Viel mehr als Gewissensbisse will der Lübcke-Mörder Stephan Ernst vor dem Untersuchungsausschuss des Landtags nicht bekunden. Das führt zu einer zähen Auseinandersetzung zwischen seinem Anwalt und den Politikern.

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Lübcke-Mörder vor Untersuchungsausschuss

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Die Ärmel des weinroten Hemdes bis über die Ellenbogen hochgekrempelt, eine medizinische Corona-Maske im Gesicht - so betritt Stephan Ernst am Freitagnachmittag den Saal Nr. 0.009 im Wiesbadener Landgericht. Sechs schwerbewaffnete SEK-Beamte mit Sturmhauben über den Gesichtern begleiten ihn.

Der Rechtsextreme aus Kassel ist heute kein Angeklagter, verurteilt hat ihn das Oberlandesgericht Frankfurt ja vor knapp zwei Jahren schon: lebenslange Haft wegen des Mordes am CDU-Politiker Walter Lübcke. Dass eine besondere Schwere der Schuld festgestellt wurde, kommt verschärfend hinzu.

Diesmal ist Ernst vom Lübcke-Untersuchungsausschuss des Landtags geladen. Der ist aus Sicherheitsgründen in ein Gericht umgezogen, um weiter nach Versäumnissen der Behörden in diesem Fall zu forschen. Es braucht nur wenige Minuten und schon ist alle Eindeutigkeit aus dem Saal verschwunden, die der martialische Auftritt der Bewacher verbreitet hat.

Historisch einmalig, höchst kompliziert

Der Mörder eines früheren hessischen Landtagsabgeordneten als Zeuge vor hessischen Landtagsabgeordneten - das ist nicht nur historisch einmalig. Es stellt sich rasch auch als höchst kompliziert und konfliktträchtig heraus.

"Mein Name ist Stephan Ernst" sagt der Zeuge immerhin und wann er geboren ist. Dann verliest der Ausschussvorsitzende Christian Heinz (CDU) aber schon eine Erklärung, dass der Lübcke-Mörder mehr zur Sache nicht sagen will. Aber so einfach sind die Dinge heute nicht.

Ein Reuebekenntnis, wie er es bereits im Prozess ablegte, will und darf der Mörder doch noch vortragen: Es tue ihm "unendlich leid", was er Lübcke und dessen Familie angetan habe, sagt er. So etwas dürfe nie wieder geschehen.

Das scheint als Schlusswort gedacht, aber es ist der Auftakt zu einem knapp zweistündigen, schwer gereizten Gerangel. Später wird der Ausschussvorsitzende stöhnen, wie "zäh und anstrengend" das war.

"Keine andere Sichtweise"?

Mustafa Kaplan, Ernsts Verteidiger aus dem Mordprozess, hat seinen Mandanten auch hierher begleitet. Der Mann, der in einem Buchtitel als "Anwalt der Bösen" firmiert, vertritt die Auffassung: Für Lübckes Mörder besteht die Pflicht zur Aussage vor dem Parlamentsausschuss nicht, weil er sich nicht selbst belasten muss. Da gebe es "keinen Spielraum", "keine andere Sichtweise".

Wie kam er an Waffen, wie lief sein Schießtraining ab, was war mit Sprengstoff? Der Ausschuss will Ernst zu solchen Themen befragen. Da er im Mordprozess nicht wegen Waffendelikten bestraft wurde, dürfe sich sein Mandant auf sein Zeugnisverweigerungsrecht berufen, hält Anwalt Kaplan dagegen. Den Politikern im Raum, darunter einige Juristen, kommt er mit einem juristischen Stichwort: "Mosaiktheorie". Auch strafrechtlich vermeintlich unverfängliche Einzelfragen dürfen nach Rechtssprechung unbeantwortet bleiben, wenn sie später doch Teile einer Beweiskonstruktion werden können.

Das Aussageverweigerungsrecht gilt nach Kaplan erst recht für den kurzfristig vom Lübcke-Ausschuss festgelegten Plan, Ernst noch viel mehr und Heikleres zu fragen, als zunächst beabsichtigt: nach seinem Verhältnis zu anderen Neonazis in Nordhessen, nach der rechten Terrorgruppe NSU und dem Fall des von ihr ermordeten Internetcafé-Betreiber Halit Yozgat.

Wo sonst der Richter sitzt

War es das also schon? Der Ausschussvorsitzende Heinz, gelernter Jurist, unterbricht die mit so hohem Aufwand vorbereitete und von großem Medieninteresse begleitete Sitzung. Hinter verschlossenen Türen kommen die Parlamentarier zum Schluss: Eine andere Sichtweise gibt es doch.

Von wegen "Mosaiktheorie": Trotzdem berge für Ernst schließlich nicht jede Frage irgendein Risiko, sich zu belasten. Also müsse er schon Frage für Frage Begründungen liefern, wenn er schweigen will. So teilt es der Ausschussvorsitzende Heinz von dem Platz auf der Empore mit, wo sonst ein Richter sitzt.

Ein bisschen Wirkung

Das zeigt ein bisschen Wirkung, auch wenn Anwalt Kaplan immer wieder dazwischenfährt und sich kurze Wortgefechte mit Abgeordneten liefert, die auf Antworten drängen. Ernst gibt Auskunft, in welchen Wäldern er schießen übte. Er sagt, bevor sein Anwalt ihn bremst: Ja, mit Sprengstoff kenne er sich "etwas" aus.

Sogar wenn die Fragen mit dem abgesteckten Terrain nichts zu tun haben, kommt nun ein wenig: Nein, er sei nie vom Verfassungsschutz angesprochen worden. Und nein, er habe selbst auch nie Informationen angeboten. Neu ist das wenigste, fast alles  kam im Mordprozess schon zur Sprache.

Kritik: Aussteiger ohne Aufklärungswille

Am Ende sind sich die Fraktionen in einem weitgehend einig: Wenn Ernst so wenig zur Aufklärung beitrage, sei seinen bekundeten Gewissensbissen nicht zu trauen. "Wer tatsächlich bereut, wird dazu beitragen, Hintergründe aufzuklären", sagt Torsten Felstehausen, Ausschuss-Obmann der Linken. Daran ändere auch nichts, dass der Mörder inzwischen das hessische Programm "Ikarus" für Aussteiger aus der Rechtsextremen-Szene absolviert.

Auch über das Maß an neuen Einsichten durch die Befragung gehen die Meinungen der Landtagsfraktionen nur leicht auseinander. "Gelinde gesagt überschaubar" findet CDU-Obmann Holger Bellino den Erkenntnisgewinn.

Die oppositionellen SPD und FDP wollen zumindest zusätzliche Hinweise darauf erkannt haben, dass der Verfassungsschutz "kläglich versagt" habe, wie es die Liberalen formulierten. Von Schießübungen, Bewaffnung und Vorbereitungen zu einen "Bürgerkrieg" habe keine Sicherheitsbehörde etwas gemerkt.

Im Gericht, aber keine Strafkammer

Die Auseinandersetzung zwischen Ernsts Anwalt und Mitgliedern des Ausschusses geht auch außerhalb des Wiesbadener Gerichtssaals weiter. Einige der Politiker hätten versucht, seinen Mandanten regelrecht "vorzuführen", klagt Anwalt Kaplan nach der Befragung.

Für SPD-Fraktionschef Günter Rudolph eine Unterstellung, die er empört zurückweist: "Stephan Ernst ist der Täter, nicht das Opfer." Kaplan habe offenbar nicht verstanden, dass ein parlamentarischer Untersuchungsausschuss nun einmal anders funktioniere als eine Strafkammer.

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