Hessens höchste Auszeichnung Landesregierung legt bei Leuschner-Medaille längere Denkpause ein
Die Wilhelm-Leuschner-Medaille ist Hessens höchste Auszeichnung. Doch CDU-Ministerpräsident Rhein setzt die Verleihung nach 2023 nun noch einmal aus. Denn die Vergabepraxis ist umstritten.
Am 1. Dezember stand viele Jahre ein fixer Termin im Kalender des hessischen Ministerpräsidenten. Weil an diesem Tag des Jahres 1946 die Landesverfassung in Kraft trat, verlieh er dann in einem Festakt mit der Wilhelm-Leuschner-Medaille die höchste Ehrung des Bundeslandes.
Der Regierungschef selbst bestimmte, an wen die Medaille ging. Der oder die Auserwählte sollte sich im Geiste des von den Nationalsozialisten 1944 hingerichteten sozialdemokratischen Widerstandskämpfers Leuschner um die Demokratie verdient gemacht haben. So hatte es SPD-Ministerpräsident Georg August Zinn 1964 festgelegt.
Mit der damals begonnenen Tradition, die Medaille an jedem 1. Dezember zu vergeben, brach Ministerpräsident Boris Rhein (CDU) im vergangenen Jahr. Auch für den kommenden Sonntag blieben Einladungen zu einem Festakt aus – ohne öffentliche Begründung. Die lieferte eine Sprecherin der Staatskanzlei am Freitag dem hr auf Anfrage: Die Vergabepraxis wird grundlegend überdacht. So lange ist Pause.
Kein Alleingang mehr
Die Medaille solle künftig zwar wieder überreicht werden, die Landesregierung arbeite aber an einer "Neuausrichtung", heißt es. Das Verfahren, in dem die Preisträger ausgewählt werden, wird demnach auf eine "breitere Basis" gestellt.
Dies solle "zügig und zeitnah" geschehen. Details nannte die Sprecherin nicht. Ziel sei aber, die Medaille nach einer zweijährigen Lücke im kommenden Jahr wieder zu vergeben.
Damit zieht Rhein Schlussfolgerungen aus der Kritik, die sein Amtsvorgänger und Parteifreund Volker Bouffier mit Unterstützung der Union an sich abprallen ließ. Sie betraf besonders die Auswahl der Geehrten in der jüngeren Vergangenheit.
Nicht zuletzt die SPD, unter Bouffier Oppositionspartei und unter Rhein seit Anfang des Jahres Koalitionspartner der Union, empörte sich: Viel zu häufig würden Landespolitiker ausgewählt – und vor allem solche aus Reihen der CDU.
Verleihung an Koch besonders umstritten
Am heftigsten fiel der Protest aus, als 2017 der frühere CDU-Ministerpräsident Koch als einer von drei Ausgezeichneten die Medaille von seinem Weggefährten Bouffier erhielt. Der Festakt war von einer Demo begleitet, und neben SPD und Linkspartei distanzierte sich mit den hessischen Grünen sogar der damalige Koalitionspartner der CDU.
Koch stand vor allem wegen einer Unterschriftenaktion gegen die doppelte Staatsbürgerschaft und der CDU-Schwarzgeldaffäre in der Kritik. "Er ist dem Andenken Wilhelm Leuschners mit seiner Politik nicht gerecht geworden", befand damals der SPD-Abgeordnete Günter Rudolph im Landtag.
Rudolph forderte, die Kriterien für die Verleihung auf eine neue Grundlage zu stellen. Ein unabhängiges Kuratorium solle ähnlich wie bei der Verleihung des Hessischen Friedenspreises Vorschläge machen. Es sei nicht zeitgemäß, dass der Ministerpräsident "in Form eines Kurfürsten" allein entscheide.
Kurs geändert
Neben SPD und Grünen hat auch die FDP bereits Änderungsbedarf angemeldet. Während die CDU es unter Bouffier noch anders sah, ändert sich der Kurs unter Rhein. Er ist seit Mai 2021 Regierungschef, kurz danach wurde er Vorsitzender der Landespartei.
Als Rhein die Leuschner-Medaille 2022 zum vorläufig letzten Mal verlieh, war der Adressat wie so oft in der Geschichte der Auszeichnung unumstritten. Sie ging posthum an den früheren hessischen Generalstaatsanwalt Fritz Bauer. Er hatte gegen erhebliche Widerstände in den 60er Jahren erreicht, dass die Frankfurter Auschwitz-Prozesse in Gang kamen.
Was bei einer Änderung der Kriterien für die Vergabe hineinspielt: Es gibt mit dem Walter-Lübcke-Demokratie-Preis inzwischen eine ähnlich orientierte Auszeichnung der Landesregierung. Im Gedenken an den von einem Rechtsextremisten 2019 erschossenen Kasseler Regierungspräsidenten ist der Preis ein Dank für vorbildlichen Einsatz für die freiheitlich-demokratische Grundordnung.
Anders als bei der Leuschner-Medaille handelt es sich aber um einen Bürgerpreis, bei dem jeder Vorschläge machen kann. Außerdem würdigt er neben Einzelpersonen auch Gruppen und Organisationen. Kommende Woche wird der Lübcke-Preis in Darmstadt an die Journalistin Natalie Amiri verliehen, außerdem an die Darmstädter Geschichtswerkstatt sowie das Kasseler Bündnis für Vielfalt und gegen Ausgrenzung.