Collage eines Fotos von einem Gummibärchen, welches von einer Explosion in Stücke gerissen wird

Nach Geldautomaten werden jetzt auch Süßigkeitenautomaten gesprengt? "War was?" findet: Die Täter trifft eigentlich keine Schuld.

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Automaten-Sprenger erbeuten Schokolade

Schokolade
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Hessen, das Bundesland, in dem immer was los ist. An dieser Stelle wirft unser Kolumnist Stephan Reich mit seiner Glosse "War was?" jeden Freitag einen ganz eigenen Blick auf die Nachricht der Woche. Nehmen Sie diesen Blick bitte keinesfalls ernst.

Vor einigen Tagen hatte ich ein längeres, sehr deprimierendes Gespräch mit einem guten Freund. Wir saßen mit bedröppelten Mienen vor einem Teller in Honig schwimmendem Baklava, an Bauch und Hüfte merkte ich meine Speckröllchen in Wallung, als wäre mein Torso eine Art fleischige Lavalampe, und sprachen über die Grenzen der Selbstdisziplin. Während wir darüber nachdachten, noch einen Teller zu bestellen.

Es ist nämlich leider so: In Sachen Süßigkeiten kenne ich keinerlei Zurückhaltung, ich bin quasi zuckersüchtig. Mein Sternzeichen ist Naschkatze, im Aszendenten Gummibär. Wenn andere Menschen einen süßen Zahn haben, habe ich ein ganzes Stefan-Raab-Gebiss von süßen Zähnen. Für Schoko Crossies bin ich das, was ein Schwarzes Loch für Materie ist. Und eines Tages, wenn ich alt und gebrechlich bin, möchte ich gerne friedlich mit dem Gesicht in einem Schokobrunnen ertrinken. Ich halte das angesichts meines Lebensstils auch nicht für unwahrscheinlich.

Schaden von 20.000 Euro

An dieser Stelle sollte ich darauf hinweisen, dass ich für die Nacht auf Sonntag ein wasserfestes Alibi habe. Da wurde nämlich in Stadtallendorf ein Süßwarenautomat in die Luft gejagt. Man kennt das Muster von den ständigen Geldautomatensprengungen: Die Täter führten laut Polizei einen explosiven Stoff in den Automaten ein, dann ein lauter Knall und die Diebe entkamen mit ihrer Beute. Die in diesem Falle eben kein Geld, sondern Schokolade und Gummibärchen war.

Der Schaden beträgt 20.000 Euro, allerdings Materialkosten, nicht Süßwarenkosten, die freilich sehr viel weniger Geld wert gewesen sein dürften. Was für ein absurdes Verbrechen: Einen halben Laden in die Luft jagen für ein paar Schokoriegel. Das macht man natürlich nicht. Aber wenn ich ehrlich bin, dachte ich irgendwo ganz hinten in meinem Hirn, da wo auch immer dieser lästige Speichelreflex ausgelöst wird, wenn ich mich im Supermarkt den Kinderriegeln nähere, ganz still und leise: Mjam!

"Schmeckt leicht. Belastet nicht. Ideal für zwischendurch"

Denn wer verstünde die Süßspeisen-Kriminellen besser als ich? Als ich mit meinem Freund sprach, Baklava zwischen den Zähnen und ein kolossales Sodbrennen im Anmarsch, ging es viel um den tatsächlichen Suchtfaktor von Süßkram. Zucker wirkt ja erwiesenermaßen auf das Belohnungssystem des Gehirns und sorgt dafür, dass mehr Dopamin ausgeschüttet wird.

Und in diese Sucht wird man als Kind auch noch mit lächerlichen Werbe-Taschenspielertricks getrieben: Milchschnitte: "Schmeckt leicht. Belastet nicht. Ideal für zwischendurch". Nimm 2: "Vitamine und Naschen". Snickers: "Die gesunde Hand voll Erdnüsse". Fruchtzwerge: "So wertvoll wie ein kleines Steak".

Staubsauger für Süßkram

Glaubt man der Werbung meiner Kindheit, ist der Konsum von Schnuckzeug eine Art Jungbrunnen, in diesem Irrglauben bin ich großgeworden. Zuletzt las ich, dass Kinder im Schnitt 27-mal pro Tag mit Junkfood-Werbung konfrontiert sind. Eine Milchschnitte besteht übrigens zu 60 Prozent aus Zucker und Fett, sie belastet also wahrscheinlich schon, ideal für Zwischendurch finde ich sie aber dennoch, sogar für das Zwischendurch zwischen zwei anderen Zwischendurchs. Was "So wertvoll wie ein kleines Steak" heißen soll, weiß ich indes aber nicht.

Vielleicht mache ich es mir zu einfach und schiebe meine mangelnde Selbstdisziplin auf eine Gesellschaft, in der Kinder irreleitenden Werbebotschaften schutzlos ausgeliefert sind. Und tatsächlich ist ja nicht jeder Mensch eine Art Vorwerk-Staubsauger für Süßkram geworden, so wie ich. Zuletzt las ich auch, dass es genetische Gründe haben könne, ob man eine Naschkatze ist oder nicht.

Es ist also eine nicht so einfache Gemengelage. Ich werde darüber nachdenken, bei einem nicht aus einem Automaten herausgesprengten Schokoriegel. Mein Kumpel hat, so weit ich weiß, übrigens kein Alibi. Aber das nur so am Rande.

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