Sexualisierte Gewalt an Waldorfschule Vergewaltigungs-Prozess gegen Ex-Pfarrer lässt auf sich warten

Vor Jahren soll ein Pfarrer einer freikirchlichen Gemeinschaft an der Waldorfschule in Frankfurt eine Schülerin vergewaltigt haben. Bis heute ist dem nun 64-Jährigen noch nicht der Prozess gemacht worden. Und das, obwohl sich die Justiz große Mühe gibt.

Ein Kreuz im Vordergrund, eine Bibel im Hintergrund
Einem Ex-Pfarrer soll wegen sexualisierter Gewalt der Prozess gemacht werden – wann es zum Urteil kommt, ist noch unklar Bild © picture-alliance/dpa (Archiv)
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Es geschah am Rande des Konfirmandenunterrichts und nach einer Religionsstunde an der Frankfurter Waldorfschule in den Jahren 2009 und 2010. Ein Mal soll der heute 64 Jahre alte Ex-Pfarrer sein damals 14 beziehungsweise 16 Jahre altes Opfer nach hr-Informationen vergewaltigt, ein weiteres Mal sexuell genötigt haben.

Zehn Jahre lang währte das Schweigen, bis die mittlerweile erwachsene Frau 2020 Strafanzeige erstattete. 2022 erhob die Frankfurter Staatsanwaltschaft Anklage. Ein Urteil aber lässt weiter auf sich warten.

Angeklagter bedroht Anwältin

Mangelnden Willen kann man der Justiz dabei nicht vorwerfen. Nachdem der Fall aufgrund der Schwere der Tat vom Amts- ans Landgericht verwiesen wurde, wurde schon zweimal mit einem Prozess begonnen.

Beim ersten Versuch im Juni 2023 kam es zu einem Eklat im Gerichtssaal. Die Verteidigung des mutmaßlichen Vergewaltigers stellte einen Befangenheitsantrag. Als die Opfer-Anwältin Nina Jüttner dazu Stellung nahm, nuschelte der Angeklagte eine Drohung vor sich hin: "Ich hole gleich ein Messer raus und schneide ihr die Kehle auf", so beschreibt es die Göttinger Juristin dem hr.

Auch die Vorsitzende Richterin bekam die verbale Entgleisung mit. Die Staatsanwaltschaft leitete daraufhin ein Ermittlungsverfahren wegen Bedrohung ein. Im September erging schließlich ein Strafbefehl über 90 Tagessätze, der inzwischen rechtskräftig geworden ist – bis heute ist das die einzige juristische Konsequenz für den ehemaligen Geistlichen.

Angeklagter meldet sich krank

Denn bereits kurz nach dem Eklat und der Vernehmung erster Zeuginnen musste der Prozess abgebrochen werden. Der Angeklagte meldete sich krank, musste ins Krankenhaus und wurde schließlich verhandlungsunfähig. Ein halbes Jahr später begann der zweite Anlauf im Prozess um die mutmaßlichen Vergewaltigungen. Doch erneut führte der ehemalige Pfarrer an, er sei verhandlungsunfähig - ein amtsärztliches Attest soll dies bestätigen.

Zudem fiel die Verteidigerin des Angeklagten aus gesundheitlichen Gründen aus. Das Gericht stellte dem Mann zwar sofort einen anderen Verteidiger zur Seite, doch dieser reklamierte, dass er sich erst einmal in das Verfahren einarbeiten müsse. Wann es mit dem Prozess weitergeht, steht noch nicht fest.

Erste Vorwürfe bereits 2012

Schon der Weg zum Prozess war lang: In der "Christengemeinschaft International" waren ähnliche Vorwürfe bereits seit mehr als einem Jahrzehnt bekannt. Der Angeklagte war bei der freikirchlichen Gemeinschaft tätig.

2012 hatte sich eine junge Frau einem Pfarrer der Gemeinde anvertraut und von sexualisierter Gewalt durch den Angeklagten berichtet. Allerdings habe sie darauf beharrt, dass weder die Gemeinde noch die Schule und erst recht nicht der beschuldigte Pfarrer davon erfahren, erklärt Johannes Roth, der Sprecher der Christengemeinschaft. "Wir mussten aber trotzdem dafür sorgen, dass er nicht mehr als Pfarrer tätig ist", so Roth. Aufgrund eines anderen Konflikts wurde der Angeklagte zunächst suspendiert.

Kirche informiert in Gemeindebrief über Vorwürfe

Zwei Jahre später erklärte sich die betroffene Frau dann bereit, die Vorwürfe innerhalb der Gemeinde anonymisiert zu veröffentlichen. Daraufhin trennten sich die Kirche und der Pfarrer endgültig. Im Sommer 2023, nachdem sich die zweite Frau offenbart und die Staatsanwaltschaft Frankfurt Anklage gegen den früheren Pfarrer erhoben hatte, informierte die Kirche in einem Gemeindebrief über die Vorwürfe.

In dem Schreiben, das dem hr vorliegt, hieß es: "Wir können leider aufgrund der berichteten Tatmuster nicht ausschließen, dass es weitere Betroffene geben könnte als bislang bekannt." Der deutsche Dachverband der Christengemeinschaft hat eine zentrale Anlaufstelle für Missbrauchsfragen. 

Weder Schule noch Gemeinde erstatteten Anzeige

An der Freien Waldorfschule, an der die Christengemeinschaft Religionsunterricht anbietet, gab es dagegen keine Information an die Eltern. Thomas Janson von der Schulleitung sagt, die Gemeinde habe mit Beginn der Sommerferien 2014 lediglich mitgeteilt, dass der Pfarrer von allen Aufgaben entbunden worden sei. Die Vorwürfe seien dabei nicht genannt worden. 2012 und in den folgenden Jahren habe es lediglich Gerüchte gegeben.

Janson betont, dass die Frankfurter Waldorfschule schon sehr früh ein Kinderschutzkonzept hatte und vor 2014 einen Code of Conduct, einen Verhaltenskodex, erarbeitet habe.

Anzeige erstatteten indes weder die Christengemeinschaft noch die Schule. Die Kirche beruft sich auf das Spannungsfeld zwischen seelsorgerischer Verschwiegenheitspflicht und der Fürsorge für ihre Mitglieder. Die Schule verweist darauf, dass sie nichts Konkretes gewusst habe.

Gericht will neues Gutachten

Die Vermutung, dass es weitere Betroffene geben könnte, ist alles andere als unbegründet. Nach hr-Informationen hat es bereits in der Vergangenheit Vorwürfe und zwei Strafverfahren gegen den damaligen Priester gegeben. Dabei ging es um Übergriffe aus den Jahren 1993 bis 2013. Beide Verfahren wurden allerdings eingestellt, aus Mangel an Beweisen.

Im aktuellen Verfahren lässt die Frankfurter Justiz allerdings nicht locker. Das Gericht hat laut einer Sprecherin nun einen Sachverständigen beauftragt, der die Verhandlungsfähigkeit des Angeklagten begutachten soll. Das vorgelegte amtsärztliche Attest des 64-Jährigen reicht nicht aus. Das Ergebnis des Gutachtens steht noch aus - und damit auch ein neuer Prozesstermin.  

Weitere Informationen

Redaktion: Bernhard Böth, Danijel Majić

Sendung: hr-iNFO, 15.04.2024, 15 Uhr

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Quelle: hessenschau.de