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Innenministerium prüft umstrittenen politischen Status der Polizeipräsidenten

Eine Person ist nur als Schatten zu erkennen, im Hintergrund ein Wappen der Polizei.

Die Chefs der hessischen Polizeipräsidien kämpfen neben dem Verbrechen auch mit der Sorge, bei der Regierung einmal in Ungnade zu fallen. Denn sie sind politische Beamte, die man durch Zwangspensionierung loswerden kann. Ein Urteil stellt diese Abhängigkeit in Frage.

Es kam doch noch zu einem Rücktritt, als im Sommer 2020 die Affäre um rechtsextreme "NSU 2.0"-Drohschreiben und mögliche Verstrickungen von Polizisten auf dem Höhepunkt war. Anders als von der Opposition gefordert, ging nicht der damalige Innenminister Peter Beuth (CDU).

Er verordnete seinem Landespolizeichef Udo Münch den einstweiligen Ruhestand. Eine Ruckzuck-Lösung, die Kritiker ein Bauernopfer nannten – und die das hessische Beamtengesetz deckt. Nicht einmal eine Begründung ist bei solchen Rauswürfen nötig.

Denn von wegen, Polizeiarbeit müsse frei von politischem Einfluss sein. Noch eine Hierarchie-Stufe tiefer sind laut Gesetz sogar die Chefs der hessischen Polizeipräsidien als politische Beamte dem unmittelbar strafenden Zugriff des Innenministers ausgesetzt. Diese ohnehin umstrittene Regelung wackelt plötzlich kräftig.

Hessen und die Kölner Silvesternacht

Der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts hat gerade entschieden: Es ist grundgesetzwidrig, dass Polizeipräsidenten so drastische Folgen wie die Zwangspensionierung für den Fall befürchten müssen, dass sie bei der Landesregierung in Ungnade fallen.

Der Beschluss erging im Fall einer personellen Konsequenz aus der Kölner Silvesternacht von 2015. Hunderte von sexuellen Übergriffen und Diebstählen hatten damals eine erregte bundesweite Debatte über Kriminalität von Asylbewerbern, den Polizeieinsatz und die Informationspolitik ausgelöst. Der zuständige Polizeipräsident wurde in den Ruhestand geschickt.

Der Job war wie der seiner hessischen Kollegen in Kassel, Gießen, Wiesbaden oder Frankfurt als politisch etikettiert. Dafür, dass ein NRW-Polizeipräsident irgendwie politische Arbeit verrichte, fanden die Karlsruher Richter aber keinen Hinweis. Warum sollte es in Hessen anders sein? Innenminister Roman Poseck (CDU) antwortete auf eine hr-Anfrage: "Wir nehmen den Beschluss des Verfassungsgerichts sehr ernst."

Paragraph 7 und die Folgen

Die Entscheidung aus Karlsruhe, die kurz vor Pfingsten veröffentlicht wurde, wird demnach in Wiesbaden gerade auf ihre möglichen Folgen geprüft. Eine Änderung des Paragraphen 7 des hessischen Beamtengesetzes, der die Posten der politischen Beamten des Landes festgelegt, fordern Gegner seit Jahren.

Staatssekretäre, Regierungspräsidenten, die Chefs von Verfassungsschutz, Landeskriminalamt (LKA) und Landespolizei sowie eben die Polizeipräsidenten werden dort genannt. Sie alle können ohne Begründung in den einstweiligen Ruhestand versetzt werden.

Gewerkschaft: Polizeipräsidenten brauchen Unabhängigkeit

Nicht nur Jens Morherr, Vorsitzender der Gewerkschaft der Polizei (GdP), wiederholt nun seine alte Position: "Polizeipräsidenten brauchen Unabhängigkeit." Machten sie gravierende Fehler, könne man sie auch ohne politischen Status zur Verantwortung ziehen.

"Das muss die Landesregierung nun ändern“, glaubt auch Moritz Promny, innenpolitischer Sprecher der FDP-Landtagsfraktion. "Beamte müssen dem Wohl des Staates verpflichtet sein, nicht dem Wohl wechselnder Regierungen", sagt Sandra Weegels, AfD-Landtagsabgeordnete und ausgebildete Polizistin.

Lebenszeitprinzip als Schutz

Die Entpolitisierung aller Polizeiposten verlangte der Wetzlarer Linken-Politiker Hermann Schaus schon vor Jahren, als er und seine Partei noch im Landtag waren. Er gibt zu bedenken: Wenn sie in den einstweiligen Ruhestand versetzt werden, drohe den betroffenen Polizeibeamten ja nicht zuletzt auch Einkommensverlust. "So entsteht vorauseilender Gehorsam, um nicht in Ungnade zu fallen", sagt Schaus.

Weil ihm Letzteres geschah, klagte der Ex-Polizeichef von Köln gegen seinen Rauswurf. Dass dies Unrecht war, begründete das Bundesverfassungsgericht mit dem in Artikel 33 des Grundgesetzes geschützten Prinzip der Verbeamtung auf Lebenszeit "in der Ausprägung der grundsätzlichen Unentziehbarkeit des statusrechtlichen Amtes".

Dieses Lebenszeitprinzip hätte demnach zum Nachteil von Polizeipräsidenten nicht ausgehebelt werden dürfen, indem man sie zu politischen Beamten erklärt, die man jederzeit loswerden kann. Schließlich soll es die rechtliche und wirtschaftliche Unabhängigkeit der Amtsträger garantieren – und die Neutralität ihrer Arbeit.

Als Rhein den Kürzeren zogen

Der Streit um den Einfluss der seit 25 Jahren unionsgeführten Landesregierung auf die Polizei wird in Hessen seit langem erbittert geführt. Der jeweiligen Opposition geht er viel zu weit. Ende vergangenen Jahres etwa bremste der Staatsgerichtshof in Wiesbaden ein Gesetz über die neue Hochschule für öffentliches Management und Sicherheit (HöMS) in wichtigen Teilen aus. Sie monierten unter anderem als verfasssungswidrig, dass der Innenminister das letzte Wort bei der Ernennung des Präsidenten haben wollte.

Vor diesem Hintergrund führt auch der Status von Polizei-Führungskräften als "politische Beamte" zu Kontroversen. In den Blick geriet dabei vor allem das Landeskriminalamt. Das geht bis ins Jahr 2011 zurück, als der heutige Ministerpräsident Boris Rhein (CDU) als Innenminister gegen die ihm missliebig gewordene damalige LKA-Chefin Sabine Thurau den Kürzeren zog.

Die von Rhein des Amtes enthobene Thurau klagte erfolgreich. Sie war gerade dadurch geschützt, dass sie noch keine politische Beamte war. Bei künftigen LKA-Präsidenten sieht das anders aus: Wie vom späteren Innenminister Beuth gewünscht, hat der Landtag den Status des Amtes 2021 zugunsten des Regierungseinflusses geändert - kurz nach dem Ende von Thuraus Amtszeit.

Minister ist vom Fach

Eine Klage der AfD dagegen vor dem Hessischen Staatsgerichtshof läuft noch. Eine weitere Klage, die FDP und die seinerzeit noch oppositionelle SPD einreichten, wiesen die Verfassungsrichter ohne genauere inhaltliche Prüfung vor einem Jahr ab. Sie hielten sich für nicht zuständig: Hinweise auf Verstöße gegen Hessens Verfassung sahen sie nicht, aber die Klage beziehe sich ja auch vor allem auf das Grundgesetz.

Denn wie nun das Bundesverfassungsgericht im Fall des Kölner Polizeipräsidenten argumentieren auch die Kläger gegen die LKA-Regelung in Hessen, die Lebenszeitregelung für Beamte dürfe nicht außer Kraft gesetzt werden. Posecks Vorgänger Beuth dagegen fand: Es sei gerade im Fall des LKA wesentlich, dass dessen Spitze die grundsätzlichen politischen Zielen der Landesregierung teilt. Im Sinne der inneren Sicherheit müsse der Präsident notfalls ganz rasch ausgetauscht werden.

Was die Entscheidung über die NRW-Polizeipräsidenten für ihre hessischen Kollegen bedeutet – gut möglich, dass Innenminister Poseck die Antwort schon kennt. Der 54-Jährige, der zuvor eineinhalb Jahre Justizminister war, ist eine Koryphäe auf dem Gebiet. Vor seinem Wechsel in die Politik war er selbst jahrelang als Präsident des Hessischen Staatsgerichtshof ein Verfassungshüter.

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