Schock-Therapie für tausende Beamte, Ernennung von Extremismusbeauftragten, Wille zur Fehlerkultur: Was aus den Affären um rechte Polizisten folgte, macht Innenminister Beuth bei einer Zwischenbilanz zufrieden. Seine Kritiker sind es noch lange nicht.

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Aufarbeitung der Polizeiaffären: Beuth zieht Zwischenbilanz

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Hier die Chats mit verächtlichen Witzen über Migranten, mit Fotos von Weihnachtsplätzchen in Hakenkreuz-Form oder einem Frankfurter SEK-Beamten mit angeklebtem Hitler-Bart. Dort illegal abgefragte Daten aus dem Polizeicomputer in der NSU-2.0-Affäre. Und zwischendurch einmal eine in Reichsbürger-Manier beflaggte Polizeistation: Immer wieder ist Hessens Polizei mit rechten Umtrieben aufgefallen.

Nun ist sie nach eigener Darstellung unter Hochdruck dabei, die Lehren aus den Vorfällen zu ziehen. Ein Jahr, nachdem eine Expertenkommission Vorschläge unterbreitet hat, zog Innenminister Peter Beuth (CDU) am Mittwoch in Wiesbaden diese Zwischenbilanz. Die Polizei habe sich "so intensiv und selbstkritisch wie noch nie mit ihrer eigenen Fehler- und Führungskultur auseinandergesetzt".

Schock-Doku für 16.000 Polizisten

Als Beleg dafür, dass sich "ganz viel bewegt", nannte Beuth neben Erfahrungen aus Gesprächen auch Zahlen: Von 130 Empfehlungen der Kommission sind demnach knapp 40 verwirklicht worden. Fast alles weitere soll im kommenden Jahr umgesetzt sein.

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Erste Maßnahmen nach Polizei-Affären umgesetzt

Innenminister Peter Beuth. So fotografiert, dass er auf den Rücken eines Polizeibeamten zu schauen scheint, auf dessen Rücken "Polizei" steht.
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Eine Hauptforderung der Experten ist, offener über das Fehlverhalten in den eigenen Reihen zu berichten. Deshalb nahmen bislang rund 16.000 Bedienstete an Informationsveranstaltungen teil. Ihnen wurden Inhalte der rechten Chats gezeigt, um transparent zu machen: Es ging nicht um Lappalien. Von einer "Schockdokumentation" sprach Felix Paschek, Vize-Präsident des Landeskriminalamtes und Leiter der eigens gegründeten "Stabsstelle für eine veränderte Fehler- und Führungskultur".

"Es herrschte zunächst absolute Stille, gefolgt von Entsetzen, Fassungslosigkeit und Betroffenheit", beschrieb Paschek die Reaktionen. Sie sollen als Impuls für die Fragen genutzt werden, warum niemand früher angemessen eingeschritten ist und was sich ändern muss, "damit es nicht wieder passiert." Die Arbeit der Stabsstelle will Paschek zu Ende bringen, auch wenn er demnächst auf den Posten des Polizeipräsidenten von Westhessen wechselt.

Beauftragte, Handys, Biometrie

Inzwischen hat jede Polizeibehörde einen Extremismusbeauftragten. Eine eigene Forschungsstelle samt Professur zum Thema soll die Hochschule für öffentliches Management und Sicherheit (HöMS) bis Ende des Jahres haben. Die Polizeibeamten kommunizieren neuerdings über einen eigenen, abgesicherten Messenger. Zudem erleichtert ein eigenes Diensthandy für jeden die Kommunikation. Über einen biometrischen Abgleich können Abfragen aus dem Polizeicomputer anders als in der NSU 2.0-Affäre jederzeit bis zum Abfragenden zurückverfolgt werden können.

Auch ein modernes Leitbild soll her. Das derzeitige ist Jahrzehnte alt und wie Paschek einräumte nicht im Alltag präsent. Die Auswahl und Qualifizierung von Führungskräften soll besser werden – gerade auf der Ebene der Dienstgruppenleiter. Die Hoffnung: Dann fallen Missstände den unmittelbaren Vorgesetzten früher auf und werden auch nicht gedeckt.

Auch Beuth will offener kommunizieren

Polizistinnen und Polizisten dürfen nach Ansicht von Minister Beuth keine Angst haben, die im Alltag unvermeidlichen Fehler zu machen. Wer wie die Teilnehmer an den laut Beuth "unsäglichen Chats“ aber eine rechtsextreme und rassistische Gesinnung zeige, der habe in der Polizei keine Zukunft. Er beklagte, dass "inakzeptables Verhalten Einzelner" den Blick auf die Erfolgsbilanz der Polizei in Hessen verstellt habe.

Hessen setzt sich laut Beuth dafür ein, dass sich die Polizei leichter von Rechten in den eigenen Reihen trennen kann. Das Beamtenrecht enge den Spielraum ein. Jeder Neueinstellung soll ein Verfassungstreue-Check vorausgehen. Das entsprechende Gesetzesverfahren läuft. Der Minister kündigte auch an, in Zukunft offener über Fälle zu informieren. Die Opposition wirft ihm bislang vor, in Polizeiaffären zu mauern.

Wegen der laufenden Ermittlungen und der Gewährleistung eines fairen Verfahrens stand laut dem CDU-Politiker "Transparenz nicht im Vordergrund“ - auch nicht bei der Staatsanwaltschaft. Das ändere sich nicht zuletzt, weil die Expertenkommission mehr Offenheit gefordert hat.

"Kollegiale Fürsorge gewünscht"

Beuth hatte zur internen Aufarbeitung der Affären auch den einen Integritätsbeauftragten ernannt. Ex-Bereitschaftspolizeipräsident Harald Schneider, der das Amt übernahm, hat nach eigenen Angaben bislang 30 Dienststellen besucht und mehr als 1.250 Beamte in Einzel- oder Gruppengesprächen erreicht.

Er appelliere an alle, "sehr offen miteinander umzugehen und eine Art kollegiale Fürsorge zu betreiben", sagte Schneider. Diese Grundlage einer fairen Fehlerkultur sei auch der beste Schutz vor ungerechtfertigten Vorwürfen. Gerade darüber und über den Generalverdacht, unter dem auch unbescholtene Beamte inzwischen stünden, haben sich offenbar viele Polizisten beklagt.

Der Integritätsbeauftragte legt den Fokus seiner Arbeit auf die Begleitung von Polizeibeschäftigten, die selbst Beschuldigte in Straf- oder Disziplinarverfahren sind oder waren. "Kein beschuldigter Polizist ist verpflichtet, mit mir zu sprechen", betonte Schneider. Bislang habe jedoch der weit überwiegende Teil der Polizisten ein Gesprächsangebot angenommen.

Opposition skeptisch

Die Reaktion der schwarz-grünen Koalition auf die Zwischenbilanz des eigenen Ministers war erwartbar positiv.Tenor: Die Neuausrichtung der Polizei sei auf einem guten Weg. Die Opposition im Landtag ist da weitaus skeptischer. Von "viel Selbstlob für ein überschaubares Ergebnis" sprach FDP-Innenexperte Stefan Müller. "Erst der Realitätscheck entscheidet über Erfolg der neuen Polizeikultur", sagte er.

Auch die Linke will auf Taten warten. Nach Meinung ihres Innenpolitischen Sprechers Torsten Felstehausen spricht Beuths jüngste Personalentscheidung"zudem Bände". Neuer Frankfurter Polizeipräsident soll Stefan Müller werden, der bisherige Präsident des Polizeipräsidiums Westhessen. Müller hatte vor Beamten des SEK gesagt, es müsse sich niemand davor fürchten, dass nun "Das Spiel der zehn kleinen N****lein" starte. Er entschuldigte sich später für seine Äußerung.

"Völlig fehl am Platz" angesichts der Affären fand SPD-Innenexpertin Heike Hofmann, wie Beuth sich selbst gelobt habe. Schließlich seien noch fast 100 Maßnahmen der Expertenkommission nicht verwirklicht. Auch der neugeschaffene Posten eines Polizei- und Bürgerbeauftragten sei noch immer nicht besetzt.

Einzig die AfD kam zum Schluss: "Die Maßnahmen sind ein Paradebeispiel für überzogenen Aktionismus." Wegen vereinzelten Fehlverhaltens, dem aufmerksame Vorgesetzte begegnen müssten, werden laut ihrem Abgeordneten Klaus Hermann ganze Behördenstrukturen zu Unrecht diskreditiert.

Anm. d. Red.: In einer früheren Version hatten wir berichtet, dass Felix Paschek neuer Präsident im Polizeipräsidium Mittelhessen wird. Korrekt ist, dass er dieses Amt im Präsidium Westhessen in Wiesbaden übernehmen wird. Wir bitten, den Fehler zu entschuldigen.

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