahnsinnigen Verkehrsführung zum Opfer fällt."