Rücken eines Ordners, auf dem "Untersuchungsaussschuss 20/1" steht.

Bei der politischen Aufarbeitung des Mordes am CDU-Politiker Walter Lübcke wollte der Landtag die Gemeinsamkeit der Demokraten demonstrieren. Zum Schluss sind Regierung und Opposition voneinander "enttäuscht", "entsetzt" und "erschüttert".

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Bitterer Streit statt Einigkeit zum Ende des Lübcke-Ausschusses

hs 30.05.2023
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Der letzte, eher hoffnungslose Versuch einer Einigung begann am frühen Dienstagnachmittag hinter verschlossenen Türen. Eine gute Stunde später stand fest: Zum Abschluss der mehr als zweijährigen parlamentarischen Untersuchung des Mordes am CDU-Politiker Walter Lübcke wird kein von einer breiten Mehrheit getragener offizieller Abschlussbericht stehen.

Die Regierungsparteien CDU und Grüne brachten im Untersuchungsausschuss eine eigene Bilanz durch, über die der Landtag vor seiner Sommerpause noch debattieren und abstimmen wird. "Ich bin entsetzt", sagte Günter Rudolph, Fraktionschef der oppositionellen SPD.

Gute Vorsätze verfehlt

Hintergrund: Unter dem Eindruck der Tat eines Rechtsextremisten im Sommer 2019 hatten das Regierungslager aus CDU und Grünen auf der einen und SPD und FDP auf der anderen Seite möglichst gemeinsam vorgehen wollen. Um die Gemeinsamkeit der Demokraten zu unterstreichen, hatten sie sogar eigens ein neues Untersuchungsausschussgesetz verabschiedet.

So wurde der Lübcke-Ausschuss der erste Untersuchungsausschuss, in dem mit dem SPD-Politiker Gerald Kummer ein Vertreter der Oppositionsfraktion den Entwurf für einen Abschlussbericht erarbeitete. Doch am Ende legten CDU und Grüne eine eigene, konkurrierende Version vor.

Der Ausschuss soll untersuchen, ob die hessischen Sicherheitsbehörden vor dem tödlichen Anschlag am 1. Juni 2019 in Wolfhagen-Istha (Kassel) versagt haben. 

SPD: Regierung soll reingewaschen werden

Schwarz-Grün passe der Entwurf Kummers nicht, kritisierte SPD-Fraktionschef Rudolph. Denn die CDU versuche, "die Regierung reinzuwaschen", die Grünen ließen es geschehen. Dahinter stehe der Versuch, Ergebnisse des Ausschusses wie jenes zu unterdrücken, "dass man den Rechtsextremismus in Hessen viele Jahre nicht ernst genug genommen hat".

Die Untersuchung habe auch gezeigt, dass die Sicherheitsbehörden den späteren Mörder Stephan Ernst trotz Warnzeichen fälschlicherweise als vermeintlich ungefährlich vom Radar genommen hätten.

Rudolph wittert hinter dem Vorgehen von CDU und Grünen ein abgekartetes Spiel. Kritik an der angeblich fehlerhaften Version des Berichterstatters der SPD-Opposition sei unbelegt und lediglich ein Vorwand. "Einen eigenen Bericht mit mehreren hundert Seiten zu schreiben, das war eiskalt vorbereitet."

FDP findet es "traurig"

Die FDP sah es ebenso: Schwarz-Grün habe einen gemeinsamen Abschlussbericht verhindert. Er sei "sehr traurig" darüber, sagte ihr Ausschuss-Obmann Matthias Büger, das sei "enttäuschend". Problematisch sei nicht so sehr, was in der Version von CDU und Grünen stehe. "Das Problem ist, was nicht darin steht." So werde nicht registriert, wie schlecht die Ausstattung des Verfassungsschutzes gewesen sei.

Als bezeichnend wertete der FDP-Mann, dass CDU und Grüne in ihrem noch nicht veröffentlichtem Bericht mit einem Zitat des ehemaligen Ministerpräsidenten Volker Bouffier (CDU) einstiegen. Der ursprünglich vom SPD-Mann Kummer für den vom Ausschuss verfertigte Berichtsentwurf enthalte dagegen ein Zitat des Opfers Lübcke.

Unterstützung für diese Sichtweise kam von der Linkspartei. Ihr Obmann Torsten Felstehausen warf der Koalition vor, die Ausschussarbeit regelrecht untergraben zu haben. "Es stellt sich die Frage, welche Inhalte Schwarzgrün gerne unter den Teppich kehren will."

Auch die AfD kündigte an, dem Bericht der Koalition die Zustimmung verweigern zu wollen, weil sie in Teilen zu anderen Bewertungen komme. Einzelheiten nannte die AfD nicht.

CDU: SPD-Bericht war sehr schlecht

Das Regierungslager wies die Kritik zurück. Holger Bellino, Obmann der CDU im Untersuchungsausschuss, verriss die von der SPD erstellte Vorlage. "Wir waren erschüttert, wie schlecht der Bericht ist", sagte er. Die Qualität der Darstellung sei unzureichend gewesen, vor allem seien Beschreibung des Sachverhalts und Bewertung nicht getrennt worden.

Nennenswerte politische Fehler, ohne die der Mord an Lübcke womöglich gar verhindert worden wäre, hat der Untersuchungsausschuss nach Meinung Bellinos nicht ans Licht gebracht. Die Sicherheitsbehörden hätten den späteren Täter weder observieren oder gar abhören können.

"Die vier Innenminister haben alle einen guten Job gemacht", sagt er über die Leistungen der Verantwortlichen im Kabinett. Seit 1999 regiert die CDU ununterbrochen und stellt so lange auch die Innenminister.

Grüne: So uneinig sind wir nicht

Wie der Koalitionspartner betonten auch die Grünen, die Koalition habe sich trotz ihres Gegenentwurfes um möglichst viele Gemeinsamkeiten im Abschlussbericht bemüht. Ihre Abgeordnete Eva Goldbach sagte, man habe schließlich für die politisch eigentlich wichtigen Abschnitte des eigenen Berichts mit Bewertung und Definition des Handlungsbedarfes große Teile des SPD-Entwurfs übernommen.

"Da sind wir sehr nah aneinander", sagte Goldbach. Es würden auch sehr wohl Versäumnisse benannt. Sie räumte aber ein, im Nachhinein sei klar geworden, dass eine frühere Abstimmung der Fraktionen über den Abschlussbericht besser gewesen wäre. Dass die Opposition erstmals die Berichterstattung übernommen habe, sei aber auch eine ganz neue Situation gewesen, für die Erfahrungen fehlten.

Gewagte These?

Der Streit um den Abschlussbericht spielt sich wenige Monate vor der Landtagswahl am 8. Oktober ab. Schon sehr früh hatte sich aber abgezeichnet, dass sich die beiden Lager nur schwer auf eine gemeinsame Sicht der Dinge würden einigen können. So hatte die CDU seinerzeit im Landtag zwar der Einsetzung des Untersuchungsaussschusses zugestimmt. Sie hätte ihn nach eigenen Bekunden aber nicht gebraucht.

Bei ihren Aussagen vor dem Gremium hatten sich Ex-Ministerpräsident Bouffier und sein amtierender Nachfolger Boris Rhein (beide CDU), die beide zuvor Innenminister waren, später auch eindeutig festgelegt: Der Mord sei nicht zu verhindern gewesen. Das sei eine "gewagte These", eine solche Gewissheit gebe es in dieser Frage auch nach der Untersuchung nicht, befand SPD-Fraktionschef Rudolph am Dienstag.

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