Ein Fan hält eine Ansprache ans Team von Darmstadt 98

Der SV Darmstadt 98 zeigt gegen den FC Augsburg eine inakzeptable Leistung und liegt bereits nach 30 Minuten mit 0:5 zurück. Im Stadion gibt's erst Pfiffe und Wut, dann entsetztes Schweigen. Nach Schlusspfiff gibt es bemerkenswerte Szenen.

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Debakel für Darmstadt gegen Augsburg

Marcel Schuhen Darmstadt 98
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Um 15:54 Uhr, und damit nach ziemlich genau 24 gespielten Minuten, beendeten am Samstag die ersten Lilien-Fans ihren Nachmittags-Ausflug zum Fußball. Küsschen rechts, Küsschen links – und auf Haupt- und Gegentribüne verabschiedeten sich kleinere und größere Gruppen in Richtung eines schöneren Ortes.

Eis essen im Park, den Hund ausführen oder einfach Löcher in die Darmstädter Luft gucken. Alles besser als das, was sich an diesem denkwürdigen Tag auf dem Rasen des Stadions am Böllenfalltor abspielte. Darmstadt 98 fiel gegen den FC Augsburg komplett in sich zusammen und konnte am Ende über die 0:6-Niederlage sogar noch froh sein. Eine Bundesliga-Partie als Bankrott-Erklärung.

Lilien machen alles falsch

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Highlights: Darmstadt - Augsburg

Im Hintergrund sieht man ein Fussballstadion, davor links das Logo von SV Darmstadt 98 und rechts das Logo vom FC Augsburg
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Den ersten vier Gegentreffern, die in den Minuten zwei, zwölf, 20 und 24 fielen, ging jeweils ein kapitaler Patzer eines Darmstädter Defensiv-Spielers voraus. Vor dem 0:1 bediente Jannik Müller mit einem völlig verhunzten Querpass Ex-Teamkollege Phillip Tietz, vor dem 0:2 trat Matej Maglica ein Luftloch, vor dem 0:3 schickte Klaus Gjasula mit einem verunglückten Rückpass Torschütze Ermedin Demirovic auf die Reise, das 0:4 leitete Emir Karic mit einem unbedrängten Fehlpass in der eigenen Hälfte ein.

"Das war ein absoluter Alptraum und ein Potpourri an Blackouts", fasste Präsident Rüdiger Fritsch die Anfangsphase zusammen. Man könnte auch sagen: Noch schlechter geht's nicht.

Der harte Kern stellt den Support ein

Dass nach weiteren sechs Minuten und dem insgesamt fünften Gegentreffer dann auch der harte Kern der Lilien-Anhänger den Support einstellte und seine Banner von den Zäunen riss, verdeutlichte die Tragweite dieser Schmach noch zusätzlich. Die Stimmung bei den sonst so dankbaren und demütigen Darmstädter Fans kippte während des Spiels komplett. Die Kurve verweigerte ab der 30. Minute ihre Arbeit und tat damit genau das, was die Mannschaft vorher bereits ab Minute eins getan hatte. Der Unterschied: Die Reaktion der Fans war verständlich, die Leistung der Lilien nicht. "Sie hätten uns heute bewerfen und beleidigen können, das hätten wir alles hingenommen", urteilte Torhüter Marcel Schuhen.

Nun lässt sich sicher anführen, dass in anderen Stadien Deutschlands bei einer derart unterirdischen Leistung wohl genau das passiert wäre. Und es dementsprechend für den Standort Darmstadt spricht, dass keine Gegenstände auf den Rasen flogen und sich auch die Beschimpfungen im Rahmen hielten. Ein derart aufgebrachtes Publikum wie an diesem frühlingshaften März-Tag hat es bei den Lilien aber wohl seit grauen Drittliga-Zeiten nicht mehr gegeben.

Schon während der ersten Hälfte gab es immer wieder Pfiffe gegen das eigene Team, auf der Gegengerade legten sich Fans mit Gerrit Holtmann an, auf der Haupttribüne schmiss ein Anhänger einen Bierbecher in Richtung Augsburger Bank. In der Halbzeit herrschte dann Endzeitstimmung. Kollektives Schweigen als Ausdruck von Fassungslosigkeit.

Schuhen selbstkritisch

"Wir können uns heute bei allen, die Sympathien für die Lilien haben, nur entschuldigen", sagte Keeper Schuhen, dem das Debakel sichtlich nahe ging. Der Darmstädter Schlussmann, der den Auftritt als "desolat und nicht Darmstadt-würdig" bezeichnete und damit genau richtig einordnete, versicherte genau wie Präsident Fritsch und Trainer Torsten Lieberknecht dann zwar auch, dass die Zuschauer erstaunlich zurückhaltend und sensibel reagiert hätten.

Die Szenen, die sich nach Abpfiff im Stadion abspielten, waren aber durchaus bemerkenswert und lassen in der Nachbetrachtung definitiv auch eine andere Interpretation zu. Es brodelte.

Fan baut sich vor Team auf

Was war passiert? Als sich die Lilien gesammelt in Richtung ihrer Fankurve aufmachten, kletterte ein Mitglied der Ultras in Richtung Innenraum und baute sich vor der Mannschaft und Trainer Lieberknecht auf. Der Fan hielt dort eine minutenlange und mit wilden Gesten ausgeschmückte Ansprache und ließ die erstaunlich ruhigen Profis erst danach in Richtung Tribüne weiterlaufen.

Laut Torhüter Schuhen fand der meinungsstarke Anhänger "emotionale und klare Worte" und sei dabei auch nicht aggressiv gewesen. Die von vielen Beobachtern als Standpauke interpretierte Fan-Aktion wertete er eher als Wachmacher. "Ich fand das nicht schlimm, im Gegenteil."

Am Ende flogen sogar Fäuste

Dass ein Fan, der während seines Monologs von Teilen der Gegentribüne mit Pfiffen und "Halt-die-Fresse"-Sprechchören bedacht wurde, auf dem Rasen eine Rede vor der kompletten Mannschaft inklusive Trainerteam und Staff hält, ist dann aber schon ein beachtlicher Vorgang. Die Atmosphäre war bei Darmstadt 98 schon mal weniger aufgeladen.

Zur ganzen Wahrheit gehörte dann zwar auch dazu, dass sich die Fans ganz am Ende des Nachmittags wieder mit dem Team versöhnten und "Wir sind Darmstädter" anstimmten. "Am Ende gab es aufmunternden Applaus, das macht unser Publikum so besonders", befand Lieberknecht. Dass weit nach Schlusspfiff einige Ultras auf die Gegengerade stürmten und dort dann die Fäuste flogen, zeigt aber auch, dass die ganz große Harmonie in Südhessen erst einmal vorbei ist. Die Geduld scheint aufgebracht.

Die Hoffnung schwindet

Ob der späte und sehr wacklige Schulterschluss noch zu einer Wende im Abstiegskampf führt, muss deshalb stark bezweifelt werden. Die Lilien enttäuschten am Samstag auf ganzer Linie und stellten damit selbst ihren Trainer vor ein Rätsel. "Ich kann es nicht erklären, was heute passiert ist."

Klar ist: In dieser Form gibt es nichts, aber auch wirklich nichts, was noch Hoffnung macht. Die Lilien taumeln der 2. Liga entgegen. "Ich habe in der Pause an die Jungs appelliert, dass wir die zweite Halbzeit mit Anstand beenden müssen", so Lieberknecht. Ein Satz, der so auch für den Rest der Saison gelten könnte. Bei den Lilien geht es wohl nur noch um Schadensbegrenzung.