Menschen mit Türen vor Container-Häusern

Die Umstellung auf Pro-Kopf-Zahlungen des Bundes, die Einschränkungen von Leistungen: In Hessen stoßen die Bund-Länder-Beschlüsse zu den Kosten der Migration auf geteiltes Echo. Die Kommunen erwarten nun auch vom Land einen Systemwechsel.

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Bund und Länder wollen Leistungen für Asylbewerber einschränken

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Nach einer langen Nachtsitzung haben sich Bund und Länder am frühen Dienstagmorgen auf ein System der Finanzierung der Migrationskosten und Maßnahmen zur Begrenzung der Zuwanderung geeinigt. Wie in der Bundespolitik gingen auch in Hessen die Bewertungen über den Kompromiss auseinander.

Hessens Regierungschef Boris Rhein (CDU) sprach in Berlin von einem "Schritt in die richtige Richtung", der sich sehen lassen könne und Handlungsfähigkeit beweise. Es sei gelungen, 16 Ministerpräsidenten mit verschiedenen Parteibüchern unter einen Hut zu bringen, ergänzte er am Abend in der hessenschau. Er relativierte aber die Einordnung von Kanzler Olaf Scholz (SPD), es handele sich um einen "sehr historischen Moment": Laut Rhein, der Vorsitzender der Ministerpräsidentenkonferenz ist, müssen "natürlich noch weitere Schritte folgen".

Die Linke im Landtag befand dagegen, ein "Wettbewerb der Schäbigkeiten" gehe weiter. Die AfD sprach von "Augenwischerei". Der hessische Städte- und Gemeindebund forderte: Der im Januar erstmals zusammenkommende neugewählte Landtag müsse sofort darangehen, das bisherige System der "Nothilfe" für die Kommunen nun durch ein verlässliches System der Finanzierung zu ersetzen.

Systemwechsel und Einschränkungen

Nach monatelangem Streit hatten sich Bund und Länder auf schnellere Asylverfahren und Abschiebungen, Leistungskürzungen und ein neues System zur Bezahlung der Flüchtlingskosten geeinigt. Von der Union geführte Länder hatten kurzfristig noch weiterführende Forderungen erhoben.

Vom kommenden Jahr an zahlt der Bund für jeden Asyl-Erstantragssteller eine jährliche Pro-Kopf-Pauschale von 7.500 Euro und nicht mehr eine jährliche Gesamtsumme - ein sogenanntes "atmendes System". Die Länder hatten 10.500 Euro gefordert. Sie sowie die für Unterbringung und Versorgung von Asylbewerbern zuständigen Kommunen werden durch das neue System laut Beschluss um insgesamt 3,5 Milliarden Euro entlastet.

Außerdem sollen Leistungen eingeschränkt werden. So sollen Geflüchtete künftig nicht nach 18, sondern erst nach 36 Monaten Leistungen in Höhe des Bürgergeldes erhalten.

Bezahlkarte soll Auslandsüberweisungen einschränken

Unter anderem soll auch eine Bezahlkarte bundesweit eingeführt werden, mit der Asylbewerber Güter des täglichen Bedarfs bargeldlos einkaufen können. Das soll die Möglichkeit für Geldüberweisungen in Heimatländer einschränken, was von Befürwortern der Karten-Lösung als Anreiz zur Migration nach Deutschland gesehen wird. Verfassungsrechtlich sei das zulässig und die richtige Maßnahme, sagte Rhein.

Er begrüßte außerdem das "klare Bekenntnis" zu Binnengrenzkontrollen. Vor ein paar Monaten habe er für die Forderung noch Kritik bekommen, so Rhein in der hessenschau. "Die Zeit der grenzenlosen Offenheit ist vorbei. Das wird die Zahlen runterbringen", gab er sich überzeugt.

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"Solidarische Teilung der Lasten": Ministerpräsident Rhein über die Bund-Länder-Beschlüsse zur Migration

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Ende des "Stadiums der Nothilfe" gefordert

Das bundesweite Bezahlkarte sei sinnvoll, sagte David Rauber, Geschäftsführer des Hessischen Städte- und Gemeindebundes, dem hr. Als "Insellösung" hätten Kommunen das bisher nicht praktikabel einführen können. Der Städte- und Gemeindebund vertritt als kommunaler Spitzenverband rund 400 Kommunen in Hessen.

Rauber gab zu bedenken, das zusätzliche Geld durch die Pro-Kopf-Pauschalen vom Bund komme erst einmal nicht direkt bei den Kommunen an, sondern beim Land. Der neugewählte Landtag müsse daher nach seiner Konstituierung im Januar als vordringliche Aufgabe rasch die Finanzierung der Kommunen verlässlich regeln. Die nun getroffene Einigung erleichtere das. "Im Moment sind wir im Stadium der Nothilfen. Wir wollen da ein verstetigtes System“, sagte Rauber.

"Offene Flanke" der Städte und Gemeinden

Die vom Land bislang festgeschriebenen Zahlungen an die Kommunen reichen laut Städte- und Gemeindebund nicht mehr aus. Die Kommunen hätten gewaltige logistische und finanzielle Leistung erbracht. Der verstärkte Zuzug von Menschen mache nach der Anmietung bestehender Wohnungen zunehmend teurere Neubauten und Container-Lösungen nötig. Das nannte Rauber eine "offene Flanke". Die Frage laute: "Wie bezahlen wir das?"

Auch der Hessische Landkreistag zeigte sich grundsätzlich einverstanden, aber nicht vollends zufrieden. "Wir hätten mehr Zusagen erwartet", sagte Präsident Wolfgang Schuster (SPD), der Landrat des Lahn-Dill-Kreises ist. Er bedauerte vor allem, dass der Bund die Forderung nicht erfülle, die Kosten für die Unterkünfte anerkannter Flüchtlinge komplett zu übernehmen.

Neue Nahrung für alten Streit?

Günter Rudolph, Vorsitzender der oppositionelle SPD-Landtagsfraktion, wertete die Einigung als Zeichen, "dass Bund und Länder an einem Strang ziehen". Er betonte aber gegenüber dem hr: "Wir erwarten, dass die finanzielle Unterstützung auch bei den Kommunen ankommt."

Die Kommunen leisteten die Hauptarbeit, seien aber bei der Versorgung der Menschen an ihre Grenzen gekommen. Hintergrund: Die SPD liegt seit Monaten mit der schwarz-grünen Landesregierung im Streit darüber, ob die bisherigen Zahlungen des Bundes auch komplett an die Kommunen weitergeleitet werden.

Darauf, dass die Beschlüsse möglichst schnell umgesetzt werden, drängte FDP-Fraktionschef René Rock. Bei den Kommunen werde sich entscheiden, "ob wir dass stemmen können", sagte er. Sie müssten auch durch weniger Bürokratie auf diesem Gebiet entlastet werden. Der Glaube daran, dass dies erfolge, fehle ihm aber nach den bisherigen Erfahrungen.

Viel zu hart oder zu wenig

Der AfD, die bei der Landtagswahl im Oktober zur zweitstärksten Fraktion im künftigen Landtag wurde, geht es nicht weit genug. Ihr Fraktionschef Robert Lambrou beklagte: "Es fehlt weiter der politische Wille, die Masseneinwanderung zu beenden." Das zeige sich schon daran, dass es noch ein freiwilliges Aufnahmeprogramm für Afghanen in Hessen gebe.

Eine "widerliche Stimmungsmache" machte dagegen die Linken-Fraktionsvorsitzende Elisabeth Kula in den Bund-Länder-Beschlüssen aus. Ein irreführender Diskurs der Abschottung werde auf dem Rücken von Menschen ausgetragen, die vor Not und Krieg geflohen seien. "Die Anerkennungsquote durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge war vergangenes Jahr so hoch wie noch nie", gab sie zu bedenken. Viele der Beschlüsse seien verfassungsrechtlich bedenklich.

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