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Schnellere Hilfe dank „Emergency Eye“

hs 22.08.2023

Bei einem Unfall ist es wichtig, dass die Rettungskräfte schnell über alles im Bilde sind - und das im Wortsinne. Im Odenwaldkreis kommt nun ein System zum Einsatz, das sich die Handykameras von Ersthelfern zunutze macht. Doch es kann noch mehr.

Auf einer Straße in einem Waldstück entdeckt ein Autofahrer ein verunglücktes Fahrzeug. Er steigt aus, findet eine bewusstlose Frau und ruft die Notrufnummer 112. Wo genau er sich befindet, kann er nicht sagen, auch Art und Schwere der Verletzungen kann er nicht einschätzen.

Im Odenwaldkreis soll in solchen und ähnlichen Fällen künftig eine Software den Rettungskräften wertvolle Dienste leisten. Sie ermöglicht ihnen über das Handy des Anrufers die exakte Ortung sowie Zugriff auf dessen Kamera, um die Lage vor Ort möglichst gut einzuschätzen, optimale Rettungsmaßnahmen einzuleiten oder gegebenfalls Erste-Hilfe-Anweisungen zu geben.

Keine App nötig

Emergency Eye – also Notfallauge - nennt sich das System, das vom rheinländischen Familienunternehmen Corevas entwickelt wurde. Ein schwerer Motorradunfall seiner Eltern brachte den Juniormanagement-Studenten Viktor Huhle 2015 auf die Idee. Nach der Genesung seiner Eltern brachte er das Produkt mit deren Unterstützung auf den Weg. Emergency Eye ist heute das Hauptprodukt der Firma.

Zwar habe es Videotelefonie und Ortungsprogramme schon früher gegeben, räumt Huhle ein. Um Emergency Eye nutzen zu können, bedarf es aber keiner App. Einzig nötig sind ein Smartphone und eine stabile Internetverbindung. Hat man über die Notrufnummer 112 die Rettungsleitstelle erreicht, sendet diese eine SMS mit einem Link. Der Browser des Handys stellt über diesen Link dann die Verbindung her.

Anrufer muss Zugriff gestatten

Jeder Zugriff durch die Leitstelle muss vom Besitzer des Handys bestätigt werden, um dem Datenschutz genüge zu tun. Nicht nur bei Unfällen, auch bei Wald- und Flurbränden gestatten die Videobilder, die laut Huhle ohne zeitliche Verzögerung übertragen werden, eine gute Einschätzung der Lage vor Ort. Zudem ermöglicht eine selbstübersetzende Chatfunktion die Kommunikation in unterschiedlichen Sprachen.

Ist die Verbindung einmal hergestellt, sind die Geräte der Leitstelle und des Anrufers "end to end", also direkt miteinander verbunden. "Wir stellen über unseren Server lediglich den Handshake her", sagt Huhle. Für die Dienstleistung zahlt der Kreis für einen bestimmten Zeitraum einen Festpreis, der sich nach der Einwohnerzahl richtet.

Überschaubare Kosten

Der Kreisbrandinspektor des Odenwaldkreises, Horst Friedrich, gibt diesen mit 3 Cent plus Mehrtwertsteuer pro Jahr an. Bei rund 100.000 Einwohnern würde das System den Kreis jährlich also eine mittlere vierstellige Summe kosten. Eine Investition, die sich lohnt, findet Friedrich. "Ich kann hier für die Notfallhilfe einen Mehrwert generieren, der in einem ordentlichen Verhältnis zu den Kosten steht."

Denn gerade in ländlichen und waldreichen Gebieten, wie der Odenwaldkreis eines ist, könnte sich das Ortungssystem als besonders nützlich erweisen. "Hier sind auch viele Lkw-Fahrer unterwegs, die der deutschen Sprache nicht so mächtig sind", sagt Friedrich. Sowohl die Bildübertragung als auch die Übersetzungsfunktion tragen wesentlich zu einer verbesserten Kommunikation bei.

Digitalisierung des Katastrophenschutzes

Das Ganze ist Teil des Projekts "Katastrophenschutz goes digital", mit dem der Odenwaldkreis den Bevölkerungsschutz mithilfe digitaler Technik verbessern will und das unter anderem ein Frühwarnsystem umfasst. Vom Ministerium für Digitale Strategie und Entwicklung des Landes Hessen gab es dafür im Mai einen Förderbescheid in Höhe von 2,25 Millionen Euro.

Noch befindet sich das System im Odenwaldkreis in der Testphase. Wie sich Emergency Eye dort in der Praxis bewährt, werde sich in den nächsten Wochen und Monaten zeigen, sagt Friedrich. "Wir sehen aber durchaus schon einige Vorteile." Auch Erfahrungsberichte aus anderen Kommunen würden das bestätigen.

Erster Kreis in Südhessen

Denn in einigen Kreisen in Mittel- und Osthessen wird das System bereits verwendet, so etwa im Kreis Hersfeld-Rotenburg, im Kreis Gießen, aber auch im Lahn-Dill-Kreis. Dort habe es sich beispielsweise schon auf dem Rothaarsteig und dem Lahnradweg bewährt, teilt der Kreis auf Anfrage mit. Die Übersetzungsfunktion sei besonders praktisch, weil sie helfe, Zeitverluste durch Sprachbarrieren zu vermeiden.

Der Odenwaldkreis ist die erste Kommune in Südhessen, die Emergency Eye einsetzen will. Wenn dort also künftig jemand seine Handykamera auf eine Unfallstelle richtet, so muss es nicht unbedingt ein Gaffer sein. Vielleicht leistet diese Person als "Notfallauge" gerade wichtige Hilfe.

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