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Neuer Kraftstoff aus Pflanzenfett wird zugelassen

Teurer als Standard-Diesel: Der neue Kraftstoff HVO100

Schon bald können Autofahrer den Dieselkraftstoff HVO 100 tanken. Hergestellt wird er aus Abfallstoffen wie benutztem Pflanzenfett. Das reduziert die CO2-Emissionen um bis zu 90 Prozent im Vergleich zu fossilem Diesel. Eine tolle Sache, oder? Erste Erfahrungen gibt es in Hessen.

Nein, Fritten verkauften sie an der Tankstelle wirklich nicht, lächelt Kim Backhaus, Marketingchef des Energielieferanten Roth. Dazu müsse man dann schon nebenan zu dem Schnellrestaurant gehen. Aber Kraftstoff aus Frittenfett, das könne man hier im Osten von Frankfurt schon kriegen.

Seit einigen Wochen verkauft das Gießener Unternehmen Roth an seiner Tankstelle den Kraftstoff HVO 100. Die Abkürzung steht für Hydrotreated Vegetable Oils, also hydrierte Pflanzenöle. Der Dieselkraftstoff wird aus Pflanzenölen und wiederverwendbaren Abfallstoffen wie Speiseölen und Fettresten hergestellt. Noch ist der Verkauf von HVO 100 offiziell nicht erlaubt. Doch das wird sich bald ändern.

Die Abkürzung HVO steht für Hydrotreated Vegetable Oils, also: mit Wasserstoff behandelte Pflanzenöle. Diese hydrierten Pflanzenöle können – wie Biodiesel – dem Dieselkraftstoff beigemischt werden (zum Beispiel als Diesel R33) oder auch in 100-prozentiger Reinform angeboten werden, zum Beispiel als HVO 100.

An der Tanksäule wird das Produkt auch mit der Abkürzung XTL in einem quadratischen Logo angeboten. Das steht für "X to liquid", einen flüssigen Kraftstoff, der aus beliebigen Ausgangsstoffen hergestellt wurde: verbrauchtem Frittierfett aus Großküchen etwa, Zelluloseabfällen, Schlachtabfällen, Fischresten, Algen oder Gülle. Die Endprodukte unterliegen der Norm DIN EN 15940 für paraffinischen Diesel.

Vor Ostern haben Bundesregierung und Bundesrat den Weg frei gemacht für den Sprit aus Abfallstoffen. Die Verordnung ist zwar noch nicht im Bundesanzeiger veröffentlicht und damit nicht in Kraft. In einigen Tagen dürfte es aber soweit sein.

Offenbacher Müllfahrzeuge auf HVO-Testtour

"Ich freue mich sehr, dass es losgeht": Roth-Marketing-Chef Kim Backhaus an einer Tankstelle des Unternehmens im Frankfurter Osten.

"Ich freue mich sehr, dass es losgeht, endlich haben wir Rechtssicherheit", sagt Roth-Marketingchef Backhaus. Schon vor einem Jahr war die Zapfsäule mit dem auffällig grünen Design an der Frankfurter Tankstelle einsatzbereit. Damals war der Verkauf aber noch untersagt - seit einigen Wochen besitzt das Unternehmen nach eigenen Angaben eine Duldung des Regierungspräsidiums in Darmstadt.

Das Unternehmen bewirbt den neuen Kraftstoff mit: "Zu 100 Prozent aus biologischen Rest- und Abfallstoffen hergestellt" und "Bis zu 90 Prozent geringere Treibhausgas-Emissionen im Vergleich zu fossilem Diesel".

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„Bei uns tanken Kunden, die etwas für ihren CO2-Fußabdruck machen wollen.“ Kim Backhaus, Marketingchef des Energielieferanten Roth Kim Backhaus, Marketingchef des Energielieferanten Roth
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Vier bis sieben Kunden kommen laut Backhaus am Tag vorbei und tanken den neuen Kraftstoff, größter Abnehmer seien die Stadtwerke Offenbach, die gerade testen, wie sie ihre Müllfahrzeuge klimafreundlich umrüsten können. Wer HVO 100 tanken will, muss allerdings tiefer die Tasche greifen. Um die 30 Cent mehr kostet ein Liter im Vergleich zu Standard-Diesel.

"Bei uns tanken Kunden, die etwas für ihren CO2-Fußabdruck machen wollen", sagt Backhaus. Das kann auch für Unternehmen interessant sein. Mit dem zertifizierten Betanken der eigenen Flotte mit HVO 100 können sie ihr Nachhaltigkeits-Reporting verbessern und unter Umständen Auflagen erfüllen. In Österreich - wo es schon länger HVO-Kraftstoffe gibt - hat das zum Beispiel die Post gemacht.

Noch um einiges teurer als Standard-Diesel: Der neue Kraftstoff HVO 100

"Die Roths sind echte Pioniere, sie haben es schon früh versucht," sagt Stephan Zieger, Geschäftsführer des Bundesverbands freier Tankstellen in Bonn. An vielen Tankstellen werde der neue Kraftstoff schon bald verfügbar sein. "Das wird jetzt schnell gehen, die Lieferwege sind geklärt".

Wissenschaftler: "Deutschland ist ein Nachzügler"

Noch gibt es dazu viele Fragen. Zum Beispiel nach der Qualität des neuen Kraftstoffs, der klar wie Wasser ist und sehr viel dezenter riecht als Standard-Diesel. "Für den Betrieb des Fahrzeugs ist HVO 100 völlig unauffällig. Es ist ein qualitativ hochwertiger Kraftstoff", sagt Christian Beidl, Leiter am Institut für Verbrennungskraftmaschinen und Fahrzeugantriebe (VKM) der TU Darmstadt.

Das Institut betreibt zur Zeit ein Forschungsfahrzeug mit HVO 100. "Der neue Kraftstoff verhält sich wie ein Standard-Dieselkraftstoff und verbrennt eher noch besser", sagt Beidl.

Viele Autohersteller haben noch keine Freigabe für den nach DIN-Norm EN 15940 zertifizierten neuen Kraftstoff gegeben. "Aktuell liegen solche Freigaben nur für einige Modelle der Marken Audi, BMW, Citroën/Peugeot/Opel, Nissan, Renault/Dacia, Seat/Cupra, Škoda, Toyota, Volvo und VW vor", heißt es in einer Stellungnahme des ADAC. Hyundai und Kia beispielsweise haben bisher keine Freigabe erteilt, wie aus einer Liste des Autoclubs ersichtlich ist. Grundsätzlich lässt sich auch am Tankdeckel prüfen, ob das Fahrzeug mit HVO 100 beziehungsweise XTL betankt werden darf.

Beidl verweist darauf, dass in anderen Ländern wie den Niederlanden, Schweden oder Kalifornien der Kraftstoff schon seit Jahren etabliert sei. "Da ist Deutschland ein richtiger Nachzügler", sagt er. Es habe hierzulande lange Zeit in der Politik keinen positiven Willen gegeben, die Einführung von HVO 100 zu fördern.

"Ich vermute, weil man dachte, dass man damit der Elektromobilität schadet. Das halte ich für einen Trugschluss", sagt Beidl. Beide profitierten voneinander, weil sie beide den Boden für eine grüne Mobilität bereiteten.

FDP und Grüne auf Konfrontationskurs

Tatsächlich gab es Scharmützel bis zuletzt. Die Konfliktlinien verliefen vor allem zwischen Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP) und Bundesumweltministerin Steffi Lemke (Grüne). Nach Wissings Ansicht kann HVO 100 einen "wirksamen Beitrag leisten, um die Emissionen in der Bestandsflotte zu reduzieren".

Das Bundesumweltministerium argumentierte dagegen, dass HVO-Kraftstoff nicht grundsätzlich nachhaltig sei. "Nur wenn nachhaltige Rohstoffe zur Herstellung eingesetzt werden, ist HVO auch nachhaltig", hieß es. Auch sei fraglich, in welchem Umfang der neue Treibstoff verfügbar sein wird.

Ähnliche Bedenken äußerte das hessische Umweltministerium: "Der quantitative Anteil von Kraftstoffen aus bestimmten biogenen Abfällen am gesamten Kraftstoffbedarf wird nur sehr gering ausfallen können", teilte eine Sprecherin mit. Insofern sei auch das Potential zur Reduktion der CO2-Emissionen des Verkehrs "minimal".

Dazu sagt Christian Beidl, Leiter am Institut für Verbrennungskraftmaschinen und Fahrzeuganriebe (VKM) der TU Darmstadt:

"Bei den HVO-Kraftstoffen haben wir wie bei allen erneuerbaren Kraftstoffen einen geschlossenen CO2-Kreislauf. Pflanzen binden zunächst das CO2. In weiterer Folge entstehen daraus biogene Rest- und Abfallstoffe, die zu Kraftstoff verarbeitet werden. Beim Verbrennen wird das CO2 zwar wieder freigesetzt, Die CO2-Emissionsbilanz ist aber ausgeglichen, es erfolgt kein zusätzlicher Eintrag von CO2 in die Atmosphäre. Bei fossilen Kraftstoffen wird dagegen CO2 freigesetzt, das vor Millionen von Jahren gebunden wurde. Den Kreislauf gibt es immer noch, aber die Zeitskala stimmt nicht, damit ist es nicht nachhaltig.

Wenn davon die Rede ist, dass die CO2-Emission bei HVO-Kraftstoffen bis zu 95 Prozent geringer ist als bei fossilen Kraftstoffen, dann bezieht sich das darauf, dass bei Herstellung und Logistik heute unvermeidbare CO2-Emissionen anfallen, die bei der Zertifizierung berücksichtigt werden. Das macht es leider komplizierter als bei Elektrofahrzeugen, bei denen die CO2-Emissionen des Ladestroms unberücksichtigt bleiben."

"Deutschland ist ein richtiger Nachzügler": Christian Beidl, Leiter am Institut für Verbrennungskraftmaschinen und Fahrzeuganriebe (VKM) der TU Darmstadt

Wissenschaftler Beidl von der TU Darmstadt gibt zu bedenken, dass "wir ja von allen regenerativen Energieträgern nicht genug haben". Deshalb sei es umso wichtiger, alle Potentiale auszuschöpfen. Er zeigt sich dennoch überrascht, wie "schnell es Firmen wie Neste gelungen ist, die Produktionsmengen hochzufahren".

Das finnische Unternehmen Neste ist neben Shell, dem italienischen Energiekonzern Eni und dem spanischen Repsol einer der großen HVO-Hersteller in Europa und hat laut aktuellem Geschäftsbericht derzeit eine jährliche Produktionskapazität von 3.3 Millionen Tonnen für erneuerbare Produkte. Bis 2026 soll die Produktionskapazität auf 6,8 Millionen Tonnen steigen.

Das Unternehmen rechnet damit, dass biogene Kraftstoffe bis 2040 etwa eine Milliarde Tonnen Rohöl ersetzen können, was etwa 40 Prozent des weltweiten Bedarfs im Transportsektor ausmachen würde.

Bis dahin dauert es natürlich noch eine Weile. Das Unternehmen Roth jedenfalls plant erstmal in den kommenden Wochen 14 Tankstellen - davon zwölf in Hessen - auf HVO 100 umzurüsten.

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