Voller Haus bei der Regionalkonferenz der CDU in Mainz.

Die Bundes-CDU arbeitet an ihrem neuen Grundsatzprogramm und wirbt dafür auch im Rhein-Main-Gebiet für Zustimmung. Auf der ersten Regionalkonferenz in Mainz gab es viel Applaus für ein Konzept, das einen schärferen Migrationskurs fordert. Draußen wurde demonstriert.

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Merz ruft CDU zur Verteidigung der Freiheit auf

Demonstranten mit Merkel-Masken vor der Rheingoldhalle.
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Die CDU ist auf der Suche nach einer neuen "Erkennungsmelodie". Am Dienstagabend in der Mainzer Rheingoldhalle klingt das wie eine Mischung aus rhythmischem Klatschen, deutscher Nationalhymne und Avicii's Hit 'Levels'. "Oh Sometimes, I get a good feeling that I never had before", heißt es da: Manchmal bekomme ich ein gutes Gefühl, das ich so vorher nie hatte. Es passt zur Stimmung, die die CDU an diesem Abend verbreiten will: Zuversicht, Freiheit, Aufbruch.

Die Christdemokraten sind auf Deutschlandtour. Es geht um nicht weniger als eine Kursfindung der Partei. Seit Mai 2022 arbeitet die CDU am vierten Grundsatzprogramm seit ihrer Gründung. Das letzte Update gab es 2007 - eigentlich war schon für 2020 ein neues Programm geplant, doch die Corona-Pandemie machte dem einen Strich durch die Rechnung.

Das Resultat mehrerer Fachgruppen, Konferenzen und Mitgliederbefragungen ist ein 70 Seiten starker Entwurf, der nun auf insgesamt sechs Regionalkonferenzen der Parteibasis schmackhaft gemacht werden soll, bevor der Parteitag im Mai offiziell sein Ja gibt.

Abkehr von der Merkel-Ära

Mainz ist die erste Station dieser Vergewisserungstour und die einzige im Rhein-Main-Gebiet. Rund 1.000 CDU-Mitglieder haben sich angemeldet. Der Saal ist rappelvoll, die Luft zeitweise etwas stickig, die Stimmung dafür aber umso ausgelassener. Einer der Besucher in Mainz ist Lukas Brandscheid aus dem Rheingau-Taunus-Kreis. Seit zehn Jahren engagiert sich der 25-Jährige für die Junge Union.

Den Entwurf für das neue Grundsatzprogramm findet er richtig gut. "Die CDU hat schon immer einen Markenkern, der ist christlich, sozial, liberal und konservativ", so Brandscheid. Diese Begriffe müsse man auf die aktuellen Fragen der Zeit beziehen. "Wir haben mit Angela Merkel sehr lange Zeit regiert und hatten da immer auch Muster, die relativ eingefahren waren."

So wie er sehen das wohl viele in der CDU, denn schaut man sich das geplante neue Grundsatzprogramm an, ist mit der Ära Merkel endgültig Schluss. Die Christdemokraten geben sich wieder einen deutlich konservativeren Anstrich, insbesondere in der Migrationspolitik.

Es ist das Thema, das auch die Gäste in der Rheingoldhalle am meisten beschäftigt, wie eine kurzerhand erstellte Wortwolke schwarz auf weiß belegt. Eine Rednerin aus Frankenthal in Rheinland-Pfalz erzählt, es sei Zeit, sich um das Thema zu kümmern, weil alles sonst aus dem Ruder zu laufen drohe.

Vor der Rheingoldhalle wurde demonstriert.

Viel Zuspruch für schärfere Migrationspolitik

"Es geht um das Ende des Missbrauchs des Asylrechts", mahnt auch der Bundestagsabgeordnete Philipp Amthor auf der Bühne. Lauter Applaus übertönt weite Teile seiner Antwort. Der Grund: Die CDU plant künftig Asylverfahren außerhalb der EU und hat damit eine Abkehr vom geltenden Dublin-Verfahren im Sinn.

Demnach sollen Asylsuchende nicht mehr in dem EU-Land ihren Asylantrag stellen, in dem sie ankommen, stattdessen sollen sie in so genannte sichere Drittstaaten gebracht werden, dort ihre Verfahren bekommen und im Idealfall auch dort bleiben. Innerhalb Europas würde dann lediglich eine "Koalition der Willigen" Geflüchtete bis zu einer gewissen Obergrenze aufnehmen. Heißt im Umkehrschluss: Wer nicht will, muss auch nicht.

Diese härtere Gangart kommt in der Mainzer Rheingoldhalle gut an. Widerspruch hört man keinen. Draußen vor der Tür hingegen regt sich Protest - dazu aufgerufen haben die Landesflüchtlingsräte aus Hessen und Rheinland-Pfalz. Sie bezeichnen die Pläne der CDU als Abschaffung des individuellen Asylrechts.

Auf einem Flyer appellieren die Protestierenden an das C im Parteinamen: Deutschland würde sich einer "Verpflichtung entledigen, die unmittelbar aus dem christlichen Menschenbild abzuleiten ist". Auf Protestplakaten steht "Hier liegt das Asylrecht begraben von der CDU" oder "Du sollst nicht von der AfD abschreiben".

Die Renaissance der Leitkultur

In der Halle will man sich nicht in die rechtsextreme Ecke stellen lassen. Es gehe stattdessen um ein Gegenkonzept zur Ampel in Berlin, sagt Parteichef Friedrich Merz. "Wir beanspruchen wieder die Führung des Landes" - Sätze wie diese sind Balsam für die Seelen der stolzen CDU-Mitglieder. Auch dass das Grundsatzprogramm dem umstrittenen Begriff "Leitkultur" eine Renaissance verschafft, ist wie Musik in den Ohren von Friedrich Merz.

Schon vor 20 Jahren versuchte er, den Begriff zu prägen, scheiterte aber am Widerstand liberalerer Stimmen innerhalb der Partei, unter anderem der von Angela Merkel. Jetzt wird die "Leitkultur" im neuen Programm als Basis allen Handelns stilisiert. "Ohne Gemeinsamkeit erträgt eine Gesellschaft keine Vielfalt", konstatiert Merz. "Diese Gesellschaft braucht ein kulturelles Minimum, über das Grundgesetz hinaus." Wieder tosender Applaus.

Auch Lorz und Stolz im Publikum

Im Publikum sitzen auch Landespolitiker aus Hessen, wie Finanzminister Alexander Lorz und Familienministerin Diana Stolz. Hessens Ministerpräsident Boris Rhein aber ist nicht da. Auf Nachfrage heißt es, der Grund sei eine Terminkollision. Es ist aber auch kein Geheimnis, dass das Verhältnis zwischen Landes- und Bundeschef nicht das engste ist.

Anders ist das bei der CDU-Fraktionsvorsitzenden Ines Claus, die nach BILD-Informationen "Merz zum Kanzler machen" und beim Parteitag im Mai nach dem freien Bundesvize-Posten greifen möchte. Am Dienstagabend hält sie sich auf hr-Nachfrage bedeckt und möchte die Spekulationen nicht kommentieren.

Leistungsprinzip statt Work-Life-Balance

Am neuen Grundsatzprogramm hatte Claus aber bereits an prominenter Stelle mitgefeilt, als Leiterin einer der elf Fachkommissionen. In der Rheingoldhalle in Mainz sitzt sie mit auf dem Podium und greift eine Wortmeldung aus dem Publikum zu Angriffen auf die Polizei und Ehrenamtliche dankend auf. "Unsere Polizei braucht Respekt", so Claus.

"Eine Hand, die hilft, die schlägt man nicht." Die CDU setzt in ihrem Entwurf unter anderem auf starke Sicherheitsbehörden, aber auch auf ein verpflichtendes Gesellschaftsjahr für Schulabgänger und ein Renteneintrittsalter, das sich an die Lebenserwartung der Menschen anpasst. Durchaus gewagt für eine Partei, die stark überaltert ist und eigentlich jüngere Zielgruppen ansprechen will.

Auch von Work-Life-Balance und 4-Tage-Woche hält März nicht viel. "Es gibt keinen anstrengungslosen Wohlstand", so das Urteil des Parteichefs. Auch wenn das nicht jedem gefalle, müsse man sich fragen, wovon man leben wolle. Dazu passt auch die Passage im Grundsatzprogramm, die das Prinzip Leistung unterstreicht: Wer viel arbeitet, soll belohnt werden. Wer Arbeit verweigert, dem drohen Sanktionen.

Wenig Kritik an Merz

Am Ende der ersten Regionalkonferenz dürfen die CDU-Mitglieder noch selbst ans Mikrofon und ihre Meinung zum Grundsatzprogramm kundtun. Es gibt Wünsche zur Frauenquote, zum Bürokratieabbau und zum Bürgergeld. Viel Selbstbestätigung statt Grundsatzkritik am Grundsatzprogramm.

Einer wagt sich allerdings, Friedrich Merz für die ablehnende Haltung der Union zur Cannabis-Legalisierung zu kritisieren. Wenn die CDU für Freiheit und gegen Verbote sei, müsse man auch Cannabis erlauben, so der bekennende Pfälzer. Es gibt keinen Applaus im Saal, stattdessen mitleidiges Gelächter. Auch das gehört an diesem Abend zur Erkennungsmelodie der CDU.

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