Menschen auf der Tribune eines Stadions in Aufruhr. Inmitten eine Leuchtrakete, die die Szenerie beleuchtet.

Pyro-Attacken, Hitlergruß und blanker Fan-Hass: Die Freude von Eintracht Frankfurt über den ersten Champions-League-Sieg der Clubgeschichte wird durch die Geschehnisse auf den Rängen erheblich getrübt. Jetzt droht eine empfindliche Strafe.

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Pyro, Lindström und ein historischer Sieg mit Makel

Lindström Eintracht Marseille
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Kurz nach Abpfiff dieses ebenso historischen wie – im negativsten Sinne – denkwürdigen Fußballspiels ging das traurige Schauspiel auf den Rängen des Stade Velodromes am späten Dienstagabend noch einmal richtig los. Die Fankurven von Eintracht Frankfurt und Olympique Marseille beschossen sich gegenseitig mit Feuerwerks-Raketen, Anhänger der Gastgeber vermummten sich und bauten sich vor dem nicht erreichbaren Block der Gäste auf. Akustisch untermalt wurde dieser negative Schlusspunkt mit den bereits während des Spiels durchgehend gezündeten Donnerschlägen. Wumms.

"Dieses Ausmaß an Aggressivität, die uns entgegenschlug, war uns in dieser Form und Masse nicht bekannt. Das war schon sehr befremdlich und lässt keine richtige Freude aufkommen", fasste Eintracht-Vorstand Philipp Reschke die Gefühlslage der Eintracht zusammen. Nach Reschkes Empfinden wurde der Frankfurter Anhang noch wesentlich heftiger mit Raketen und Böllern beworfen und beschossen als umgekehrt: "Das Mengenverhältnis war eher 15:1 als 10:1."Die Hessen hatten zuvor das französische Top-Team aus Marseille dank eines Tores von Jesper Lindström (43.) mit 1:0 besiegt und damit den ersten Königsklassen-Erfolg der Vereinsgeschichte errungen. Die Ausschreitungen trübten die Stimmung jedoch erheblich.

OM-Fans attackieren Frankfurter Anhang

Doch was war eigentlich passiert? Nachdem es in der Nacht zum Dienstag bereits kleinere Reibereien und insgesamt acht Festnahmen in der Stadt gegeben hatte, wurde die Atmosphäre rund um das beeindruckende Stadion in den Stunden vor dem Spiel immer aufgeheizter. Bereits ab dem frühen Nachmittag erinnerten die Straßen vor dem Velodrome eher an Silvester als an einen normalen Werktag. Immer wieder wurden Pyrotechnik abgebrannt und Feuerwerkskörper gezündet, der Haupteingang war durchweg in dichte Rauchschwaden gehüllt.

Bei großen Spielen, das versicherten mehrere ortskundige Augenzeugen, sei das in dieser gleichermaßen schönen wie kernigen Mittelmeer-Metropole zwar immer so. Spätestens mit dem Eintreffen der mit Frankfurter Fans gefüllten Shuttle-Busse hatten die Rituale der OM-Anhänger aber endgültig nichts mehr mit einem normalen Fußballspiel zu tun.

Die Busse wurden mit Gegenständen beworfen und mit Raketen attackiert. Sobald die Stadion-Tore öffneten, verlagerten sich die Angriffe auf die Tribünen. "Das ist schon außergewöhnlich, unter welchen Umständen hier ein Fußballspiel stattfindet. Das hätten wir nicht für möglich gehalten", so Reschke. Auch nach dem Abpfiff gingen die Auseinandersetzungen weiter. Mehrere Busse, mit denen die Eintracht-Fans von den örtlichen Behörden aus dem Stadion gebracht wurden, wurden von OM-Fans mit Steinen beworfen, zahlreiche Scheiben gingen zu Bruch.

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Die komplette Eintracht-PK nach dem Spiel gegen Olympique Marseille

Oliover Glasner
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Schwerverletzter Fan im Krankenhaus

Die traurige Bilanz nach der Partie: mehrere Verletzte auf beiden Seiten, ein schwerverletzter Frankfurter Fan im Krankenhaus. Eintracht-Anfeuerungsrufe gab es nach dem Abtransport des von einer Rakete getroffenen Anhängers in der ersten Hälfte deshalb nicht, erst mit einer ersten Entwarnung wurden mit Beginn des zweiten Durchgangs wieder Gesänge angestimmt. "Der Fan ist stabil und außer Lebensgefahr", berichtete dann auch Reschke. Der Schock über das Erlebte war dennoch allen Beteiligten anzumerken. "Es war der befürchtete Ausnahmezustand, möglicherweise sogar darüber hinaus."

Zur ganzen Wahrheit gehört allerdings auch dazu, dass sich auch der Frankfurter Anhang von seiner hässlichen Seite präsentierte. Die Frankfurter Fans, deren Vorfreude auf die erste Königsklassen-Auswärtsreise durch allerlei Restriktionen und Verbote der französischen Polizei auf eine harte Probe gestellt worden war, reagierten auf die Provokationen und Angriffe mit Gegen-Provokationen und Gegen-Angriffen. Auch aus dem Gästeblock flogen Raketen, auch aus dem Gästeblock gab es die üblichen Droh-Gebärden. Dass zudem zwei Fans mehrfach den Hitlergruß in Richtung Olympique-Kurve zeigten, ist nicht zu entschuldigen.

Der Club distanzierte sich zwar noch während des Spiels in einer Stellungnahme von dem Vorfall, der Ruf der Fan-Szene könnte aber langfristig einen Schaden davontragen. Die beiden Verantwortlichen, von denen sich einer freiwillig meldete und von rechtem Gedankengut freizusprechen versuchte, müssen deshalb mit Konsequenzen rechnen. "Wir prüfen das", kündigte Reschke eine Aufarbeitung an. "Solche Leute haben in der Eintracht-Familie nichts verloren." Für zwei Fans könnte die Reise nach Marseille also vorerst die letzte gewesen sein.

Eintracht droht Geisterspiel

Wie viele Champions-League-Partien von Eintracht Frankfurt es jedoch überhaupt noch mit Fans auf den Rängen geben wird, ist nach dem Chaos-Abend von Marseille fraglicher denn je. Klar ist: Die Hessen spielten nach mehreren Pyro-Vergehen und dem Platzsturm nach dem Halbfinale gegen West Ham auf Bewährung. Damit dürfte es nun vorbei sein. Heißt: Der Eintracht droht mindestens ein Fan-Ausschluss, im schlimmsten Fall sogar ein komplettes Geisterspiel. "Ich befürchte eher eine Strafe für ein Auswärtsspiel, ich kann aber nicht ausschließen, dass auch ein Heimspiel betroffen sein wird", so Reschke.

Mit den fröhlichen europäischen Fußball-Festen ist es also vorbei. Dieser Abend von Marseille wird die Eintracht noch lange beschäftigen.