Piter Minnemann (l.) und Armin Kurtovic im Hanau-Untersuchungsausschuss

Der Notausgang an einem der Tatorte des Hanau-Attentats war verschlossen. Das hat der Überlebende Piter Minnemann im Untersuchungsausschuss bekräftigt. In der Befragung kam auch eine Auseinandersetzung mit der CDU wieder zum Vorschein.

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Zeugenaussagen im Hanau-Untersuchungsausschuss

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Piter Minnemann war am 19. Februar 2020 Gast in der Arena-Bar in Hanau. Er hat das rassistische Attentat verletzt überlebt. Nun sitzt der 21-Jährige als Zeuge im Untersuchungsausschuss im Wiesbadener Landtag, um den Abgeordneten zu berichten. Sie beschäftigt gerade vor allem eine Frage.

"Die Tür war zu", sagt Minnemann an diesem Montag über den Notausgang in der Arena-Bar im Stadtteil Kesselstadt. Sie sei eigentlich immer geschlossen gewesen. In der Bar erschoss der rechtsextreme und psychisch kranke Tobias R. zwei junge Männer, nachdem er zuvor schon sieben andere Menschen getötet hatte.

Was, wenn der Notausgang geöffnet gewesen wäre? Auch darauf hat Minnemann eine eindeutige Antwort: "Wir hätten alle überlebt." Das hält auch die Recherchegruppe "Forensic Architecture" nach ihren Untersuchungen für möglich.

Tür war aktenkundig

Der Hanau-Ausschuss des Landtags soll aufarbeiten, ob den Sicherheitsbehörden Fehler unterliefen: vor, während oder nach der Tat. Im Fall des Notausgangs geht es um die Frage: War er offen oder - wie inzwischen mehrere Zeugen ausgesagt haben - verbotenerweise geschlossen? Und wenn er geschlossen war, warum?

Dass der Notausgang schon vor der Tat zumindest wiederholt zugesperrt war, ist aktenkundig: Die Polizei hatte die zuständige Stadtverwaltung darauf aufmerksam gemacht. Ein Beamter des Landeskriminalamtes (LKA) sagt am Montag vor dem Ausschuss: Gäste hätten behauptet, die Tür sei immer geschlossen gewesen. Angestellte hätten das bestritten, und der Betreiber habe gemeint, sie sei früher immer wieder mal nicht offen gewesen.

Ermittlungen eingestellt

Auf Nachfrage des AfD-Abgeordneten Dirk Gaw wird noch einmal klar: Der Betreiber ist verantwortlich für die vorgeschriebene Öffnung der Tür in Betriebszeiten, das Bauamt für die Kontrolle. Ermittlungen in der Sache hat die Staatsanwaltschaft gegen den Protest von Angehörigen und Überlebenden des Attentats nicht weiterverfolgt. Sie hat diese Entscheidung im Mai dieses Jahres noch einmal verteidigt.

Nach ihren Erkenntnissen lässt sich nicht feststellen, ob die Tür am Abend der Tat offen war, abgeschlossen oder bloß klemmte. Die Ermittler fanden auch keinen Hinweis auf den Vorwurf, Polizei, Ordnungsamt und Betreiber hätten abgemacht, die Tür dicht zu halten, damit es bei Razzien keinen Fluchtweg gibt.

Absprachen laut LKA sinnlos

So eine Absprache mache gar keinen Sinn, sagt der LKA-Beamte den Aussschussmitgliedern. Die Objekte würden bei Razzien in der Regel umstellt. "Man hätte dort einfach einen Polizeibeamten postieren können." Auch der überlebende Zeuge Minnemann erwähnt das Gerücht, er kenne es vom Hörensagen.

In jedem Fall hatten der 21-Jährige und die vier anderen der Gruppe nach seinen Angaben keine Chance, aus der Bar zu gelangen, als Tobias R. hineinstürmte. Sie liefen nicht zum Notausgang, weil der bekanntlich verschlossen gewesen sei. Sie wollten Schutz in einem Abstellraum hinter der Theke suchen, dessen Tür ebenfalls nicht zu öffnen gewesen sei. Genau dort starben durch Schüsse Said Nesar Hashemi und Hamza Kurtović.

Der Attentäter hatte unmittelbar zuvor in einem im selben Gebäude direkt nebenan liegenden Kiosk drei Menschen erschossen: Gökhan Gültekin, Mercedes Kierpacz und Ferhat Unvar. Am Ende tötete er im Elternhaus noch seine Mutter und sich selbst.

CDU hakt nach

Dass die Tür unerlaubt geschlossen war, davon gehen inzwischen alle Fraktionen aus. Auch die CDU als Partei von Innenminister Peter Beuth hatte das zuletzt für wahrscheinlich erklärt. Dennoch konfrontiere der CDU-Abgeordnete Michael Ruhl am Montag den Überlebenden Minnemann gleich zu Beginn der Befragung kritisch mit Widersprüchen in dessen früheren Aussagen: Mal wolle er als Gast die Öffnung des Notausgangs vor der Tat geprüft haben, mal nicht.

Zeuge: Als wollte man mir was anhängen

Der Zeuge erklärt das damit, dass er sich nicht selbst habe belasten wollen, da auch er in der Ecke des Notausgangs öfter einmal gekifft habe. Er habe bei seinen Aussagen nach dem Attentat auch sehr unter Druck gestanden. Eine Psychotherapie habe ihm die Stadt Hanau drei Monate später vermittelt, er unterziehe sich ihr heute noch.

Ohne die CDU direkt zu erwähnen, sagt Minnemann anschließend dem hr zu seiner Befragung: "Es war für mich so, als ob man mir da was anhängen wollte." Der 21-Jährige hatte nach der Tat nicht nur Kritik an den Einsatzkräften geübt, sondern sich mit der CDU offen angelegt. Dem Hanauer Landtagsabgeordneten Heiko Kasseckert warf er nach einer Kranzniederlegung auf Facebook und Instagram vor, ein "ekelhafter Heuchler" zu sein.

Erst ermitteln, dann betreuen

Das löste gegen den Politiker einen Shitstorm mit Drohungen aus, wovon sich Minnemann distanzierte. In diesem Zusammenhang berichtete die Offenbach Post im Frühjahr 2021 über Vorstrafen des jungen Mannes. Er sei kein "unbeschriebenes Blatt", heißt es über das Opfer.

Auch dass er eines seiner vielen Interviews nach dem Attentat einem unter Islamismusverdacht stehenden Prediger gegeben hat, hielt man Minnemann vor. Er war unmittelbar nach dem Anschlag zum Islam konvertiert. Er sagte, er habe nichts von den Vorwürfen gegen seinen Gesprächspartner gewusst.

Mit den Vorwürfen gegen ihn selbst geht der 21-Jährige als Zeuge im Ausschuss offen um - auch als der von ihm scharf kritisierte Umgang von Einsatzkräften mit Überlebenden und Hinterbliebenen zur Sprache kommt. Er berichtet: Die Polizei habe ihn nach den schrecklichen Erlebnissen noch in der Tatnacht allein und zu Fuß in die weit entfernte Polizeistation schicken wollen, damit er dort seine Aussage zu Protokoll gibt. Später habe sie ihm zwar einen Ansprechpartner zur Seite gestellt. Es sei aber ausgerechnet jener Polizist gewesen, der zuvor einmal wegen Körperverletzung gegen ihn ermittelt habe.

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